Das Schwirrholz - Tongenerator zwischen Natur und Geist (Teil II)
(entstanden in Fortsetzung von Teil I; 1992/1993)

In seiner Schrift "Vergleichende Musikwissenschaft / Musik der Fremdkulturen" gibt Curt Sachs im Abschnitt "Die Instrumentalmusik", folgende Darstellung, in die auch das Schwirrholz eingeordnet ist:
"Auch die Freude am Lärm ist physiologisch begründet und beim urwüchsigen Volk nicht minder stark ausgeprägt wie beim Kind. Dennoch gibt es gerade in den niederen Kulturen kaum ein Beispiel von Lärm um des Lärmes willen. Heftige Geräusche können schrecken und scheuchen - die oft erprobte Wirkung auf den Menschen muß sich nach primitivem Glauben
auch beim Geist bewähren. So tritt das lärmende Schallzeug zwangsläufig in den Dienst jener Vorstellung, die alles Geschehen auf Geister zurückführt und es durch Verscheuchung und Verschüchterung der feindlichen Geister beeinflussen zu können glaubt. Die einfachen Stegreifaufschläger, die Rasselgehänge am Leib der Tänzer, Gegenschlagstäbe, Schraper und Kürbisrasseln - sie alle vertreiben böse Dämonen.
In diesen Kreis treten dann neue Instrumente, die nicht zu rhythmischem Lärm einladen: Schwirrhölzer, Pfeifen, Heultuben, Schneckentrompeten. ‘Ton’ ist nicht beabsichtigt; im Gegenteil, wo der Schall nicht schreckend und abstoßend genug ist, wird er durch besondere Vorkehrungen verschlimmert."(1)
Diese Darstellung geht in bemerkenswerter Weise an der Eigenart und den Besonderheiten des Schwirrholzes vorbei.
Es erscheint hier als heftig lärmendes Instrument, welches zwangsläufig einer vorbestimmten primitiven Glaubensvorstellung untergeordnet wird, die alles Geschehen auf Geister zurückführt, welche als feindliche Mächte verschreckt und verscheucht werden müssen.
In dieser Funktion wird es - gerade zusammen mit Pfeifen und Trompeten usw. - als ein Instrument geschildert, welches ‘gerade nicht zu rhythmischem Lärm einlädt’, aber geeignet erscheint, seine Schallerzeugung durch besondere Vorkehrungen verschlimmernd und also besonders abstoßend und erschreckend gestalten zu lassen...
Im Grunde genommen ist nahezu alles falsch an einer solchen Darstellung des Instrumentes.
Im ersten Teil meiner Arbeit (2) über das Schwirrholz konnten bereits bestimmte Zusammenhänge von instrumentaler Wirkweise und kultureller Bedeutungsentwicklung aufgezeigt werden, die verdeutlichen, daß diesem Instrument eine ganz andere Position zugeordnet werden muß: Kein einfach lärmendes Schallzeug, sondern ein exzellentes Kultgerät. Ein Musikinstrument welches keineswegs nur in der subalternen Rolle eines Hilfsmittels zur Geistervertreibung anzutreffen ist, sondern weit eher in entgegengesetzten Rollen wirkt: selbst als Geist erscheint, Geister aufruft, den Geist beschwört und in Bewegung halten kann...

*

Die Vielfalt von Anmutungsqualitäten die uns im Vorgang der Tonerzeugung eines Schwirrholzes begegnen, sind keineswegs das bewußt gestaltete Ergebnis von entsprechend gezielten Anstrengungen bei der Herstellung oder dem Gebrauch dieses Musikinstrumentes. Ihre spezifische Faszinationskraft ergibt sich auch ohne besondere spieltechnische Ambitionen oder sonderliche Feinheiten des Instrumentenbaus. Sie entsteht eben auch trotz solcher - oder etwa auch gegenteiliger - Ambitionen, vornehmlich, und durchaus zwangsläufig, aus der Natur der inneren Funktionsweise des vom Prinzip her ganz einfach herzustellenden Instrumentes.
Freilich ergibt sich dies stets nur aus menschlichem Tun, aber das Instrument ist von seinem geschichtlichen Ursprung her, gewiß gänzlich ohne die Motivation der Erzeugung oder Gestaltung von Schallereignissen entstanden.
Wenn es nur um die Herstellung des Instrumentes und dessen Tonerzeugung geht, so kann man - ganz anders als wenn es um das Verständnis seiner Eigenarten und seine Nutzung innerhalb einer Kultur geht - nicht viel falsch machen.
Es bleibt auch denkbar, daß der Herstellungsprozess eines solchen Instrumentes noch ganz werkzeuglos, lediglich mittels biotisch vorgeformter, vorgefundener Naturmaterialien vonstatten gehen kann. Und die spezifische instrumentelle Klangqualität umgeschwungener Schwirrhölzer wurde dabei wohl eher zufällig und schlagartig entdeckt, als etwa mit hohem Einsatz an Erfindergeist und gezieltem Interesse an der Gestaltung eines bestimmten Klangbildes langwierig herausgearbeitet.
