Einige Bemerkungen zur Dudelsackentwicklung in der DDR und zu erweiterten Möglichkeiten eines Hümmelchen - Instrumentes
(Vortrag beim Internationalen Festival der Dudelsackpfeifer, August 1989 in Strakonice CSSR)

Ausgehend von den Darstellungen von M. Praetorius in ‘Syntagma musicum’, aber auch in bezug auf viele andere Quellen, kann man drei wesentliche Typen deutscher Dudelsackinstrumente unterscheiden: den Bock, die Schaperpfeiff und das Hümmelchen, wobei es viele organologische Gründe dafür gibt, den bei Praetorius im gleichen Kontext dargestellten ‘Dudey’, als Spezialform eines Hümmelchens anzusehen.
Für die Revitalisierungsbemühungen um deutsche Dudelsackmusik, welche in der DDR ziemlich genau vor 12 Jahren einsetzten, und zunächst keinerlei offizielle Förderung erhielten, sondern anfänglich ausschließlich privat, und wesentlich vom individuellen Enthusiasmus einiger jugendlicher Musikanten, getragen wurden, war von Anbeginn an kennzeichnend, daß sich vor allem ein Interesse an Dudelsäcken in der Art der Schaperpfeiff (also Instrumenten mit konischer Melodiepfeife und Doppelrohrblatt sowie zwei Bordunpfeifen) entwickelte.
Einige Instrumente dieser Art wurden bald privat aus Westdeutschland bzw. Westeuropa eingeführt und auch von verschiedenen Musikanten selbst hergestellt. Solche Instrumente sind heute wohl die in unserem Lande verbreitetsten Dudelsäcke und werden in letzter Zeit sogar als Second-Hand Artikel im staatlichen Musikhandel angeboten.
Es werden inzwischen aber auch zunehmend Böcke (vor allem auf der Grundlage der Dokumentation zum Böhmischen Bock von J.Rezny) und verschiedene Formen des Hümmelchens selbst hergestellt und in Musikfolkloregruppen verwendet; und diese ganze Entwicklung wird seit etwa 6 Jahren auch offiziell von staatlicher und gesellschaftlicher Seite beachtet und unterstützt.
In diesem Prozeß, der ganz eindeutig im Zusammenhang mit einer der bemerkenswertesten Seiten der allgemeinen geistig-kulturellen Entwicklung der letzten Jahre in der DDR steht, nämlich dem verstärkten Interesse an Geschichte, verdeutlichen sich nun auch verschiedene, vielleicht nicht ganz unwesentliche Momente und Besonderheiten bisheriger und gegenwärtiger deutscher Geschichtlichkeit. Um es verkürzt und vielleicht etwas zugespitzt zu sagen: Wer sich mit der Schaperpfeiff befaßt, entspricht im Unterhaltungskunstgeschehen und innerhalb der gegenwärtig erfolgreichsten Musikfolkloretrends der DDR, am besten bestimmten allgemein verbreiteten Erwartungshaltungen. Er hat einen deutlichen Bezug zu Westeuropa, und vom optischen Erscheinungsbild und von der Akustik her, hat er ein allbekannt attraktives und zumeist wirkungsvoll lautstarkes Instrument zur Verfügung, welches über mehr als nur eine Tonart verfügt und sowohl für Volkstanz und Volksfesttrubel, sowie die gegenwärtig in Mode gekommene Beschäftigung mit dem Mittelalter, als auch für ganz moderne Musizierpraktiken - bis hin zur Kombination mit elektronischen Mitteln und elektronischen Instrumenten - gut geeignet ist. Dabei spielt zweifellos eine wichtige Rolle, daß die "heimlichen", und vielleicht "nicht immer ganz offiziellen", im Allgemeinbewußtsein aber letztlich wesentlichen und entscheidenden geistig-kulturellen Werte in der DDR, zumeist doch westlich geprägt sind; - keineswegs nur aus älterer geschichtlicher Tradition Deutschlands herstammend, sondern gerade in besonderer Weise durch die gegenwärtigen politisch-kulturellen Entwicklungen unseres Landes vermittelt, gefiltert und geformt.
