Fragwürdiges und Bedenkenswertes zu Eigenart und Wesen von Musikinstrumenten

(Vergleichsanalytische Prolegomena zum Forschungs-Projekt "Die Maultrommel - ein ‘Archaeopteryx’ unter den Musikinstrumenten"; entstanden 1991/1992)

1. Abschnitt:

Grundsätzliches im Gegensätzlichen

Inwieweit Fragwürdiges bedenkenswert, und auch bedenklich anmutendes ein Wert des Denkens und somit auch Gegenstand geisteswissenschaftlicher Anstrengung werden kann, hängt von der inneren Dynamik einer Gesellschaft und der Verfasstheit ihrer geistigen Kultur ab, in der wohl stets gewisse Kräfte der Förderung, aber auch der Behinderung und Verdrängung, bestimmter Denk- und Wertermöglichungen entfaltet werden können.

Ob letztere nun in der harten Form stringent sanktionierter Tabuisierungen erfolgen, welche oft mit großem administrativ-institutionellem Aufwand realisiert werden, oder aber in weitaus sanfter erscheinenden Formen subtiler Problemverdrängungsaktivitäten, welche oft auch ohne institutionalisierte bzw. instrumentell fixierte Sanktionierung, sowohl von eigentlich unbeteiligten, als auch von beteiligten und betroffenen Individuen massenhaft selbst geleistet werden können, zur Wirkung kommt, offenbart dabei zunächst noch nichts Genaueres über deren Effizienz.

Die harten Formen können durchaus zu höchst wirksamen Faktoren für die Bewahrung verfemter Werte und Erkenntnisse werden, oder auch der Förderung gerade gegenteiliger Tendenzen, sowie der Entstehung des eigentlich Befürchteten oder auch unvorhersehbar gegensätzlich Neuem höchst zuträglich sein, wie auch die weicheren Formen im Vergleich zum Verdrängten keineswegs einfach nur als Unkenntnis, Ignoranz oder stumpfe Borniertheit charakterisiert werden können, sondern zuweilen mit schärfstem Verstand und auf denkbar höchstem geistigen Niveau gelebt und kultiviert werden und zumeist auch eine sichere Grundlage für die Bewahrung anderer wichtiger bzw. auch für die Entwicklung bedeutender neuartiger, in dieser Denkweise eben geschützter und geförderter, Werte und Erkenntnisse, bieten können.

Man mag also in derartigen Entwicklungen, auch da wo man mit dem Verdrängten in nähere Berührung gerät, leicht geneigt werden, dann doch mehr die schützende Apologetik dieser Bedingungen zu akzeptieren, als etwa eine fruchtlos erscheinende Akzeptanz bzw. tolerante Respektierung oder gar Rehabilitierung des eigentlich Verdrängten zu leisten, zumal wenn dieses - ganz entsprechend dem Wesen solcher Verhältnisse - jeweils durchaus mit geringerer Faszination und oftmals mit weitaus weniger Würde einher geht, als es die durch härtere Formen bedrohten Werte und Erkenntnisse oftmals tun.

Und innerhalb derartiger Tendenzen bedürfen die solcherart wiederum um so effektiver kultivierten Tabuisierungen dann oft auch kaum noch des Geistes, - oder haben sich seiner ohnehin längst entledigt.

Es wäre dabei aber ein allzu trivialer und durchaus fataler Fehlschluß, nun die härteren Formen immer einfach nur im Verbund mit banalen Machtinteressen, und die weicheren mehr in Verbindung mit geistig- kultureller Ambitioniertheit oder allgemein ritualisierter Desinteressiertheit bedenken zu wollen.

Polarisierungen die etwa mit solchen Wörtern wie hart, fest, weich, flexibel, subtil, stringent usw. beschrieben werden, lassen sich da keineswegs einfach bestimmten Polarisierungen von Macht und Geist oder von Religion, Wissenschaft, Politik, Kunst, Kultur und Technik etc. zuordnen.

Die Analyse des Zustandekommens und des Wirkens der spezifischen Tendenzen solcher Kräfteentwicklungen und damit verbundener Widersprüche von Gegensätzlichkeiten und Zusammenhänglichkeiten, gehört sicherlich auch zum Arbeitsfeld und also zum objektiven Gegenstand von Geisteswissenschaft, wird jedoch, sobald sie erst einmal angestrengt wurde, also subjektiv stattfindet, wiederum selbst zu diesen objektiven Kräften gezählt werden müssen und wohl ebenfalls an entsprechend ambivalenten Entwicklungen teilhaben.

Ob man dies nun als objektiv unüberwindliches Dilemma nimmt, dem man sich subjektiv vielleicht in möglichst zurückhaltender bzw. vornehmlich ‘mildernder’ Art und Weise stellen möchte, oder vielmehr als eine vielleicht doch gestaltbare und umformbare Entwicklungsbedingung von Wissenschaft und Kultur betrachten will, welche ihrerseits die Chancen prinzipieller Möglichkeiten zur Milderung von erkenntnisverhindernden und wertemißachtenden Tendenzen solcher Kräftekonstellationen enthalten könnte, und man also vielleicht eher dazu tendiert sich an diesen Kräfteentwicklungen durchaus offensiv und engagiert zu beteiligen, kann zwar wesentliche Auswirkungen auf die innere Kultur dieser Kräfteentfaltung und damit untrennbar verbundener Gefahren von Selbst- und Fremdbeschädigung haben, kann aber auch zu fruchtbarer Entwicklung von Charaktersubstanz und besonderen Erkenntnismöglichkeiten Beteiligter beitragen, gegebenenfalls die Ausprägung spezieller Forschungsrichtungen im allgemeinen Fortgang der Wissenschaft fördern, und der Gestaltung bestimmter Proportionen von Selbst- und Fremdbestimmtheit dieser Forschungen dienlich sein, - ändert aber zunächst doch gar nichts an der eingangs geschilderten Gesamt- Situation.

Wo derartige Kalamitäten aber überhaupt nicht bedacht werden, oder etwa nur als eigentlich irrelevantes, subjektives Beiwerk von Wissenschaft und Forschung zur Kenntnis genommen werden möchten, begibt sich das daraus folgende ‘nichtbedenkende Unbedachtheitsverhalten’, auch in der konkreten wissenschaftlichen Forschung, um so leichter in die Nähe derartiger destruierender, eben Wertebildung und Erkenntnisentwicklung auch immer wieder beschädigender Kräfteentfaltungen. Und dies zumal wieder da, wo bestimmte Strukturen dieses Netzwerkes, bei aller sonstigen Geringschätzung bzw. Mißachtung seiner Objektivität, dann doch subjektiv zur vorteilhaften Selbstpositionierung und wissenschaftsbetrieblichen Machteroberung genutzt werden.