Freilich kann man etwa Lautstärke und Tonlage, und in gewissem Maße auch den Klangcharakter der erzeugten Geräusche und Töne durch Veränderung der Art und Form von Fadenteil und Flachkörper beeinflussen, aber eben doch kaum die für die Wirkung des Instrumentes so wesentliche Grundstruktur des klanglichen Gesamtereignisses.
Man kann allerdings Vermutungen darüber anstellen, ob es instrumententechnische und spieltechnische Möglichkeiten geben könnte, mit denen vielleicht die rhythmische Grundstruktur des Klangereignisses bestimmten Parametern im Verhalten des Spielers, oder vielleicht auch bestimmten rhythmischen Strukturen seines Organismus, angepaßt oder zumindest angenähert werden könnte.
Aber solche Hypothesen haben, auch wenn man Derartiges, gerade in Anbetracht der inneren Mechanik des Instrumentes, nicht völlig ausschließen sollte, doch eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit hinsichtlich der bisherigen Geschichte des Instrumentes.
Ich denke jedoch, daß derartige Fragen, auch im Sinne eines besseren Geschichtsverständnisses, künftig wiederkehrend bedacht werden sollten.
Denn wenn sich Derartiges auch für die bisherige Geschichte des Schwirrholzes weitgehend ausschließen läßt, so hat doch das genauere Verstehen einer solchen, bislang unverwirklicht gebliebenen Möglichkeit, auch seine Bedeutung für das Verstehen dieser Geschichte.
Hier können sich allerdings die Geister scheiden:
Was in der Geschichte nicht gefunden wird und wo sogar anzunehmen ist, daß es auch nicht stattgefunden haben wird, daß wird wohl auch nicht zum wirklichen Verständnis der Geschichte beitragen?
Oder anders betrachtet:
Gerade auch die eingehendere Betrachtung bestimmter nicht nachweisbarer bzw. auch ‘nachweisbar nicht stattgefundener’ Möglichkeitsverwirklichungen, kann - durchaus unspekulativ - zu einem besseren Verständnis der wirklichen Geschichte beitragen.
Ich tendiere aus vergleichsanalytischer Sicht durchaus zu der letztgenannten Herangehensweise.
Am Beginn der Evolution dieses Instrumentes und seiner dann so großartigen Bedeutungsentwicklung innerhalb menschlicher Kulturgeschichte, stand keineswegs eine ideell geleitete Suche nach befindlichkeitsentsprechender oder gefühlsverwirklichender Schallerzeugung, sondern weit eher, ich würde sogar sagen mit Sicherheit - so jedenfalls meine These zu diesem kleinen unscheinbaren Kulturgiganten unter den Musikinstrumenten - lediglich eine Zufallsbegegnung. Kein ideengeleiteter Schritt im Sinne akustischer oder musikalischer Bedürfnisse, sondern eher eine Stolperbewegung, vielleicht auch ein Aufprall, oder ein Schlag vor den Kopf, der - so würde ich außerdem aufgrund verschiedener Überlegungen und vergleichender Untersuchungen annehmen - wahrscheinlich vorwiegend aus dem Umkreis waffentechnischer Bemühungen zu verstehen ist.
Und die weitere musikinstrumententechnische Entwicklung des Schwirrholzes ist dann auch keineswegs durch signifikante Verbesserungen seiner Klangqualität oder der Verfeinerung und/oder Perfektionierung seiner instrumentellen Funktionsweise gekennzeichnet.
Vielmehr hat sich das Instrument offenbar in dieser Hinsicht so gut wie gar nicht entwickelt, - ja es scheint mir sogar so zu sein, daß das besondere Prinzip der Tonerzeugung welches in ihm realisiert ist, bislang keiner weiteren großartigen Entwicklung zugänglich war.
Als großartig kann man jedoch ansehen, daß mit diesem Gerät ein instrumentales akustisches Prinzip verwirklicht und vom Menschen intensiv in Gebrauch genommen wurde, welches sich eigentlich nicht so ohne weiteres naturgegeben und naturwüchsig selbst offenbart; für das es vor seiner Verwirklichung durch den Menschen weder deutliche Anhaltspunkte oder herausfordernde Analogien in der Natur, noch bestimmte naheliegende akustisch geleitete Übergangsbeziehungen aus gegenstandsvermittelten oder anderen Verhaltensweisen des Menschen gab. Betrachtet man hier nur die im oben zitierten Passus von Sachs genannten anderen Musikinstrumente, so kann dieser grundsätzliche Wesensunterschied bereits deutlich werden: Er nennt zunächst Schlag-, Schrap- und Rasselinstrumente und dann Pfeifen, Heultuben und Schneckentrompeten.