Das hat natürlich auch seine Konsequenzen für den, der sich mit dem Bock befassen möchte, denn bei diesem Instrument dominiert die kulturelle und geistige Bezüglichkeit zu Osteuropa und zu den slawischen Nachbarn der Deutschen. Und obwohl dies eigentlich viel näher liegen könnte, ist es gegenwärtig doch so, daß die aktive und musikantisch lebendige Beschäftigung mit dem Bock, in der Kulturwirklichkeit unseres Landes und innerhalb der Aktivitäten zur Dudelsackrevitalisierung leider nur an zweiter Stelle, und oft sogar im Hintergrund, steht. Und dies (- hier zeigt sich wieder ein vielschichtiges typisch deutsches Problem) obwohl es gerade in der DDR eine alte, kontinuierlich bis in die Gegenwart reichende und offiziell gepflegte Bock-Tradition gibt, nämlich das Dudelsackspiel der slawischen Minderheit der Sorben in der Lausitz. Und - so kann noch hinzugefügt werden - obwohl eigentlich gerade der Bock der einzige Dudelsacktyp ist, bei dem es auch innerhalb deutscher Volksmusik eine bis in die Gegenwart reichende Traditionslinie gibt: Ich meine das Spiel auf dem Egerländer Bock.
Wer sich aber statt mit der renommierten Schaperpfeiff, mit dem Bock beschäftigt, hat es eben doch mit einem Dudelsackinstrument ganz anderer Anforderung zu tun. Mit einer ganz anders vermittelten Kultur und anderen Bezüglichkeiten. Die bei der Schaperpfeiff genannten spezifischen "Vorteile", Besonderheiten und Möglichkeiten fehlen weitgehend. Mit einer Schaperpfeiff kann man sich und anderen Dudelsackfreunden in der DDR relativ leicht und schnell spezifische "Dudelsackwünsche" erfüllen, oder ihnen zumindest weitgehend entgegenkommen, - etwa vom Image eines unverbindlich improvisierenden mittelalterlichen Spielmanns, bis zum Pop-Musik assoziierten ‘Mull of Kintyre’. Mit dem Bock hingegen kann man viel eher in das Dilemma geraten, erst einmal langwierigen und schwierigen Anforderungen des umständlichen und eigenwilligen Instrumentes, und der damit verbundenen Kultur, gerecht werden zu müssen, bis man einen Weg finden kann, um von einem deutlich vorgeprägten Publikum auch akzeptiert zu werden.
Ich will all diese Spannungsfelder, Konflikte und Widersprüchlichkeiten in denen sich die Wiederbeschäftigung mit deutschen Dudelsäcken in meinem Land befindet, hier nur andeuten, um auch deutlich zu machen, daß sich dabei das Hümmelchen - auf welches ich in Bezug auf eine spezielle Problemstellung ja gerne detaillierter eingehen möchte - innerhalb dieser Verhältnisse bisher in einer ganz anderen Lage befindet. Es ist erst in den letzten Jahren ernst genommen worden. Zudem fehlen ihm weitgehend die vergleichsweise west- oder osteuropäisch geprägten Vorbildstrukturen, und also auch die Schärfen der entsprechenden geschmacklichen, ideologischen bzw. kulturpolitischen und folkloristisch-traditionellen Präjudizierungen. Zumindest stehen diese in weniger scharfen Kontradiktionen. Außerdem ist ein Hümmelchen - ob nun als ‘Zweibrümmchen (mit zwei Bordunpfeifen) oder als ‘Dreibrümmchen’ konzipiert - ein im Vergleich zu Bock und Schaperpfeiff meist leiseres und viel kleineres Instrument, welches also auch von daher schon ganz anderen musikantischen Interessen, Bedürfnisstrukturen und Erwartungshaltungen entsprechen wird.