Es bleibt eine Illusion zu glauben, dass dabei dann den oben geschilderten Tendenzen und Gefahren dadurch zu entgehen sei, dass die so errungenen Positionen schliesslich doch zur Optimierung erfolgreicher objektiver Forschung genutzt werden solle, ebenso wie es letztlich doch auch apologetisierend und selbstbetrügerisch illusionär (oder auch von vornherein verlogen) bleibt, entsprechend selbstpositionierendes Verhalten als ohnehin im Wissenschaftsbetrieb unvermeidbare Aktivität im Namen der Objektivität künftiger Forschungsergebnisse behaupten zu wollen. Solche Vorgänge und Entwicklungen werden eben nicht schadlos zu absolvieren sein: All ihre Ergebnisse sind letztlich doch immer wieder auch durch Aufgabe und weiteren Verlust von individueller Charaktersubstanz und Minimierung von (in diesen Zusammenhängen dann oftmals ganz ‘unklug’ und ‘deplaziert’ erscheinender) ‘Zivilcourage’ erhandelt, und handeln so dem Wissenschaftsbetrieb und der Kultur einer Gesellschaft dann wiederum bestimmte Bedingungen für die Perpetuierung all der fatalen Netzwerklichkeiten ein, denen man doch entweder entrinnen wollte, oder aber verleugnend und selbstverleugnend auszuweichen gedachte.

Es sei aber nun nicht gesagt, dass Erkenntnisfortschritt deswegen einfach stets prinzipiell gefährdet oder gar begrenzt bleiben wird und/oder eigentlich nur im Widerstand gegen solche Vernetzungen möglich sein wird. Im Gegenteil, er erzielt sich - eben doch stets vornehmlich abhängig von den jeweils konkreten Bedingungen und Erkenntnismöglichkeiten seines Erkenntnisobjektes - trotz aller erschwerender Bedingungen denen das Erkenntnissubjekt unter konkreten gesellschaftlichen Verhältnissen ausgeliefert sein kann, doch zuweilen höchst erfolgreich. Und dies, zumal in bestimmten Spezialgebieten, oft auch gerade innerhalb der soeben geschilderten Selbst- und Fremdverwicklungen.

Es bleibt aber trotzdem die Frage, inwieweit er sich aus derartigen Verhältnissen, die eben stets auch entsprechende Selbstbeschränkungen implizieren, und all zu oft das eine Erfolgreiche nur auf Kosten und mittels Destruktion von vielem wertvollem Anderem ermöglichen, auch wieder würdevoll herausheben, umfassender vernunftorientiert eingebettet entfalten, und human- emanzipatorisch zielorientierter wirken könnte, um so auch die Bedingungen seiner eigenen Entfaltung, selbstbestimmter beeinflussen zu können, d.h. also eben auch, sich selbst, in bestimmter Weise, zu seinem selbstgestalteten Arbeitsgegenstand zu machen, um - in gleicher Richtung anders formuliert - dann eben auch dem Erkenntnissubjekt bessere Voraussetzungen für mehr Souveränität in der Selbstgestaltung seiner Entwicklungsbedingungen und der darin jeweils erkenntnisorientiert erfolgenden Auswahl und Gestaltung, seiner Erkenntnisobjekte zu ermöglichen.(1)

Die oben angedeuteten Mechanismen von Persönlichkeitsselbstbeschädigung und in Kauf genommenem Charakterverlust (die beide freilich stets Fremdbeschädigungen mit sich bringen und weiter nach sich ziehen werden), werden natürlich wiederum im Sinne der Perpetuierung der geschilderten Netzwerklichkeiten wirken. Persönlichkeitsverbiegung wird so sowohl als Mängelsyndrom, als auch als disziplinierendes, ‘Signale- setzendes’, ‘organisatorisch effektivierendes’ Moment, seine längerfristigen Ausstrahlungen bzw. auch seine unmittelbareren Wirkungen innerhalb und außerhalb dieser Verhältnisse zeitigen.

Und gerade in dieser Hinsicht sind die objektiven Offerten des modernen Wissenschaftsbetriebes, sich doch gerade auch in Wissenschaft und Kultur bis hin zur Charakterlosigkeit und selbstentfremdender Persönlichkeitsdestruierung zu bewegen, signifikant ausgeprägt, und können so auch immer wieder die Tendenz hervorbringen, all solchen Kräfteentwicklungen hinsichtlich des Stellenwertes bestimmter Gedanken und Erkenntnisse und hinsichtlich der Denkaktivitäten bevorzugt positionierter Personen - denen eben wiederum auch erhabene Zuständigkeit in der Verwaltung der Positionierung des Wertes und der Möglichkeiten der Nutzanwendung des Erkannten innerhalb und außerhalb der Wissenschaften zugeordnet wird - viel eher subjektiv- wissenschaftsbetrieblich und positionspragmatisch kalkulierend zu begegnen, als diese eben wissenschaftsproblematisch und humanstrategisch- perspektivisch bedenkend zu analysieren.

Das Problem besteht hier nicht mehr einfach nur darin, welche typischen Charaktere dann in besonderen Spezialfällen von Wissenschaftsentwicklung wohl jeweils en detail bestimmte Positionen erringen und entsprechende Einflüsse ausüben werden, sondern viel mehr darin, welche typischen Charaktermasken innerhalb derartiger Verpflechtungen letzlich en gros hervorgebracht werden.

Dieser ‘Lage der Dinge’ kann natürlich auch bewußt entgegengewirkt werden.

Sie ist aber vermutlich keineswegs einfach durch irgendwelche wissenschaftsorganisatorischen Maßnahmen, Verantwortungs- und Moral- Apelle, oder etwa fachspezifizierte ‘hippokratische Eide’, überwindbar.

Letztlich ist auch sie bestimmten, wiederum eben auch von Wissenschaft und Kultur getragenen, Entwicklungstendenzen von Persönlichkeitsentfaltungen und entsprechenden historischen Selbstgestaltungsprozessen gesellschaftlich getragener Erkenntnisentwicklungen und Erkenntnisbewahrungen unterworfen, welche so vielleicht - dies freilich wieder als eine geistes- und gesellschaftswissenschaftlich zu bearbeitende Problemstellung genommen - auch in andere soziale Qualitäten überführbar sind.

