Einige grundsätzliche Aspekte zum besseren Verständnis von Musikinstrumenten im Lichte der Arbeiten des Verhaltensphysiologen
Erich von Holst
Eigentlich hätte ich, entsprechend dem Thema unserer Tagung, gerne über bestimmte allgemeinere Tendenzen in der Wiederbeschäftigung mit verschiedenen traditionellen Musikinstrumenten innerhalb der neueren Musikfolklorebewegung der DDR gesprochen, aber die Leitung des Nationalkomitees hat mich um ein anderes, von mir eigentlich erst für einen späteren Zeitpunkt vorgeschlagenes Thema gebeten, und so kommt es, daß ich nun Gelegenheit habe, hier über einen Wissenschaftler zu sprechen, den ich für einen der bemerkenswertesten Gelehrten unseres Jahrhunderts halte. Ich nutze natürlich gerne diese Gelegenheit, möchte dies aber auch mit einigen Problemen musikfolkloristischer Instrumentenentwicklung in Verbindung bringen.
Erich von Holst gehört zu den zentralen Gestalten in der Entwicklung der modernen biologischen Verhaltensforschung. Wäre er nicht bereits 1962 im Alter von 54 Jahren gestorben, so hätte er gewiß zusammen mit K. Lorenz, N, Tinbergen und K. Frisch zu den Nobelpreisträgern dieses Fachgebietes gehören müssen. Er ist jedoch bislang weitaus weniger bekannt geworden als diese, inzwischen weltbekannten Wissenschaftler; ja gegenwärtig kann man sogar den Eindruk haben, daß sein Bild zunehmend in den Hintergrund des wissenschaftsgeschichtlichen Bewußtseins rückt. Für manchen, dem sein Lebenswerk bekannt ist, erscheint er heute sogar eher als ein Außenseiter der Wissenschaftsentwicklung der sich eigentlich verzettelt hat. Er war ein bahnbrechender Bio-Experimentator und bedeutender Verhaltensforscher, aber auch ein genialer Ingenieur, ein Biokybernetiker, ein mit höchster manueller Geschicklichkeit begabter Techniker und eigenwilliger Erfinder, sowie ein hochbegabter, leidenschaftlicher Musikant und Musikinstrumentenbauer. Hinzu kommt, daß sein Denken auch stets von grundsätzlichen philosophischen und weltanschaulichen Problemstellungen begleitet und motiviert war. Dies alles ist natürlich zu breit und zu vielschichtig, um vom gegenwärtigen Wissenschaftsverständnis problemlos verkraftet zu werden. Die Bedeutung seines gesamten Lebenswerkes ist bislang kaum ausgewertet, und einer seiner Schüler, H. Mittelstädt, der mit Erich von Holst zusammen vor allem für die Begründung des Reafferenzprinzips bekannt geworden ist, schrieb vor einiger Zeit in einer persönlichen brieflichen Mitteilung - offenbar nicht ganz ohne Bitterkeit -, daß "die Lebensleistung dieses bedeutenden Mannes einer Nachwelt erhalten werden sollte, die sie vielleicht mehr zu würdigen wissen wird als unsere Zeitgenossen."
Wenn ich mit Biologen über die Bedeutung des Erich von Holst spreche, so kann ich stets mit vielen Argumenten darauf hinweisen, daß ganz wesentliche ethologische Arbeiten, aber auch grundlegende Anregungen und Hypothesen dieser Wissenschaft, gerade von ihm herrühren und ihre wissenschaftliche Solidität eben nur auf der Grundlage seiner exakten experimentellen Arbeiten erhalten konnten - auch wenn das allgemeine Bild der Entwicklung der Ethologie inzwischen mehr durch das Image der Feldforschung und ganzheitlich-intuitiver, nahezu Experiment-freier, Hypothesenbildung geprägt ist. Letzteres ist ja der Eindruck, den man zumeist durch K. Lorenz über die Entwicklung der Ethologie vermittelt bekam. Angesichts der wirklichen wissenschaftlichen Fakten muß man aber sagen, daß der Erfolg und das Lebenswerk von K. Lorenz ohne die Arbeiten des Erich von Holst so nicht möglich gewesen wären, wohingegen, umgekehrt betrachtet, das eigenwillige Lebenswerk des Erich von Holst sicherlich auch ohne K. Lorenz zustande gekommen wäre.