Alles Instrumente die - gerade völlig anders als das Schwirrholz - vom Prinzip ihrer Schallerzeugung her absolut nichts Außergewöhnliches, sondern lediglich aus alltäglicher Erfahrung herstammendes und im Zusammenhang mit Arbeitstätigkeiten, Eßgewohnheiten und immerwiederkehrend gewohnten Körpergeräuschen geradezu Selbstverständlichstes bieten, - lediglich in speziell instrumentalisierter und zum Teil auch effektivierter, schallverbesserter (oder - wie Sachs möchte - ‘verschlimmerter’) Form.
Das Schwirrholz aber ist von ganz anderer Art.
Diese grundsätzliche, kulturgeschichtlich - und eben gerade auch audioorganologisch - so überaus wichtige Differenzierung ergibt sich dabei aber nicht in erster Linie aus der Herstellungstechnologie solcher Instrumente, sondern eben viel mehr aus der Eigenart der mit dem Schwirrholz erzielten neuartigen Entdeckung von Naturmöglichkeiten und Naturwesenheiten.
Sobald geeignete Sehnen, Lianen, Rindenstreifen oder Ähnliches zur Verfügung stehen, läßt sich ein schallwirksames Schwirrholz gewiß einfacher herstellen als etwa bestimmte Rasselgehänge, Heultuben oder Schneckentrompeten; und die Verfügbarkeit von Material und Technologie zur Herstellung der letztgenannten Instrumente ist geschichtlich nicht unbedingt vor der Verfügbarbeit von schwirrholzgeignetem Schnur-Material anzunehmen.
Die Ausgangsmaterialien bei der Entstehung erster Schwirrhölzer, also Fadenzeug und Flachkörper, sowie auch die Antriebskräfte, also die exzentrisch schleudernde Armbewegung des Menschen, sind zwar durchaus biotischen Ursprungs, aber es handelt sich dann doch um ganz mechanische, durchaus abiotische Technik, die da vonstatten geht.
Und - es bleibt eigenartig und seltsam - das auf diese Weise technisch erzeugte Klangergebnis mutet dann doch wie eine Lebenserscheinung an, ohne daß ein solches lebensanmutiges Erzeugungsprinzip von Schall, je in der toten oder lebendigen Natur unseres Planeten irgendeine Rolle gespielt hätte.
Bedenkt man das Zustandekommen vieler anderer Klangereignisse, die der Menschheit wohl auch, oder vielleicht gerade, in ihren frühen Entwicklungsphasen allenthalben bedeutungsvoll begegnet sein müssen, und, sowohl im Umgang mit dem eigenen Körper, als auch in einer Vielzahl von Alltagserfahrungen im Umgang mit körperfremden Dingen, sowie letztlich mit und in ihrer gesamten Umwelt, durchaus als erklärlich und zumeist wohl auch als durchaus gewöhnlich erscheinen konnten, und bedenkt man auf diesem Hintergrund die Möglichkeiten der Entstehung und Weiterentwicklung erster musikinstrumenteller Technik, so erweist sich das Schwirrholz auch hier als durchaus ungewöhnlich und eigentlich unvergleichlich, auch wenn der Akt seiner Entstehung vielleicht ganz simpel und problemlos anmuten mag, und auch eine bis in die Gegenwart immer wiederkehrende Neuentdeckung der akustischen Effekte einer so benutzten Kombination von Faden und Flachkörper keineswegs unwahrscheinlich sein muß.
Diese ‘Vergleichslosigkeit’ seines instrumentalen Seins konnte aber durchaus bereits in frühen Menschengesellschaften bemerkt werden und vielleicht auch bereits in den ersten Stadien seiner Wirksamkeit ins Bewußtsein getreten sein.
Das Instrument kann also auch in dieser Hinsicht durchaus als ‘überirdisch’ aufgefaßt werden.
Ich halte es im Sinne eines besseren Verständnisses der Evolution musikinstrumenteller Technik für überaus wesentlich, derartige Differenzierungen zu ermitteln und vergleichend zu analysieren. Die Suche nach solchen instrumental-akustischen Prinzipien, die sich eben nicht so ohne weiteres naturgegeben oder naturwüchsig, zudem vielleicht auch noch ständig wiederkehrend, in der konkreten Erfahrungswelt einer Zeit, offenbaren, und/oder zur Übernahme, Nachahmung und technischen Entfaltung geradezu einladen, sondern eigentlich tiefer verborgen sind und ohne den erprobenden Umgang des Menschen mit der Natur auch stets verborgen bleiben würden, und also erst, ob nun spielerisch zufällig, oder angestrengt zielstrebig, des Entbergens durch menschliche Tat bedürfen, um überhaupt zu klingender Wirklichkeit zu werden, scheint mir auch grundlegend für das Verständnis des natürlichen Systems musikinstrumenteller Technik und seiner Entwicklung zu sein.