*

Welchen Zugang können solche allgemeineren Reflektionen über Zustände und Zuständigkeiten von Wissenschaftsbefindlichkeit, nun aber für ein besseres Verständnis von Musikinstrumenten ermöglichen?

Zunächst vielleicht der Versuch einer umkehrend anmutenden Antwort:

Die Erforschung von Musikinstrumenten, ihrer Entwicklung und der Entwicklung der wissenschaftlichen Beschäftigung mit ihnen, kann die hier skizzierte Wissenschaftskalamität in spezifischer Weise bewußt werden lassen und diese zugleich weiteren spezifischen Analysen zugänglich machen. Die forcierte wissenschaftliche Erforschung dieser besonderen Art von Technik wird dann aber auch wieder unweigerlich zu einem ganz bestimmten Faktor für die so verstandenen Vertiefungen ganz bestimmter Ambivalenzen der Wissenschaftsentwicklung werden können. Ein in diesen Zusammenhängen entsprechend besinnliches Nach- und Vordenken über besondere Bedeutungs- und Erkenntnismöglichkeiten in Bezug auf audioorganische Technikentwicklungen, impliziert dann aber - mehr als allein genommene Instrumentenanalysen - wiederum weitergreifende Erkenntnismöglichkeiten.

Gerade für das Verständnis der Entwicklung musikinstrumenteller Kultur, gelten und wirken solche Rück- und Vorwirkungsbezüglichkeiten in besonderem Maße und in besonderer Weise, so dass dies, sobald man gewillt ist sich außer Vor- und Nachdenken auch in die so ins Denken gerückten Probleme tiefer hineinzudenken, als zum Wesen dieses Wissenschaftsgegenstandes zugehörig betrachtet werden kann.

Freilich hat diese Möglichkeit ihre Chance nur insofern, als Geisteswissenschaft dies selbst eben auch tut, sich also im Verbund mit Kräften entsprechender Selbstthematisierung, auch zur Thematisierung dieser hier weitergreifenden musikinstrumentellen Spezialität in die Lage bringt.

Die bisherige Tradition der Organologie oder auch der Musikethnologie impliziert dies jedoch kaum.

Musikinstrumente sind aber objektiv, als Gegenstand und Mittel von Wissenschaft, Technik, Kultur und Kunst, in solche Konstellationen und Ambivalenzen von Wissenschaftsbefindlichkeit und Erkenntnisentwicklung in besonderer Weise eingebunden.

Dies kann sowohl hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Ontogenese individueller Persönlichkeitsstrukturen sowie in Bezug auf ihre soziokulturelle Bedeutung innerhalb bestimmter gesellschaftlicher Bewegungen und Entwicklungen, als auch hinsichtlich ihrer Bedeutung als einem aufschlußreichen Wissenschaftsgegenstand gelten.

Hinsichtlich Letzterem problematisiert sich in ihnen sowohl eine human-wissenschaftliche Dreifaltigkeit von werkzeugtechnischer, kulturantropologischer und kunstwissenschaftlich- ästhetischer Entwicklung, als auch die Notwendigkeit eine mehr naturwissenschaftlich zu orientierende Analyse aus der Sicht von Mathematik, Physik und Biologie - hier insbesondere wohl auch Physiologie und Ethologie - wiederum mit human-wissenschaftlichem und philosophischem Denken bewußt zu koppeln.

All dies ergibt sowohl die Möglichkeit Wesentliches über den Menschen als Werkzeughersteller und Techniker und als Musik- machendes Wesen zu erfahren, als auch, durch detailliertere Kenntnisnahme der dazugehörigen Wissenschaftsgeschichte, bestimmte Aspekte und Probleme der Kultur menschlicher Denkentwicklung in Wissenschaft und Kultur besser verstehen zu lernen, und vielleicht auch bestimmte dieser Probleme und Konflikte perspektivisch auflösen zu können.

Aber nicht nur fortgeschrittene menschliche Denkentwicklung, sondern auch der frühgeschichtliche Übergang zu menschlichen Sozialstrukturen bzw. die Entstehung und Entwicklung der Menschheit selbst, ist ohne die Problematik der Entstehung und Entwicklung von Musik und Musikinstrumenten eigentlich nicht angemessen zu verstehen.

Musikinstrumente sind nicht nur konkrete Belege für bestimmte Sozialstrukturen und gesellschaftliche Vorgänge, sondern in ihrem Wirken stets mit ganz spezifischen Tendenzen der Sozialisierung, und zumal im Vorgange der Musik immer mit besonderen aktuell wirkenden Vergesellschaftungs- Tendenzen und entsprechenden Prozessen konkreter Sozialisierung, verbunden.

So wie dabei wahrscheinlich dem Faktor des Spiels, der bislang in der Erforschung der Vor- und Frühgeschichte der Menschheit noch viel zu wenig berücksichtigt wurde (2), eine wesentliche Rolle für ein vertieftes Verständnis der Entstehung der Menschheit zuerkannt werden muss, so muss auch die Bedeutung musikinstrumenteller Technikentwicklung in bisheriger Menschheitsentwicklung, sowie hinsichtlich möglicher Perspektiven der Menschheit, gründlicher bedacht werden, - denn Musikinstrumente sind Spielzeuge per excellence.

Die im Unterschied zum gewöhnlichen Spielzeugverständnis viel weitere Bedeutung des Spielbegriffes die hier impliziert ist, umgreift aber - bestimmt durch das objektive Wesen und die Eigenarten von Musikinstrumenten - eigentlich alle Problem- Dimensionen dieses Begriffes überhaupt.

Vom Kinderspiel, über wettbewerbliche Kampfspiele, bis zum lustvoll freien Spiel schöpferischer Kräfte oder auch der, das Maß jeglicher Freiheit sukzessive einengenden, Spielsucht usw...

Vom vogelfreien Spielmann, bis zum geldabhängig spezialisierten Servicvirtuosen, welcher sich selbst zum Spielball von Modeentwicklungen macht.

Vom Amateur, der sich seine musikantische Verspieltheit und Spiellust stets bewahrt, bis zum professionell disziplinierten ‘Berufs- Spieler’, der den erforderlichen Vollzug vorgeschriebener Exaktheit auch lustlos ‘spielend’ bewältigt.

Vom introvertiert spielerischen Musikmachen, welches nur die Gefühlsbefindlichkeit des einen Einzelnen selbst tangiert, dessen ‘Selbst- Spiel’ auch nur für sich selbst gedacht und gefühlt ist, bis zum eigentlich fast unspielerischen und vielleicht sogar lust- und gefühllos absolvierten ‘Vor- Spielen’, bei welchem vielleicht nur noch an das Spiel mit den Gedanken und Gefühlen anderer zu denken ist, usw...