Bei mehr an Technik als an Biologie interessierten Wissenschaftlern wirkt es in der Regel verblüffend, daß ein leidenschaftlicher Biologe wie Erich von Holst, auch als Techniker Hervorragendes leistete.
Man stelle sich einen Gelehrten vor, dem es gelingt, das spezifische Flugverhalten eines längst ausgestorbenen Sauriers (Rhamphorhynchus), von dem nur noch der Steinabdruck seines Skelettes erhalten ist, exakt zu rekonstruieren, und der dann auch auf einer Paläontologentagung (Wilhemshaven 1956) die technisch perfekte Rekonstruktion dieser Flugeigenschaften während seines Vortrages, als Modell in natura fliegend, vorführen kann. In jahrelanger Beschäftigung mit dem Flug verschiedener Tierarten, insbesondere von Insekten, gelang es ihm aber auch, ein völlig neues, bislang weder in der Natur, noch in der Technik verwirklichtes Flugprinzip - den von ihm begründeten ‘Triebflügel’ - zu entdecken und sodann auch technisch zu realisieren. Allein die Geschichte dieser Entdeckung, sowie ihre spätere technische Verwertung, ist für das Verständnis der Widersprüchlichkeiten von Wissenschafts- und Technik-Entwicklung hochinteressant und aufschlußreich.
Aber höchst aufschlußreich ist eben auch sein Verhältnis zur Musik. Zeitgenossen, die ihn persönlich kannten, berichten, daß er oft selbstversunken auf seiner Bratsche improvisierte und ihn keiner dabei stören durfte.
Wer sich intensiver mit seinen wissenschaftlichen Arbeiten befaßt, merkt aber auch bald, daß die Musik für ihn auch im kaltblütigsten Tierversuch relevant war. Bei der Untersuchung des Verhaltens von Fischen stieß er beispielsweise auf das Phänomen, daß sich die für die Bewegung der untersuchten Fische zuständigen Flossen in einem quasi-musikalischen Verhältnis bewegten, Diese Erscheinung, von ihm im Zusammenhang mit der sogenannten ’relativen Koordination’ untersucht und entdeckt, ist von seinem Schüler B.Hassenstein in einem Nachruf auf Erich von Holst mit den exakten Worten der Verhaltenswissenschaft folgendermaßen dargestellt worden: "Stehen am Fischrückenmark drei oder vier rhythmisch tätige Instanzen miteinander in jeweils zweiseitigen Wechselbeziehungen nach dem Prinzip der ‘relativen Koordination’, so zeigt das aus allen beteiligten Rhythmen verkoppelte Gesamtsystem eine verstärkte Tendenz zur absoluten Koordination, also zu ganzzahligen Frequenzverhältnissen. Wird in einem solchen System ein Parameter fließend geändert, so ändern sich die Frequenzverhältnisse vorübergehend gar nicht, dann aber sprunghaft zu neuen, wiederum ganzzahligen Koordinationsmustern. Das Zusammenschalten mehrerer authorhythmischer Elemente, führt also zu einer systembedingten Stabilität bei ganzzahligen Frequenzverhältnissen."
Soweit der Verhaltensforscher B.Hassenstein.
Es liegt auf der Hand, daß diese Entdeckungen für ein wissenschaftliches Musikverständnis auch insofern philosophisch-weltanschaulich von Bedeutung sind, als eben auch unser menschliches Hörorgan keineswegs - wie oft vulgärmaterialistischerweise angenommen oder gar betont - nur kulturbedingt und vielleicht durch das Anhören von Musik erst geschult und gebildet, in die Lage kommt "ganzzahlige Frequenzverhältnisse", also nur bestimmte Intervalle, als stimmig zu ermessen und entsprechend musikantisch zu verwerten. Vielmehr verhält es sich eher umgekehrt: Diese besondere ‘Meßeigenschaft’ unseres Hörorgans ist wesentliche Grundlage für menschliche Musikausübung und humanes Musikverständnis.
Der Zusammenhang von Musik und Biologie offenbart sich im Lebenswerk des Erich von Holst aber noch unter anderen Aspekten.