Um an einem Beispiel zu verdeutlichen, in welcher Richtung dies gemeint ist, kann man sich vielleicht vor Augen halten, welchen unterschiedlichen entwicklungsgeschichtlichen und instrumentell-technischen Hintergrund die speziellen Töne haben, die etwa einerseits durch Mundharmonikaspielen und andererseits durch Birkenblattblasen hervorgebracht werden können. Oder - um ein anderes, analoges Beispielspaar derartiger Unterschiedlichkeit zu nennen: Man denke etwa an die Möglichkeit, Vogelgezwitscher mit einem besaiteten Streichinstrument oder einer Flöte nachahmen zu wollen.
Beides kann in bestimmten Bereichen dieser verschiedenartigen instrumentalen Erzeugungsmöglichkeiten verteufelt ähnlich klingen, und andererseits können damit sowohl Menschen wie auch Vögel in die Irre geführt werden. Aber der instrumentale Hintergrund, die Geschichte dieser menscherzeugten Tonmöglichkeiten, sowie der naturgegebene Hintergrund ihrer technischen Realisierungsmöglichkeiten, sind von gänzlich anderer Qualität; die jeweiligen Instrumente stammen aus ganz unterschiedlichen Entwicklungen; es sind gänzlich verschiedenartige Naturmöglichkeiten der Schallerzeugung die da vom Menschen, zu welchen Zwecken auch immer, genutzt werden.
Das Schwirrholz steht hier, im Sinne dieser Überlegungen und Beispiele, durchaus auf der Seite der gestrichenen Geigensaite und der Harmonikazunge, verfügt aber eben nicht über eine vergleichsweise so grandiose instrumentelle Evolution wie die letzteren beiden. Und auch wenn es - wie bereits gezeigt - gerade dadurch gekennzeichnet werden kann, daß es in der Lage ist, mit Hilfe des Menschen bioanaloge Klänge hervorzubringen, so folgt dies hier eben keineswegs aus entsprechend ambitionierten instrumentenbauerischen Bemühungen oder besonderen spieltechnischen Fertigkeiten.
Freilich, - man könnte die Sache in diesem Punkt auch so interpretieren, daß der Mensch mittels dieses Gerätes in die Lage kommt, besonders effektiv und eindrücklich animalisch anmutende Geräusche nachzuahmen und also seine biotisch- organischen Fähigkeiten mittels dieses Werkzeugs sinnvoll und zielgerichtet verlängert, erweitert, verstärkt usw...
Ich meine, daß mit einer solchen Betrachtungsweise zwar von Fall zu Fall entsprechend formale oder auch diesbezüglich apologetische Beschreibungen (03) gegeben werden können, daß sie aber keineswegs einem wirklichen Verständnis der Wirkungsweise von Musikinstrumenten und dem Wirken des Menschen in musikinstrumenteller Technikentwicklung entgegenkommt.
Der wirklichen Natur des Schwirrholzes sind derartige kurzgefasste Interpretationen jedoch überhaupt nicht angemessen.
Sobald man hier nicht nur die mögliche Wirkung von Tönen, und deren Vergleichbarkeit, bzw. deren Ähnlichkeitsstrukturen bedenkt, sondern auch die spezifische Wirkweise des Instrumentes ernster nimmt, - dann wird Nachahmung doch nicht als das Wesentliche gelten können. So betrachtet, gibt es dann auch viel weniger Grund zu der vorschnellen Annahme, daß angesichts dieses Werkzeuges nun vielleicht wieder ein neues Mittel verlängerter menschlicher Macht über die Natur zu verzeichnen sei...
Zweifellos ist die Eindrücklichkeit des Klangergebnisses engagierten Schwirrholzspiels eben auch durch Ähnlichkeit, und insofern gewissermaßen durch Nachahmlichkeit, bestimmt.
Seine tiefergreifende Faszination ist aber vielmehr dadurch begründet, daß gerade diese Nachahmlichkeit keineswegs der Intention des Nachahmens entspringt. Was hier nachahmlich anmuten mag, ist, gemessen an sonstiger Nachahmung mittels Musikinstrumenten, wiederum unvergleichlich. Es entspringt in seinem instrumentellen Dasein eben nicht subjektivem Wollen, sondern vielmehr der durch Willen kaum noch zu beeinflussenden instrumentellen Mechanik. Und gerade ein solcher Widerspruch, d.h. das hieraus resultierende Spannungsverhältnis, wird, sobald sich Menschen davon berühren lassen, zu weitergreifender Faszination führen können.