Dabei kann die Tatsache, dass Musikinstrumente, da wo unsere Kultur sie ernst nimmt, in der Regel gerade nicht als Spielzeug im Sinne des ‘Kinderspielzeugs’ gelten, vielleicht ebenso aufschlussreich sein, wie die Tatsache, dass es die besten und anständigsten Gründe und Argumente dafür gibt, dass sie eigentlich gerade auch dies sein sollten - auch möglichst lebenslänglich und möglichst in einer durch ihr Wirken mitgetragenen Kultur der Selbstverständlichkeit massenhaft individuell- schöpferisch- offener, und dadurch freier Persönlichkeits- Bewegungen und -Entwicklungen, innerhalb derer (bei allen phylogenetisch erworbenen Vorstrukturiertheiten ontogenetischer Entwicklungsabläufe) doch die schöpferischen Freiheiten eines in Kinderzeiten voller Spaß-, Phantasie- und Hoffnungen begonnenen Lern- Spielverhaltens, niemals prinzipiell durch verordneten oder selbstauferlegt einengenden ‘Ernst des Lebens’ enden müssen.

Und insofern kann die Problematik von Spiel und Spiellust, von Lebensfreude und Lebenssinngebung, gerade dadurch zur besonders ernsten Angelegenheit werden, dass sie um so ernsthafter zur Sache von Wahrheitssuche und Erkenntnisfortschritt gemacht wird, wobei mit einer in diesem Sinne betriebenen und entsprechend intensivierten Musikinstrumentenforschung vielleicht auch eine weiter greifende Bedeutungsgestaltung der Spiel- Problematik erarbeitet, ins allgemeine Bewußtsein gerückt, und in menschliche Zukunftsgestaltung eingebracht werden kann. Musikinstrumentenforschung ist hier unweigerlich in besonderer Weise betroffen, geeignet und gefordert; - wobei ihre diesbezügliche ‘Besonderheit’ eben wiederum unweigerlich eigener spezifischer Forschungsgegenstand sein wird...

Dass wahre Freude - auf allen Ebenen von Hoffnung, Lust, Spaß, Spiel und erhabener Glückserfahrung - stets ernsteste Angelegenheit der Sinngebung humaner Lebensgestaltung ist, kann eben gerade auch durch die mit Musikinstrumenten spezifisch verbundenen Spiel- Ermöglichungen sinnfällig werden, wobei Musikinstrumente immer wieder verdeutlichen können, dass Lebenssinngebung und Lebens-Perspektivgestaltung letztlich eben auch ‘im Spiel’ und durch ‘Spiel’ lustvoll zu leisten sind.

In dieser Sicht problematisiert sich Lebens- und Zukunftsgestaltung dann auch um so deutlicher als konfliktgeladenes Spannungsverhältnis zwischen ganz unterschiedlichen kulturellen Tendenzen, innerhalb derer sich eine in obiger Weise als verbindlich- sinnbestimmte ‘ernste Sache’ verstandene Lust, Freude und Lebensfreude, den scheinbaren Unverbindlichkeiten von oberflächlichen Spiel- und Spaß- Betriebsamkeiten, von kommerzbestimmt organisierten Verlustierungen, bis zu geldlüstern organisierter Vermarktung von Lüsternheiten, und letztlich bis zu Verlustigungen, in deren Verlaufe das ‘Verlustig- Gehen’ bestimmter anderer wichtiger Werte unbemerkt immer unerkennbarer wird, gegenüber gestellt sehen kann, und sich dabei sowohl in nur scheinbar unvereinbarer, als auch in unversöhnlich- gegensätzlicher Form begegnen können.

Die erste Tendenz wird dabei zwar oft der Gefahr unterliegen in den Kultur- Betriebsamkeiten und Verlustigungen der zweiten zu verkommen und ‘verlustig’ gehen zu können, kann aber im Laufe dieses wiederum weitläufig vernetzten Kräfte-‘Spiels’ - gerade auch im Verbund mit wahrheitssuchender Sinngebung und humanistisch orientiertem Erkenntnisfortschritt - letztlich doch die Chance behalten auch zu wachsen, in Unterschiede. setzender Weise stärker zu werden, und auch die oft so selbstverständlich erscheinenden Absurditäten sinnentleerender Kommerzialisierung, immer wieder grundsätzlich und Gegensatz- bestimmend, in Frage zu stellen.

Dass nun gerade Musikinstrumente in besonderer Weise ‘Performance- geeignet’ sind, und also in diesem Kräftespiel unterschiedlicher und gegensätzlicher kulturellen Tendenzen wiederum eine ganz unübersehbare und auch ganz unverzichtbare Rolle spielen, und sich unter bestimmten Bedingungen hier sowohl sinnvoll Sinnerstrebendes als auch Sinnentleerendes, Unsinniges und Ünwürdiges, mit ihnen, und an ihnen, anstellen läßt, ist unübersehbar.

Und deutlich scheint dann auch, dass derartige Sinnverfremdungen oftmals gerade dann um so leichter geschehen können, je weniger solche Musikinstrumente hinsichtlich des Reichtums ihrer eigentlichen spezifischen Möglichkeiten bedacht und erwogen worden sind.

Nur dies zu sehen, kann aber auch trügerisch sein.

Sinnverfremdung wird sich auch mit Hilfe von akademisch gespreiztem Fachwissen und bescheidwisserischem Spezialistentum betreiben und eskalieren lassen.

Gerade ‘Wissenschaftliches zu Musikinstrumenten’ kann, ob nun mehr in der Form exquisitärer Informationen über ferne, exotisch- geheimnisvolle und legendenumwobene Kulturen, oder auch als abgehobenes Spezial- und Sonderwissen zu speziellen in Mode geratenen bzw. zur Mode gemachten, ‘show- und kulturgeschäftlich- etablierten’ Instrumenten etc., ganz spontan als attraktives Angebot an Kulturvermarktung erscheinen, und dort, oft ohne weitere Umstände, in interessanter und effektvoller Weise eingebaut werden. Dies sowohl in zweifellos verdienstvoller, als eben auch in geldverdienstvoll- zweifelhafter, und letztlich eben auch in verheerender, erkenntnisbeschädigender Weise.