Ich habe in den letzten Jahren selbst auch verschiedentlich Böcke und Schaperpfeiffen gebaut und damit in den unterschiedlichsten Ensembles gespielt, aber mein besonderes Interesse galt von jeher dem Hümmelchen, mit dem ich mich seit 1980 intensiver beschäftige.
Ich denke, daß gerade dieses Instrument vielfältige und interessante Einsatzmöglichkeiten und auch spezifische Entwicklungsmöglichkeiten bietet. Zu dieser Problematik habe ich mich ausführlich in einer seit dem Jahr 1986 beim Verlag Zentralhaus-Publikation in Leipzig zur Veröffentlichung vorliegenden Darstellung, welche auch eine detaillierte Bauanleitung für ein Hümmelchen, sowie nähere Hinweise zur Spielpraxis enthält, geäußert. Es liegt nicht an mir, sondern an ganz anderen Faktoren innerhalb der DDR-Kulturpolitik, daß sich die längst geplante Publikation dieser Arbeit immer wieder verzögert.
Besonders eine Frage hat mich im Zusammenhang mit dem Hümmelchen lange beschäftigt: Welche Chance könnte ein Dudelsackinstrument haben, bei dem Umfangserweiterungen auf der Melodiepfeife durch Duodezim-Überblasen realisiert werden? Es handelt sich dabei um ein organologisches Prinzip, welches bei Dudelsäcken zwar nicht entfaltet ist, aber gerade bei einem Hümmelchen mit eng gebohrter zylindrischer Meldodiepfeife, durchaus angewendet und entwickelt werden kann. Dies habe ich in vielen Experimenten erprobt. Es erwies sich bei diesen Erprobungen als notwendig das Instrument mit einem Blasebalg auszustatten, um zunächst den Betrieb mit Atemluft, der doch stets zu einer Befeuchtung und entsprechenden Veränderung des Tongenerators führt, zu vermeiden. Der Blasebalg wurde mit einer Innenfederung versehen und in Form und Anbringung so konzipiert, daß beim Spiel auf Arm- und Leibriemen völlig verzichtet werden kann.
In sitzender Spielhaltung ist dabei zudem ein bequemes Auf- und Absetzen der Melodiepfeife am Oberschenkel gewährleistet, wodurch ganz spezifische Spieltechniken (Stakkato, rhythmische Tonsprünge, Vibrato, Intonationsregulierungen, Stabilisierung überblasener Töne etc.) unterstützt und abgesichert werden können. Ich benutze dafür eine mit 8 Grifflöchern versehene Spielpfeife (Skala und Griffweise wie beim traditionellen sorbischen Bock), welche eine Tonleiter von c1 bis d2 in F-Dur ergibt. Durch eine zusätzliche Klappe oder Doppellochbohrung kann dabei auch der Leitton für C-Dur, also h1, sicher erzeugt werden. Mit zwei oberen Klappen für die Töne e2 und f2 kann die Tonleiter fortgesetzt werden, und eine weitere hohe Klappe kann gegebenenfalls noch das Überblasen in den höheren Register absichern. Der erste überblasene Ton ist dann g2.
Um nun im überblasenen Register außer C-Dur auch die F-Dur Tonleiter lückenlos weiterführen zu können, empfiehlt sich schließlich noch eine Klappe für das überblasene hohe b2, welche im unteren Register den Ton es1 ergibt.
Es hängt wesentlich von der Genauigkeit, mit welcher der Tongenerator gearbeitet und eingerichtet ist, ab, wie hoch ein geschickter Spieler die Tonleiter weiterführen kann.
Aber es ist trotz des geringen Klappenaufwandes (Minimum: e2 und f2 Klappe) durchaus ein Tonumfang von mehr als zwei Oktaven spielbar.

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