Als Bratschenspieler litt er - wie wohl alle die sich auf dieses Instrument intensiver einlassen - an dem typischen Konflikt den es beinhaltet: Zu klein, um adäquat klingen zu können und zu groß, um spieltechnisch, am Kinn gehalten, noch optimal beherrscht zu werden. Ein engagierter Bratschist ist eben doch meist auf der Suche nach einer anderen Viola, die vielleicht einen glücklicheren bzw. individuell akzeptableren Kompromiß bietet.
Mit der von vielen seiner Kollegen gerühmten, schier unglaublichen manuellen Geschicklichkeit begab er sich folgerichtig an die Selbstherstellung seiner Instrumente und spielte zuletzt nur noch auf eigens von ihm selbst, für sich selbst, angefertigten, also höchst individualisierten, Bratschen. B.Hassenstein betonte dazu im gleichen Nachruf auf seinen Lehrer, daß dieser seine Musikinstrumente wie biologische Organismen betrachtete, immer in dem Bewußtsein, daß die Änderung eines Parameters, alle anderen Parameter (freilich in unterschiedlichem Maße und in verschiedener Weise) beeinflussen kann. Seine physikalisch akustischen Erkenntnisse ermöglichten Erich von Holst außerdem eine instrumeneten-spezifische Analyse dieser vielfältigen Zusammenhänge, so daß er sich über viele Jahre - bis zu seinem Tode - intensiv mit dem Geigenbau beschäftigte. Ein von ihm lange geplantes Buch zu diesem Thema ist leider nicht vollendet worden. Allerdings ist eine spezielle Arbeit unter dem Titel "Ein neuer Vorschlag zur Lösung des Bratschenproblems" von ihm 1953 in der "Instrumentenbauzeitschrift" erschienen. Um bei dieser Lösung sowohl human-physiologisch als auch akustisch-physikalisch bessere Bedingungen zu schaffen, diente ihm wiederum ein in der Biologie, insbesondere von B.Rensch schon lange diskutiertes Problem als Anregung. Rensch und andere Evolutionsbiologen hatten schon lange darauf hingewiesen, daß sich, abhängig von den ökologischen Bedingungen bestimmter Organismen, ganz bestimmte Verhältnisse von Form, Gestalt und Volumen etc. ergeben, die keineswegs willkürlich sind, sondern bestimmten Verformungsgesetzen gehorchen. Diesem biologischen ‘Allometrie-Prinzip’ entlehnte er auch die Verformungsgeometrie für seine Bratschen. Er schuf auf Grund solcher Analog-Erwägungen und entsprechender mathematischer Berechnungen eine spezielle unsymmetrische Form für die Bratsche, bei der sich die Spiel-Größe (also die Längen- und Größenmaße mit denen es der Musikant spieltechnisch zu tun hat) nur unwesentlich ändert, bzw. dem Spieler physiologisch angepaßt wird, aber die akustische Größe des Instrumentes (also hauptsächlich das Volumen des Klangkorpus) ganz wesentlich (bis zu einem Viertel) vergrößert werden kann.
Bei diesen Veränderungen war er gleichzeitig bemüht, die inneren Proportionen des Instrumentes, die für den Wohlklang einer Bratsche innerhalb der akustischen Relationen der Geigenfamilie entscheidend sind, möglichst unverändert zu lassen bzw. in ihrem Wesen zu erhalten. Auch im äußeren Erscheinungsbild blieben diese Instrumente, obwohl völlig neuartig konzipiert, in den gestalterischen Traditionen der Geigenfamilie, also typische Bratschen.