Unter der Voraussetzung gewinnorientiert- geldbeherrschter Kulturbetriebsamkeit werden bestimmte Tendenzen innerhalb dieses Kräftespiels aber auch dazu neigen können, ganz gezielt und kaltblütig nach Wissenschaft zu greifen, um diese nicht nur zur gelegentlichen Drapierung bestimmter Einzelereignisse ‘dabei zu haben’, sondern eben auch zur kommerziellen Effektivierung des Kulturgeschäftes - bis hin zur Veranstaltung kulturvermarktbarer Unsinnigkeiten und entsprechender Perfektionierung attraktiver Inszenierungen von Sinnentleerung und Enthumanisierung - gezielter zu nutzen, und so zumindest bestimmte geeignet erscheinende Aspekte und Teile des Wissenschaftsbetriebes in ‘show- gerecht’ selektierter, und also auch in entsprechend leicht ‘zurechtzumachender’ (bzw. sich dann auch selbst ‘gefällig’ gestaltender) Form, in den entsprechend deformierten Kulturbetrieb einzubringen. Im so veranstalteten ‘Zusammenwirken’, läßt sich dann auch leicht und fast reibungslos (wiederum als besonderes und effektives Show- Element des Kulturbetriebes) die gegenseitige Verleihung von ‘Kultur- Heiligenscheinen’ zelebrieren, in deren diffus schimmerndem Zwielicht dann auch die hier eigentlich stattfindende Profanierung von Werten, sowie die Verstärkung bestimmter destruierender und enthumanisierender Tendenzen, effektiv selbstumschleiert und vernebelt, aber auch um so reibungsloser und kaltblütiger, kommerzgerecht gestaltet und veranstaltet, werden können.

Eine entsprechende ‘Performancierung’ von Wissenschaftsprojekten, wird sich an deren kommerzgerechter Profanierung dann kaum noch vorbeimogeln können, und dementsprechend involvierte Wissenschaft wird im weiteren Pakt mit solchen Trendentwicklungen auch unweigerlich immer wieder eigene Projektionen beschädigen.

Nichtkorrumpierte Wissenschaft wird demgegenüber eher dazu tendieren, aus erhellender Forschung heraus, entsprechende Widerstände und auch gezielt angestrengte Reibungen zu entwickeln: Reibungskräfte die zu produktivem Abrieb von erkenntnisverhinderndem Fehlverständnis, Unverständnis und Unsinnigkeit führen können, aber vor allem auch immer wieder die Wärme sinnerschließender Erkenntnismöglichkeit zustande bringen.

So wird eine ihre eigenen Verantwortlichkeiten selbstbewußt befragende Wissenschaftskultur diesbezügliche Antworten hier wohl auch in der Verpflichtung zur kulturvollen Gestaltung der Erkenntniskraft entsprechender Reibungen, bis hin zur Reibungswärme der Sinngebung humaner Lebensgestaltung, finden und konkret gestalten können, und dann einer so begriffenen Erkenntnisverflichtung wiederum um so weniger entweichen können, je deutlicher das Netzwerk derartiger unterschiedlicher Wirkungen und Wirkbeziehungen von menschlichen Musikinstrumenten, menschlicher Wissenschaften und menschlicher Gesellschaft, eben selbst zum Gegenstand von gesellschaftlich getragener Musikinstrumentenwissenschaft gemacht wird.

Und gerade eine in dieser Sinnorientierung engagierte Erforschung von Musikinstrumenten, wird diese Wärme wiederum in besonders kulturverbindlich- humanorientierter Weise hervorbringen können, und so - in vielfältigen Verbindungen mit Kunst, Kultur und anderen Wissenschaften - auch wieder auf viele andere Bereiche ausstrahlen lassen können.

Die im Gegensatz dazu geschilderten Verkommenheiten von profitorientierter Performancierung und Kulturvermarktung, sind hier aber auch symbolisches Beispiel für Vorgänge, die sich bei der Thematisierung von Musikinstrumenten - die eben auch immer wieder mit alltagsenthobenen feierlichen und feiertäglich veranstalteten Kulturereignissen zu tun haben werden - in ähnlicher Weise auch seitens und innerhalb des Wissenschaftsbetriebes selbst, veranlassen und veranstalten lassen.

Im Alltag von Kultur- und Wissenschaftsponsoring wird es eine stets schwierig zu entscheidende Frage bleiben, worauf man sich eher verlegt, oder verlegen läßt: Möchte man sich wirklich immer nur dem hohen Aufwand und dem Risiko derartiger, mit kühlem Sinn anzustrengender und dann auch spezifische ‘Reibereien’ erforderlich machender objektiver Forschungen (die in ihren Mühen oft weltfern und langwierig, und hinsichtlich ihrer Erfolge oft ungewiß bleiben werden), widmen und verschreiben, bzw. sich in dieser Forschungsmühsal selbst ‘verschreibend aufreiben’, oder sich von Fall zu Fall doch auch auf eher reibungsärmere Aktivitäten in Richtung näherliegenderer und/oder auch eher leichtgleitend- flutschender Erfolgsereignisse einlassen, die hinsichtlich Geld- und Ehren- Zuweisung eine eher sichere, irdisch- öffentlichkeitswirksame (und insofern stets auch ‘ehrenvoll’ erscheinende) ‘Aufwertung’ des in Frage (und vielleicht in ‘Geldnot’) stehenden Fachgebietes mit sich bringen werden... ?

Alle Bedenken darüber, dass dies eine größere Nähe und diverse Anbindungen zu doch eher trivialisierend- kommerzialisierten Kultur- Vermarktungsmechanismen nach sich ziehen wird, können dann wiederum leicht damit besänftigt werden, dass doch aber gerade mit einem dortigen ‘Wissenschafts- Engagement’ auch ein Beitrag zur Niveauerhöhung dieser Kultur- Bereiche geleistet werden könne...

Man kann es also auch in diesen Beziehungsgestaltungen von Musikinstrumentenwissenschaft und musikinstrumenteller Kultur, mit einem ganz ähnlich strukturiertem Dilemma zu tun haben, aus welchem sich dann, auf den verschiedensten Ebenen und Netzlinien dieses, auch in größerem Rahmen zu bedenkenden Beziehungsgefüges, wiederum die verschiedenartigsten Motivationen und Charakterstrukturierungen - zuweilen aber auch ganz bestimmte wissenschaftsorganisatorische Strukturierungen - ergeben können und von Fall zu Fall auch entsprechend verfestigen werden.

Es bleibt eine Grundfrage wissenschaftsbedenkender Sinnsuche, inwieweit und in welcher Weise demgegenüber auch verantwortungsnachfragende Bedenken über Wissenschaft, ihre sinnhaften und entsprechend produktiven Strukturierungen in menschlicher Gesellschaftsentwicklung finden können.