Die Unheimlichkeit der Schallerzeugung ist, deutlich sichtbar, mit ganz ungewöhnlichen Bewegungsmustern des am Faden kreisenden Flachkörpers verbunden.
Muster, die eben auch nicht einfach nur als verlängerte Bewegungen des Spielers, als von ihm beabsichtigte, oder von seinem Willen gelenkte Ausdrucks- oder Gestaltungsformen, verstanden werden können, die eben nicht einfach er bestimmt, sondern die wiederum das Instrument zustande bringt, die von dessen innerer Mechanik bestimmt werden, und damit sowohl Außenstehende, als auch den im Mittelpunkt des Schwirrholz-Bannkreises agierenden Spieler, zusätzlich zu beindrucken vermögen. Die Unheimlichkeit des eigen-produzierten Fremd-Klanges, der stets mit unheimlichen und fremden, aber synchron-strukturierten Eigenbewegungen des Instrumentes verbunden ist, und die Verbindung des Spielers wiederum mit all diesem, bilden einen untrennbaren Komplex, den aber keineswegs der Spieler beherrscht. Er setzt die Sache eigentlich nur in Gang.
Und er hat dabei nur wenig Möglichkeiten eines spielerischen Umgangs mit diesem Tonerzeuger.
Das Schwirrholz erweist sich, trotz seiner unbestreitbaren Faszination während seines Spiels, keineswegs als anspruchsvolles oder aufmunterndes Spielzeug, auch keineswegs als ein vielleicht etwas störrisches Glücksspielzeug, sondern eher als ein Ding, welches zwar in seinen Außenwirkungen imponierend ist, aber entsprechend seiner inneren Wirkweise eigentlich vorwiegend von einer deprimierend abstrakten Leistungsabforderung lebt.
Es bedarf vorwiegend dumpfer Ausdauer und unschöpferisch gestaltungslos ermüdender Anstrengung - fast könnte man sagen: ein Sportgerät.
Ein Gerät, welches einem letztlich nur die Chance läßt, es entweder immer wieder in seiner ganzen Faszination in Betrieb zu nehmen, sich ihm auszuliefern, oder aber das Teufelszeug lieber gar nicht erst anzurühren.
Befindet es sich aber erst einmal in einem solchen vielseitigen Bedeutungsgefüge, so wird das tote Gerät wohl auch wiederum genügend virulent sein können, um sich in der Zuordnung zu einem lebendigen Spieler sein künstliches Leben in Klang und Bewegung wieder aufs Neue verleihen zu lassen.
Wenn ihm zudem innerhalb einer Kultur eine würdige Kultposition bzw. ein obligatorisches Ritual zugeordnet wird, so kann sowohl sein Leben als Musikinstrument, als auch seine sich im Kult gegebenenfalls noch steigernde Faszinationskraft, auf lange Zeit gesichert sein. Ein Übergang zur Ritualisierung und zum Kult wird jedenfalls gerade bei diesem Instrument, durch die hier in exzellenter Weise vorliegende, ganz spezifische, Kombination von Tonbewegung, Instrumentenbewegung und Spielerverhalten, sowie ganz bestimmter Rückwirkungen dieser Kombination auf das Verhalten aller Beteiligten, gefördert werden können.
Um sich einem Verständnis für die Bedeutung des Schwirrholzes in der Geschichte der Menschheit wirklich anzunähern, muß mehr als nur die Eigenart der vom Instrument hervorgebrachten Tonereignisse betrachtet werden; genügt es keinesfalls, das Instrument etwa nur als nachahmenden Tonerzeuger oder als Hilfsmittel akustischer Kommunikation anzusehen.
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Dem anfänglich - sozusagen in erster Instanz - vom klangvollen und angestrengten Geschehen im Bannkreise des pulsierend bewegten Schwirrholzspieles beindruckten Außenstehenden, werden, sobald er selbst Gelegenheit nimmt sich in die Position des Spielers zu begeben, ebenfalls derartig komplexe Erfahrungen erwachsen, aber auch die daraus resultierenden Erweiterungen widerfahren können, worauf wiederum die Eindrücklichkeit der ganzen Angelegenheit verstärkt werden kann. Auch er, zuvor vielleicht nur äußerlich von den Anstrengungen des Akteurs beeindruckt, und durch den sich überschlagend kreisenden und unheimlich tönenden Schwirrkörper auf Distanz gehalten, kommt nun, ohne dabei besondere spieltechnische Schwierigkeiten meistern zu müssen, ebenfalls in die Lage, übersinnlich anmutende, lebendig pulsierende Töne vom Himmel zu holen, und kann dabei zugleich selbst erleben, daß dies nicht einfach sein eigenes Werk ist.
Auch ihm widerfährt, je mehr er vielleicht versucht die Sache zu beherrschen oder zu forcieren und den sich entfaltenden Strukturen des Instrumentes seinen Spielerwillen aufzuprägen, nun die fremde Macht der sich selbst ordnenden Strukturen des Gerätes.