Wenn man in der Geschichte des Musikinstrumentenbaus nach vergleichbaren Persönlich-keiten sucht, also nach schöpferischen Naturen die derartig vielseitige Fähigkeiten und Kenntnisse in einer Person vereinigen und auch persönlich verwirklichen konnten, so wüßte ich nur noch Theobald Boehm aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts, als annähernd vergleichbar, zu nennen. Auch er, ein aktiver und leidenschaftlicher Instrumentalvirtuose, der zugleich als Goldschmied handwerklich hochbegabt war und als Musikant und Industrietechnologe engen Kontakt zur Physik pflegte, hatte sein physikalisch-mathematisch gut durchdachtes Konzept einer prinzipiell neuartigen Flöte - die heute weltweit bekannte und allgemein in Gebrauch befindliche Boehm-Flöte - selbst entwickelt, selbst hergestellt und selbst spielerisch-spieltechnisch erprobt und öffentlich angewandt. Allerdings - und hier zeigt sich ein ganz wesentlicher Unterschied zur Instrumentenbaukonzeption des Erich von Holst - geschah dies bei Boehm ohne die gezielte, bewußte Anwendung biologischer Erkenntnisse. Boehm hatte zwar ein bestimmtes physiologisches Konzept für sein Instrument, d.h. die Haltung der Hände und die Bewegung der Finger sollten möglichst unverkrampft und mit dem geringsten Bewegungsaufwand (möglichst nur einfache Auf- und Abbewegungen für die Finger) erfolgen, und da wo seitliche Fingerbewegungen erforderlich bzw. unumgänglich wurden, sollten diese möglichst auch in Richtung der entsprechenden Tonlochbohrung am Flötenrohr gegriffen werden. Dieses Konzept blieb jedoch weitgehend abstrakt; die mechanisch-theoretisch begründete Bewegungsökonomie (obwohl in sich ganz logisch ausgedacht) hielt dann doch der human-physiologischen Praxis des Flötenspiels nicht stand. Das zeigt sich in der später erfolgten Weiterentwicklung des Instrumentes besonders an zwei bemerkenswerten Punkten: Bei der Problematik der offenen Gis-Klappe (kleiner Finger der linken Hand) und hinsichtlich der Anordnung der beiden Daumenklappen. Gerade der kleine Finger und sein Nachbar können sich ganz erheblich gegenseitig behindern, wenn selbstständige Bewegungen von ihnen verlangt werden. Bei den modernen Boehm-Flöten werden nun dem kleinen Finger und dem Daumen der linken Hand ganz entgegengesetzte Bewegungen zugeordnet als beim klassischen, oder besser gesagt, beim alten, von Boehm selbst konzipierten Flötenmodell vorgesehen waren. Bewegungen, die nicht nur der Physiologie und Morphologie der menschlichen Hand, sondern, so kann man weiter gefaßt sagen, den Gesetzmässigkeiten des Zentralnervensystems des Menschen, und auch der allgemeinen ‘Biologie des Menschen’ besser entsprechen.
Darauf möchte ich gerne zurückkommen.
Doch zunächst zurück zu Erich von Holst.
Um es zugespitzt zu sagen: Hätte Erich von Holst ein Flötenkonzept entwickelt, so wären ihm als Verhaltensphysiologen und Ethologen solche Fehler sicherlich nicht unterlaufen. Aber, - wie jedermann weiß - solche Vergleiche verfallen leicht der Kritik völlig ahistorisch zu sein.
Und andererseits - wenn man historisch konkret vergleicht - könnte dies auch ganz zu Ungunsten meines Favoriten ausgehen, denn schließlich hat sich die Boehmflöte inzwischen weltweit durchgesetzt, was man jedoch von den von Holst’schen Bratschen keineswegs sagen kann. Es wäre interessant, die Gründe dafür einmal umfassend zu analysieren, denn es liegt auf der Hand, daß sich objektiv in seinem Musikinstrumentenkonzept mehr Denkwürdiges und Prinzipielles findet als bislang subjektiv von etablierten Spielern und Instrumentenbauern aufgenommen, verarbeitet und verstanden wurde. Fest steht jedoch trotzdem, daß das Bratschenproblem weiter besteht, in der Praxis des Geigenspiels unaufgelöst dasteht und auch weiter in der wissenschaftlichen Diskussion steht. Man kann sich diesem Problem auch ganz anders stellen, nämlich indem man es umgeht und die am Kinn gespielte Bratsche einfach dadurch abschafft, daß die klassische Geigenfamilie in mehr als die üblichen vier Mitglieder aufgelöst wird. Dies ist schon oft und auch schon lange gedacht, und seit einiger Zeit auch genau konzipiert und dann realisiert worden, indem eine aktköpfige Geigenfamilie für Konzertaufführungen gebaut wurde (CARLEEN HUTCHINS, Catcut Acustical Society, USA). Unverändert blieb dabei nur die Violine. Die Motivation und auch die Konstruktionsprinzipien für diese erweiterte Geigenfamilie waren aber in erster Linie akustischer Art.