Aus den konkreten Wechselwirkungen solcher, eher abstrakt- theoretisch anmutender Fragestellungen, mit den ihnen entsprechenden (bzw. diese hervorbringenden) konkret- wirklichen Zusammenhängen, wird sich dann vielleicht - freilich wohl auch nur im Zusammenhang mit grundsätzlichen Veränderungen und Weiterentwicklungen von Wissenschaft und menschlicher Gesellschaft - auch erst sagen und entscheiden lassen, ob sich künftig erweiterte Perspektiven in Richtung einer inhaltlich reichhaltigeren Entfaltung von entsprechend humanisierten ‘Werk- Spielzeugen’ ergeben können, oder sich vielmehr doch eine eher armselig bleibende (wenn auch in ihren Formen noch so reichtümlich und luxeriös gestaltet erscheinende) Spezialisiertheit von ‘Spiel- Werkzeugen’ durchsetzen wird.

Und auch eine solche Alternative, sowie die daraus erfolgenden Entwicklungsentscheidungen, werden wiederum stets eine sehr spannungsreiche Angelegenheit bleiben.

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In engem Zusammenhang mit den bisher dargestellten Verflechtungen und einem in vieler Hinsicht wiederum analogen Spannungsfeld, sind Musikinstrumente auch als ‘Gefühlszeuge’ bzw. als ‘Gefühls- Werkzeuge’ zu verstehen.

Nicht nur, dass ihre kulturvolle Herstellung und Verwendung bislang weitgehend individuelle, und oft in höchstem Maße individualisierte, ‘Gefühlssache’ geblieben ist und gerade als solche auch unter den Bedingungen hochindustrialisierter Massenproduktion immer noch höchsten Respekt genießen kann, - auch der Vorgang ihrer sinnhaften Nutzung impliziert in stärkstem Maße Gefühlsverbindlichkeit.

Man muß einfühlsam und gefühlvoll mit ihnen umgehen um so erst eine der wichtigen Voraussetzungen ihrer musikwirksamen Gefühlsrelevanz, nämlich die innere Präsenz selbstgelebter eigener Gefühlsqualitäten entsprechend aufzubauen. Oft wird das Instrument im Spiel erst Gefühlsmacht über den Spieler erlangen müssen um diesen dann wirklich intensiver an die Gefühle anderer herantreten zu lassen, und so der Musik die Möglichkeit zu geben weitere Gefühle zu erzeugen oder zu ergreifen, - bis hin zur möglichen Entfesselung der Macht von Gefühlen....

Beide Aspekte, der des Spiels und der des Gefühls, können dabei zudem deutlich werden lassen, in wieweit auch Musikinstrumente als banale, oder auch höchst raffinierte, Lust- und Genußvermittler wirksam werden können.

Gerade mit dieser Bezüglichkeit stehen sie gegenwärtig in einem besonders eigenartigen Spannungsfeld der Entwicklung von Menschheitskultur.

Was habe uns diese Klang- Werkzeuge nun noch, oder vielleicht auch nun gerade (ob nun in eher traditionell natürlich- akustischer, oder in mehr modern anmutend technisierten bzw. elektrifizierten Erscheinungsformen), zu sagen oder zu geben, wo wir uns doch gerade in eine Zivilisationsentwicklung hinein reißen lassen, die vielleicht soeben dabei ist, sich immer mehr vom geschriebenen (also auch durchaus klanglosen) Wort als wesentlichem Kulturträger zu verabschieden, und sich - freilich nun unter gänzlich anderen Voraussetzungen als vor dessen Buch- und Zeitungs- gedruckter Karriere - in eine Kultur televisioniert- illusionärer Bildsprache zu begeben, welche doch so deutlich mit der Tendenz daherkommt sich der Wort- und Musikklänge (und hier zumal der instrumentalen) vornehmlich (oder lediglich?) als ihres Bei- und Begleit- Werkes zu bedienen?

Wird bisheriger musikinstrumenteller Technikentwicklung und den mit ihr bislang verbundenen Traditionen hier eine Auf- oder eine Abwertung ‘widerfahren’?

Und in welcher Weise?

Setzt nun vielleicht eine Entwicklung ein, welche musikinstrumenteller Technik möglicherweise sehr schnell und unbedacht eine gänzlich andere Position als bisher zuweisen wird - vielleicht mit genau der Gedankenlosigkeit die aus dem Nichtbedenken ihrer wesentlichen bisherigen, und möglichen künftigen Bedeutungen resultieren muß ?

Bedenkt man Musikinstrumente in dieser Weise, so geht es keineswegs nur um Gefahren die aus den Verworrenheiten aktueller Zeitgeschichte resultieren, sondern um Problemfelder, welche das Verständnis der gesamten Menschheitsgeschichte berühren.

Die mögliche Wesensbestimmung musikinstrumenteller Technik, vielleicht im Sinne eines Reiches menschlicher Freiheit und Würde innerhalb sinnerfüllter schöpferisch- freier Zeit, jenseits von eher ‘not- wendiger’, humane Schöpferkraft mehr verschleißender, Arbeit, wirken zu können, und in diesem Sinne auch eine zukunftsweisende entwicklungstragende Rolle ‘mit spielen’ zu können, verspielt sich vielleicht gerade im Laufe einer nun zwar klangvoll umrahmten und instrumental begleiteten, aber doch mittels Wortverarmung innerlich immer gedankenärmer werdenden Entwicklung, innerhalb derer Freizeit dann so sinnentleert ausgefüllt wird, dass auch die Mittel dieser - zwar in den Formen möglicherweise wieder reichaltigen, aber inhaltlich doch reichlich kümmerlichen - Ausfüllung, eine Selbstverkümmerung hinsichtlich des eigentlichen Reichtums ihrer Möglichkeiten erleiden können.

Musikinstrumente können in diesem Spannungsfeld ganz verschiedenartig betroffen sein.

Ob nun bestimmte Gefahren der Verkümmerung erwogen werden, oder eher die Größe des inhaltlichen Reichtums ihrer besonderen humanistischen Potenzen bedacht wird, keine anderen menschgeschaffenen Gegenstände implizieren derartige Bezüglichkeiten letztlich in gleicher oder auch nur annähernd problemvervielfältigender Weise, wie eben Musikinstrumente. Sie lassen im Vergleich mit sonstiger Werkzeugbenutzung des Menschen durchaus andere Bedeutungsperspektiven und andere Werthorizonte ins Blickfeld sinnsuchenden Bedenkens geraten.