Gänzlich anders als beim sonstigen Gebrauch effektiver und nützlicher Gegenstände und Geräte aus seiner bisherigen Erfahrungswelt, kann er hier die neue, aber eben zwiespältige, Erfahrung machen, daß dieses Werkzeug sich zwar relativ leicht und effektvoll in Betrieb nehmen läßt, aber trotzdem nicht eigentlich beherrschbar ist: Die ansonsten buchstäblich auf bzw. in der Hand liegende "Verlängerung" seiner werkzeugverstärkten, sinnlich-gegenständlichen Kräfte, die im Normalfalle durchaus als sein eigenes Werk weitgehend konkret überschaubar bleiben können, weisen hier, zumal da, wo der Schritt ins Reich der Töne fernab von unmittelbar gewollter Nutzwirkung geschieht, abstrakt in ganz andere Dimensionen. Sobald er sich aber davon anrühren läßt und die Sache nicht einfach als unerheblich oder unsinnig abtut, wird die Verarbeitung solcher Erfahrungen durchaus zur Befindlichkeit der Erfurcht oder der Angst vor dem ungewohnt Übersinnlichen führen können, welches hier in unheimlicher Weise am Werke ist.
Ohne daß er bereits jemals vergleichbare Erfahrungen machen konnte, begegnet ihm nun auch so etwas wie eine unheimliche Maschine: Ein lebloses Ding, welches geräuschvoll Bewegungen vollführt, nicht leicht zu durchschauen, aber durchaus leicht anzuwerfen ist; dann aber wieder schwer zu beherrschen ist. Und eben auch durchaus gefährlich bleibt, solange der alle Außenstehenden distanzierende Flugkreis des rotierenden Flachkörpers laut und pulsierend in Bewegung ist. Gefährlich und eindrucksvoll unheimlich für Außenstehende, aber in besonderer Weise eben auch unheimlich eindrucksvoll für den Betreiber der Sache.
Er hat damit zwar Macht zur räumlichen und seelischen Distanzierung Außenstehender in der Hand, wird dabei aber zugleich auch stets eigene Machtlosigkeit durch das fremdartige Wirken innerer Kräfte des Gerätes erfahren können, deren Unheimlichkeit sich vielleicht wiederum dadurch effektiv bewältigen läßt, daß die ganze Sache nun besonders machtbestrebt und eindruckserheischend nach außen gewendet wird. Denn innere Ängstlichkeit und der aus ineffektivem Bemühen resultierende Zweifel an eigener Macht läßt sich hier durchaus effektiv in machtvoll erscheinendes Imponiergehabe wandeln. Und so gewendet kann das eigenwillige Gerät dem hilflosen Spieler, wenn er sich plötzlich lieber zum Machtpolitiker wandeln möchte, durchaus gelegen kommen und auch entsprechend nützlich erscheinen.
Eine weniger aphoristische Betrachtung, wird hier sogleich bedenken müssen inwieweit biologische Verhaltensforschung nahelegt, daß auch beim Menschen phylogenetisch erworbene Dispositionen eine Rolle spielen können, welche einen solchen Übergang, von Ängstlichkeit und verunsicherndem Selbstzweifel zu machtvoll anmutendem Imponierverhalten, durchaus leicht machen.
Eine weitergefaßte organologische Betrachtung wird zudem - worauf bereits hingewiesen wurde - die für das Schwirrholz relevanten waffentechnischen Aspekte eingehender bedenken müssen.
Man könnte nun - möglicherweise zu aphoristisch - auch sagen, daß hier bereits der verführerische ‘Dämon Technik’, vielleicht noch etwas verschlafen, aber doch schon unübersehbar und mit schauerlicher Stimme, sein maschinenvermitteltes Spiel treibt. Und, so könnte man hinzufügen, daß nun wohl auch nicht mehr lange zu warten bleiben wird, bis daß jemand daherkommt, der sich einen solch eindrucksvoll distanzierenden technischen Apparat eigens als attraktives Imponiergerät, als Macht- und Statussymbol; zulegen wird.
Eine derartige Profanierung wird dann wiederum mit dazu führen, daß dem Gerät nun auch bevorsteht, aus den banalsten Gründen sozialer Herrschaftsbestrebungen heraus heilig gesprochen zu werden; - zwar aus den niedrigsten Gründen des gemeinen menschlichen Wesens heraus, aber immerhin von den höchsten Instanzen des menschlichen Gemeinwesens herab.