Interessant ist nun, daß sich gerade hier wieder ein weiterer überraschender Zusammenhang von Musik bzw. Musikinstrument und Biologie auftut, denn die Proportionsverhältnisse dieser und auch anderer Musikinstrumentenfamilien (z.B. Blockflöten) sind wiederum in das Betrachtungsfeld und die Diskussion von Evolutionsbiologen geraten. Es geht dabei unter anderem um eine von dem Ökologen Eveleen Hutchinson aufgestellte Proportionsregel, die zunächst für Tierarten und Organismen ausgearbeitet wurde, inzwischen aber auch für Musikinstrumente und andere technische Geräte (z.B. Fahrräder, Handwerkszeuge etc.) von Biologen diskutiert wird. Einer der zweifellos bedeutendsten Evolutionsbiologen der Gegenwart, der US-Amerikaner Stephen Gould, bemerkt dazu sinngemäß, daß Hutchinson damit wahrscheinlich etwas ganz Fundamentales über Ähnlichkeitstrukturen in allgemeinen Systemen entdeckt hat. Dabei geht es auch um so etwas wie eine Theorie begrenzender Ähnlichkeiten, oder - einfacher ausgedrückt - unter anderem auch um die keineswegs einfache Frage: Wie ähnlich darf (oder muß gegebenenfalls) eine Sache oder ein ‘System’ noch sein, um selbst erfolgreich konkurrieren zu können bzw. um selbst überhaupt noch als Unterschiedenes eigene Eistenz haben zu können. Es liegt auf der Hand, daß jeder politisch bewußte oder auch besorgte Mensch (gegenwärtig ist dies ja in der DDR weitgehend identisch - unter welchem politischen Vorzeichen auch immer) sich derartige Fragen implizite für die Gesellschaftsentwicklung unseres Landes stellt.
Ich denke nun, daß derartige, wesentlich aus der Biologie stammende, oder zumindest von Biologen aufgeworfene Fragen, sowie entsprechende Erkenntnisse dazu, eben auch für ein tieferes Verständnis der Entwicklungs- und Existenzmöglichkeiten von bestimmten Musikinstrumenten bedacht werden sollten. Für manche Biologen ist dies jedenfalls - wie ich zeigen wollte - durchaus ein Thema.
Eingangs hatte ich betont, daß ich versuchen möchte, auch auf einige Probleme unseres musikfolkloristischen Instrumentariums einzugehen, und so möchte ich nun, im Sinne des bisher Gesagten, auf die Thüringer Waldzither und das Dudelsackspiel in der DDR zu sprechen kommen.
Zur Waldzither denke ich, daß ihre geschichtliche Entwicklung, aber vor allem auch ihre gegenwärtigen und künftigen Existenz- und Entwicklungsmöglichkeiten in musikfolkloristischer Praxis, weiter bedacht und Letzteres auch bewußt gefördert werden sollte. Dabei möchte ich betonen, daß meiner Meinung nach, für das Verständnis dieses Instrumentes, sowohl die erwähnten Allometriegesetzmäßigkeiten und die Instrumenten-baukonzeption des Erich von Holst, als auch solche Diskussionen wie die um die Hutchinson Poportionsregeln, von Bedeutung sein können.
Dies wäre jedoch ein eigenes , ausführlicher zu behandelndes, Thema.