Dabei wäre auch eingehender zu bedenken, inwieweit die historisch- emanzipatorisch grundsätzliche Problematik der ‘Entfremdung des Menschen’, die in allgemeineren Betrachtungen zu Arbeitswerkzeugen und Technikentwicklung oft analysiert und beleuchtet worden ist, nun in Bezug auf musikinstrumentelle Technikentwicklung weitere Facetten und erweiternde Negationsmöglichkeiten erfahren und gewinnen kann.

In der entsprechenden Erforschung dieser, in besonders verbindlicher Weise humanisierten Technik, deren Schallwerkzeuge eben doch auch innerhalb andersartig strukturierter Sphären menschlicher Produktions- Aktivitäten hervorgebracht wurden, kann vielleicht auch der Blick in Richtung erweiterter Möglichkeitsfelder menschlicher Gesellschaftsentwicklung geöffnet und offengehalten werden.

Selbst da wo die Werkzeuge dieser Technikentwicklung in eingeschränkter Weise, als lediglich knechtisch- dienend degradiertes ‘Arbeits- Werkzeug’, oder als wesentlich kommerzbestimmtes ‘Effektgerät’, zu funktionieren haben, treffen wir auf ganz andere Verhältnisse von Tierischem und Menschlichem, von Bedürfnisbefriedigung, Lustgestaltung und Bedürfnisentwicklung, von Liebesbestrebung, Schönheitsentwicklung und Glückserfahrung usw.; und dann auch auf ganz andere Organisiationsbedingungen von Leben und Arbeit, von Herrschaft und Knechtschaft, von Freizeit und Arbeitszeit, von Hand- und Kopf- Arbeit usw...Es tut sich auch hier ein vergleichsweise anders strukturiertes Problemfeld auf.

Die offensichtliche Hochspezialisiertheit von Musikinstrumenten als Nutzgeräte zur Musik- realisierenden Schallerzeugung, ist mit einer anderen, weniger offensichtlichen Spezialität dieser Technik, nämlich ihrem besonderen Reichtum an wichtigen Bezüglichkeiten zum Verständnis nicht nur musikbezüglicher, sondern eben diese einschließender, aber auch darüber hinaus reichender, allgemeinerer menschbezüglicher Aspekte, verbunden.

Durch all diese Bezüglichkeiten ergeben sich auch besondere Verankerungen innerhalb des eingangs skizzierten ‘Kräfte- Spiels’ (und den damit auch zwangsläufig reibungsvoll verbundenen Machtkämpfen), wobei diese eine ihrer Besonderheiten hier vielleicht auch darin haben, dass sie eben nicht durch augenfällig schweres Kettenzeug, sondern vielmehr durch feines leichtes, kaum sichtbares, zuweilen aber recht reissfestes Fadenwerk erfolgen; oft keineswegs auffällig oder gar schwerfällig wirken, aber in spezifischer Durchwirktheit eben doch oft sehr festzurrend wirksam sind, und vielerlei Bewegungen im Denken und in der Wirklichkeit verhindern.

Die durch bestimmte Traditionen sowohl im singulären Denken von Individuen, als auch im pluralen Organisationsgeschehen der Gesellschaft weitgehend etablierte, und in vielen Formen immer wieder festgelegte bzw. sich erneut verfestigende Trennung von Natur- und Geisteswissenschaften, bildet dabei wiederum eine wesentliche, sozusagen zusätzlich vernetzend wirkende, Komponente; - freilich ohne eben diese Wissenschaften selbst sinnvoll zu vernetzen.

Die unkritische Wertschätzung, ja fast Heiligsprechung, der vor über einem dreiviertel Jahrhundert als ‘Ein Versuch’ angebotenen ‘Systematik der Musikinstrumente’ von Sachs und Hornbostel, und die gerade auch dadurch weitgehend ‘festgeschriebene’ Vierklassenteilung der Musikinstrumente, welche trotz ihres hohen Maßes an signifikanten Unkorrektheiten und der schon von verschiedenen Autoren betonten inneren Unlogik, gegenwärtig immer noch weitgehend als gültig unterstellt wird, und dann auch als Grundlage weiterer Untersuchungen und Editionen unterstellt wird, gehört nach meiner Meinung ebenso zu diesem Fadenwerk, wie etwa die oftmals festgeschriebene Auffassung, dass diese Schall- Werkzeuge stets als ideengeleiteter Ausdruck menschlicher Kultur- Bemühungen zu verstehen seien. Unter diesen Vorzeichen und Voraussetzungen unterbleiben oftmals die eigentlich notwendigen technikwissenschaftlichen, bzw. physikalisch- naturwissenschaftlichen Analysen gänzlich, oder verbleiben wirkungsarm im Hintergrund des betreffenden bzw. betroffenen Wissenschaftsgeschehens, und gelangen so kaum noch zu systemkritischer Wirkung.(3) Reflexionen über die Entwicklung von Musikinstrumenten bewegen sich dabei mehr um die Vorstellung, dass damit menschliches Bestreben in Richtung bestimmter Klangwünsche subjektiv realisiert werden sollte, und leiten so an der Problematik anderer, objektiv naturgegebener und sozialökonomisch bestimmter Entwicklungsvoraussetzungen vorbei.

Verschwommene Erahnungsanalysen über ‘musikalische Postulate’, oder auch letztlich vage bleibende Betrachtungen zu ‘technomorphen’ und ‘antropomorphen’ Elementen musikinstrumenteller ‘Organprojektionen’, können dabei einen höheren innerwissenschaftsbetrieblichen Kommunikations- Stellenwert erhalten, als die Analyse konkretisierbarer physikalisch- akustischer Prinzipien, welche doch eigentlich eine der objektiven Grundlagen für das Verständnis der Entwicklung wesentlicher ‘Baupläne’ bzw. wichtiger Grundkonstruktionen und grundsätzlicher Funktionsprinzipien, sowie humanbedingter Spielmöglichkeiten, von musikinstrumentellen Technik- Entwicklungen sind. Es werden in dieser Denkweise dann auch kaum Fragen produziert, die etwa vom Standpunkt exakter Schallerzeugungsphysik auf die naturwissenschaftliche Problematik der prinzipiellen Möglichkeiten der Verwirklichung naturgesetzlich bedingter akustischer Prinzipien aus den dem Menschen in seiner Geschichte zugänglich werdenden Naturmaterialien hinleiten, und so etwa auch die weitergehende Frage enthalten könnten, mit welchem Maß an Verwirklichtem wir es eigentlich in der Gesamtheit der Musikinstrumente, bei verschiedenen Gruppen, oder auch bei bestimmten einzelnen Exemplaren, oder - mit anderer Blickrichtung - auch innerhalb bestimmter ethnischer Kulturen, tatsächlich bislang zu tun haben könnten, bzw. mit welchen bedenkenswerten Eingeschränktheiten diese, ohne Zweifel zunächst überaus vielfältig anmutende, Instrumentalkultur vielleicht einhergeht, und/oder welche Wege und Umwege Menschen bislang bei der Realisierung genereller akustischer Natur- Möglichkeiten in Musikinstrumenten beschritten, oder eben auch vermieden oder ‘verpasst’ haben, und welche objektiven Entwicklungsbedingungen realer Möglichkeiten dieses besonderen Zweiges menschlicher Technikentwicklung für ein besseres Verständnis dieser Kultur- und Kunstobjekte, aber vielleicht auch für den geschichtlichen Gang der Technikentwicklung überhaupt, näher ins Auge zu fassen wären.(4)