Auf diesem Hintergrund können die so eindrucksvoll tönenden und so deutlich distanzierenden Geräte dann auch mit ganz neuer Aufmerksamkeit behandelt werden und fortan aus geheiligten wertvollen Materialien, in bedeutungsvoller Form und mit vielen sinnbeladenen Zeichen und Verzierungen hergestellt werden, wobei dies dann allerdings mit ihrer Funktionsweise als Tonerzeuger oder dem Ziel eines edleren Klanges kaum noch etwas, mit ihrer sozialen ‘Über-Funktion’ als Organisations- und Herrschaftsmittel aber sehr viel, zu tun haben wird...
Natürlich sollte der oben angestrengte, völlig ahistorische, Technik-Aphorismus in dieser Abstraktheit sogleich wieder verworfen werden; - die geschilderten Folgerungen sind jedoch der menschlichen Geschichte und ihrer Technikentwicklung keineswegs fremd, zumal dann, wenn es nicht einfach um Nutzgegenstände geht, deren Entwicklung lediglich auf kaltblütige Zweckmäßigkeit gerichtet scheint, sondern es sich, wie eben bei Musikinstrumenten, um Dinge handelt, denen die weihevolle Bedeutung von Kunst und Kultur zugemessen wird.
Aber natürlich mehr noch, wenn unmittelbar Machtwerkzeuge und davon abgeleitete Machtsymbolik im Spiele ist; - am ausgeprägtesten vielleicht wieder bei Waffentechnik...
Und bemerkenswert bleibt auch, daß gerade dieses Musikinstrument, durchaus im Unterschied zu anderen, offenbar besonders geeignet sein kann, einen solchen, eigentlich entwürdigenden, Funktionswandel zu überstehen. Solange es nur flach und länglich, und sein flexibler Faden fest bleibt, wird es seine Tonwirksamkeit im Kern unbeschadet erhalten können.
Aber, so sehr solche Betrachtungsweisen auch gerade hier, beim Schwirrholz - dem Kultinstrument par excellence - naheliegen und sich geradezu anbieten mögen, so enthalten derartige Folgerungen doch immer die Gefahr furchtbarer Verkürzungen hinsichtlich der wirklichen Geschichte.
Historische Vorgänge werden in ihrem konkreten Verlauf immer ein hohes Maß an Einzigartigkeit beinhalten, welches nur durch konkrete Untersuchungen im Detail ermittelt werden kann. Die Geschichte ist wohl zu komplex von den Zusammenhänglichkeiten unterschiedlichster Art durchwirkt und dabei so vielfältig mit Zufälligkeiten verwoben, und das Schwirrholz befindet sich darin in einer zu würdigen Position, als daß dem allein mit solchen Verkürzungen beizukommen wäre...
Wenn man nun zur Betrachtung der konkret möglichen Erlebnissubstanz aus dem aktiven Umgang mit dem Instrument zurückkehrt, so ist, statt einer Maschinen-Analogie, eher festzuhalten, daß den frühen Menschen hier bereits so etwas wie die eindrucksvollen Phänomene, für die sich inzwischen die moderne Chaosforschung interessiert, begegnet: Eine Ereignisfolge, die durch die "fraktale" Eigenschaft der Selbstähnlichkeit gekennzeichnet ist. Jede der Flug- und Ton-Phasen eines genügend ausdauernd betätigten Schwirrholzes entstehen als untereinander ähnliche Folgen, sind aber auch bei bestem Willen des Spielers nie völlig gleich zu gestalten. Ihr Umschlagspunkt, aber auch die innere Struktur jeder Phase, sind jeweils schwer bestimmbar und stets unterschiedlich, aber der Gesamtprozess ist von einer deutlichen Ordnungsstruktur beherrscht; - ein unvergleichliches audiovisuelles Ordnungsmuster. Eine erstaunliche Insel der Regelmäßigkeit in einer Welt vielfältig verwobener Zusammenhänglichkeit, die solche künstlich hervorgerufenen, sich aber selbst ‘Natur-gemäß’ ordentlich strukturierenden Phänomene eigentlich keineswegs in selbstverständlicher und alltäglicher Weise offenbart. Geradeso wie auch in moderner Chaosforschung zuweilen künstliche, mit toter Technik provozierte Ordnungsphänomene hervorgebracht werden, die oftmals in erstaunlicher Weise Formen und Strukturen zeitigen, die ansonsten nur die Evolution des Lebendigen hervorbringt, - eben durchaus ähnlich wie das, was wir über die Strukturen des aktivierten Schwirrholzes wissen können.
Hier ist nicht einfach der abstrakt unterstellte Dämon Technik zu vermerken, sondern, als viel konkretere Analogie, eher so etwas wie das "Apfelmännchen", - das legendäre Fraktal der Chaosforschung.
Allerdings nicht einfach - wie beim bunten Computerbild der künstlichen Labortechnik - eine Erscheinung, die sich gut festhalten und dann als totes Bild wiederholt in Ruhe betrachten läßt, sondern ein, zwar durch menschliche Aktion künstlich hervorgerufener, aber eben doch natürlicher, klangvoller Bewegungsvorgang in all seiner Augenblicks-Vergänglichkeit, - dessen Wiederholung auch immer wieder hingebungsvoller körperlicher Anstrengung bedarf.