Ich möchte also nur auf einige Aspekte hinweisen:
Die heute in der DDR am meisten verbreitete Variante der Waldzither (Instrument in C-Akkord-Simmung) ist im Prinzip eine Tenor-Zister und leidet hinsichtlich Stimmlage sowie Griffbrettmensur, Hals- und Korpusgröße, auch an ähnlichen Konflikten wie die ‘Tenorgeige’. Die Formveränderungen, welche Zistern historisch - bis hin zur Thüringer Waldzither - durchgemacht haben (der Korpus, insbesondere das Winkelverhältnis von Boden und Decke, waren zunächst nach hinten abgewinkelt, später eher parallel gestaltet und dann, gerade umgekehrt als anfänglich, nach hinten stärker geöffnet, wobei sich der Korpus zudem seitlich noch zunehmend verbreiterte und ‘ausrundete’ und letztlich auch noch lauten- bzw-mandolinenartig ‘ausgebaucht’ wurde etc.) sind eigentlich nicht rätselhaft, sondern eher aufschlußreich, wenn man sie (entsprechend den von Holst’schen Überlegungen) unter dem Blickwinkel dieser Konflikte betrachtet und auswertet. Unter solchem Blickwinkel könnten auch die, für die Klang- und Spieleigenschaften dieses Instrumentes wesentlichen inneren und äußeren Instrumentalproportionen, sowie die für ihr entsprechendes ‘Desing’ wesentlichen formgestalterischen Prinzipien besser herausgearbeitet werden. Dies alles gilt auch für die Möglichkeiten der Zistern, vom Diskant-Instrument bis zum Baß gebaut zu werden. Entsprechende ‘innere Entwicklungstendenzen’ zur Familienbildung gab es beispielsweise bei der Thüringer Waldzither noch vor dem 2.Weltkrieg; sie sind später aber kaum noch wirksam geworden. Ich selbst habe, im intensivem Kontakt mit den letzten Waldziher-Herstellern der DDR, in den vergangenen Jahren eine solche mehrköpfige Familie durch neukonzipierte ‘Familienmitglieder’ zu ergänzen bzw. zusammenzuführen versucht.
Nicht zuletzt ergeben sich unter all diesen Aspekten auch erweiterte Möglichkeiten, das Wesen (oder den ‘Sinn der Konstruktion’) von Zister-Instrumenten bzw. auch der Thüringer Waldzither, besser zu erfassen und neu zu konzipieren. Was macht eigentlich ihren, eine eigene unterschiedene Existenzmöglichkeit realisierenden, wesentlichen Unterschied zu anderen, ähnlich gestalteten, ähnlich konstruierten oder ähnlich verwendeten Chordophonen aus? Was macht ihr ‘Wesen’ bzw. ihre Spezifik, im Unterschied etwa zu Lauten oder Gitarren mit aufgesetztem Steg, oder etwa auch zu bestimmten balalaika- oder mandolinenartigen Instrumenten aus? Oder provokanter, aber konkret auf die Spielpraxis in der DDR zugespitzt gefragt: Was macht eigentlich den wirklichen Unterschied zwischen einer mit Mandolinenbesaitung gespielten Waldzither und einem mit Waldzither-Saiten gestimmten Mandolinen-Instrument aus?.
Ich gestehe, was ich schon andeutete, daß es mir bei all diesen Überlegungen und Fragen zur Zister auch um eine zeitgemäße, d.h. gegenwärtigen Möglichkeiten und Bedürfnissen angemessene Neukonzipierung dieses Instrumentes (ausgehend von einer notwendigen Kritik der vornehmlich exportorientierten vogtländischen Waldzither-Produktion) geht.
Eine solche Konzeption, die durch die Tradition und das Wesentliche der Geschichte des Instrumentes fundiert sein sollte, müßte dabei aber sowohl für potentielle Selbsthersteller der Amateurszene (die in der Tradition des Instrumentes ja stets zu finden waren und für seine Geschichte gewiß nicht unwesentlich sind), als auch für die professionellen Fertigungsmöglichkeiten einer modernen Meisterwerkstatt und entsprechend anspruchsvollem Musikantentum, durchdacht und entwickelt werden.
Hinsichtlich des Dudelsackes möchte ich mich hier auf zwei Aspekte beschränken. Zum ersten möchte ich auf die erwähnte Synkinese von kleinem Finger und Ringfinger zurückkommen, und zweitens möchte ich ‘einen neuen Vorschlag zur Lösung des Blasebalgproblems beim Dudelsack’ vorstellen.
Dazu muß ich zunächst auf eine gewisse Misere der gegenwärtigen Dudelsacksituation bei den Sorben hinweisen.
Die revitalisierte Form des sorbischen Dudelsackspiels, mit der wir es heute zu tun haben, hat leider kaum an den nach dem zweiten Weltkrieg noch lebendigen Traditionen sorbischen Musikantentums konkret angeknüpft, sondern etwas weitgehend Neues und Anderes eingeführt, wobei wesentliche Elemente der wirklichen sorbischen Dudelsackkultur zunächst negiert wurden. Ich möchte hier nur auf drei Momente der Musizierpraxis, die mir besonders wichtig erscheinen, hinweisen:
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