Auf dem Hintergrund der Getrenntheit von Geistes- und Naturwissenschaften ergeben sich aber auch umgekehrt, d.h. beispielsweise seitens der Technik- und Ingenieurwissenschaften, bemerkenswerte Ausblendungen von eigentlich unübersehbaren und unabweisbaren Problemlagen.

Einschlägige Darstellungen der Geschichte menschlicher Technik enthalten beispielsweise kaum etwas über Musikinstrumente - selbst da nicht, wo offensichtliche Querverbindungen hinsichtlich unterschiedlicher technischer Anforderungen, oder der Entwicklungen spezifischer Technologien, existieren, bzw. analoge Entwicklungswege auf unterschiedlichen Gebieten zu verzeichnen wären, oder auch aufschlußreiche Alternativsituationen in der Entwicklung von Zivilisation und Kultur hinsichtlich der Nutzung bedeutender Entdeckungen und/oder Erfindungen zu bedenken wären.

Man denke beispielsweise an die Entwicklung des Drahtes und seiner unterschiedlichen, aber doch zusammenhänglich zu betrachtenden Bedeutungsentwicklung in Technik und Kunst & Kultur, oder an die offensichtlichen Analogien in der Entwicklung von Röhreninstrumenten der Musikgeschichte und der Waffenentwicklung in Jagd- und Kriegstechnik, oder - gerade anläßlich Draht und Waffentechnik eigentlich unübersehbar - an die Bedeutung des Bogens, als einem der wesentlichen Ausgangspunkte für ganz unterschiedliche, aber bis in die Gegenwart von faszinierenden Innovationen begleiteten Entwicklungen von Waffentechnik und Musiktechnik.

Man muss es hier vielleicht nur am Rande vermerken, dabei aber doch deutlich festhalten, wie charakteristisch es für den Zustand gegenwärtiger Kultur- und Wissenschaftsentwicklung ist, dass Waffen weitaus besser wissenschaftlich untersucht und in vielen Aspekten auch durch Wissenschaft mehr perfektioniert wurden, als etwa Musikinstrumente, wobei doch die letzteren, obwohl für erstere weitaus mehr Geld ausgegeben und mehr Aktivitäten aufgebracht werden, sowohl einen höheren Reichtum an Menschlichkeit, als auch an wissenschaftlichen Möglichkeiten des Menschen, mehr über sich selbst erfahren zu können, implizieren.

Und es ist dabei auch höchst bemerkenswert, wie sich beide Wissenschaftsbereiche immer wieder aus dem Weg gehen, wo sich doch in der oft wechselseitgen Geschichte von Musikinstrumententechnik und Waffentechnik eine Reihe von ganz bestimmten (und also auch wissenschaftlich näher zu untersuchenden) Berührungen ergeben haben.(5)

Dieses symptomatische Mißverhältnis mag in seinen Auswirkungen auch eine Erklärungshilfe dafür sein, dass, wiederum umgekehrt (und zumal auch wieder ganz anders als bei Waffen), oftmals exakte naturwissenschaftliche Erkenntnisse über ein Musikinstrument und seine weiteren Möglichkeiten, so gut wie gar keine Auswirkungen auf den entsprechenden Musikinstrumentenbau haben.

Musikinstrumente und Musiker bewegen sich da oft in einem erstaunlich konservativen, zuweilen deutlich innovationsfeindlichem, oft auch mit Mythen, Legenden und erkenntnisverhinderndem Kult durchwirkten Beziehungsgefüge, an welchem durchaus auch bestimmte Wissenschaftsrichtungen teilhaben, oder aber andere wiederum, trotz bestimmter Erkenntnisbeiträge, wirkungslos und marginal bleiben.

Anmerkungen/Quellen:

1)

Siehe dazu:

Eichler, B.H.J.: Parteilichkeit - Zur Entwicklung des Wortgebrauchs und des Prinzips, in: DZfPh, 31 (1983) 1

2)

Siehe dazu auch:

Eichler, B.H.J.: Werkzeugverhalten und Sozialität im Meinungsstreit,

in: Löther, R. (Hrsg.) Tiersozietäten und Menschengesellschaften, Jena 1988

3)

Siehe dazu auch die 1991/1992 entstandene Arbeit:

Eichler, B.H.J.: Das Schwirrholz - Tongenerator zwischen Geist und Natur (Teil I),

in: Bröcker, M. (Hrsg.) Berichte aus dem ICTM - Nationalkomitee Deutschland, Probleme der Pflege und Aufführungspraxis traditioneller Musik, Bamberg 1993

4)

Siehe dazu auch die vorliegende Fortsetzung zur Schwirrholz-Problematik:

Eichler, B.H.J.: Das Schwirrholz - Tongenerator zwischen Geist und Natur (Teil II);

in: www.bhje.de

5)

Interessanterweise könnte man hier sogar die These aufstellen, dass erste programmatische Schritte, bzw. entsprechende grundlegende Wissenschaftsprojekte zur intensiveren Erforschung grundsätzlicher Wechselseitigkeiten von Musikinstrumenten und Waffentechnik, vielleicht eher seitens bestimmter Militärwissenschaften, als etwa seitens der Musikwissenschaften zu erwarten sind, da sich Militärwissenschaften (gerade auch im Vergleich zur Musikinstrumentenkunde) in ihrer bisherigen Entwicklung immer wieder besonders innovationsoffen und entwicklungsflexibel gestalten konnten.

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