In dieser Anstrengung aber, also in der aktiven Tat des Schwirrholzspiels, kann der Akteur auch sofort die zweifelausräumende Bestätigung erfahren, daß es sich beim Umgang mit dem Gerät keineswegs um die gezielt beeindruckende Aktion eines wissenden, eingeweihten und elitären Könners, oder gar um die absichtsvolle und trickreiche Veranstaltung eines Gauklers handeln muß, sondern, daß die erstaunlichen Ordnungsstrukturen eben tatsächlich aus den sich immer wieder selbst organisierenden Kräften des Gerätes resultieren. Auch wenn ihm dabei weiterhin unklar und geheimnisvoll bleiben mag, woher diese Kräfte wiederum kommen
mögen. Bei aller objektiven Gewalt der Erscheinung, und aller Gewalt, die er ihr vielleicht subjektiv antun möchte, - er bleibt doch stets der lebenserhaltende Motor von Ton und Bewegung. Wenn seine Bewegung ausbleibt, erstirbt auch der Schwirrholzklang; - ganz anders als man es aus normaler Erfahrung, etwa von manch klangvoll angeschlagenem Gegenstand, kennen kann, der selbst dann noch weiter zu klingen vermag, wenn die menschliche Bewegung längst schon beendet ist, und der einen neuen Klang oder gegebenenfalls einen genauen Ton auch sogleich mit der nächsten gezielten Bewegung des Spielers wieder von sich geben wird,- so wie man es ja auch alltäglich von allerlei anderen geräuschvollen Bewegungen und Berührungen mit allen möglichen Gegenständen durchaus gewohnt ist...
Beim Schwirrholzspiel ist jedoch die angestrengte Dauerbewegung des Spielers gefordert und die Töne können gerade nicht mit gezielter Motorik sicher geordnet oder gefühlvoll beherrscht werden; der Schwirrholzspieler ist zwar der stets erforderliche Motor dieses Aggregats, aber eben nie die Seele vom Ganzen, - geschweige denn der Beherrscher des ganzen Vorganges. Dieser ordnet sich eben selbst, solange er brav angetrieben wird.
So wird sich - vielleicht in vielfachem Hin und Her - bestätigen, daß dem Eindruck, den man als Außenstehender haben kann, auch eine Befindlichkeit entspricht, die einem als Akteur im Innern des Schwirrholzkreises verstärkt und erweitert wiederfährt.
Und insofern kann durchaus bei beiden eine, von Fall zu Fall vielleicht mehr ängstliche oder mehr ehrfürchtige, innere Befindlichkeit erwachsen, die wiederum der äußeren Befindlichkeit eines Kultes durchaus zugeneigt sein kann; dieser aus innerer Not, zur Bewältigung oder Bestätigung eigener Befindlichkeit vielleicht geradezu bedarf, und so auch durchaus geneigt sein kann, an der gemeinschaftlichen Organisation von Faszination und Unheimlichkeit als äußerer Notwendigkeit teilzuhaben.
In einer sich dann allmählich verfestigend etablierten Faszinationsorganisation können zunächst all solche Faktoren von mal zu mal mit neuer Kraft und erneuerter Bestätigung ausgerüstet werden, - können aber dann in der weiteren Eigenbewegung des Kultes auch in unterschiedlichster Weise verschleißen, oder verfestigend erstarren.
Naturwüchsig entstandene Unheimlichkeit, die zunächst jedem Einzelnen verfügbar sein kann, aber so eben auch ganz unzugänglich und abschreckend fremd auf ihn wirken wird, kann durch das Ritual und den verheiligenden Kult einer Gemeinschaft in dieser heimisch gemacht werden, gerät damit aber geradezu zwangsläufig in die Strukturen künstlich organisierter Heimlichkeit, und wird damit auch zu bestimmten Formen von Desozialisierung führen.
Es liegt auf der Hand, daß dann aus den Organisationsformen des Kultes um das Unheimliche auch viele Möglichkeiten für verschiedenste, auch die unheimlichsten, Wendungen eines solchen Kultes offen sind, - ob nun mehr in Richtung organisierter Ehrfurcht vor Übersinnlichem, der ritualisierten Verheiligung von Natürlichem, vormundschaftlich organisierter Unterordnung im Sozialen, oder etwa nur in Richtung banaler Gaukelei anläßlich von eher alltäglichen Gelegenheitsfestlichkeiten usw.
Damit ist letztlich jedoch die Gefahr angelegt, daß die Großartigkeit der Entdeckung und ständigen Neuerprobung der Wirkweise dieses letztlich unvergleichlichen technisch- akustischen Prinzips, im weiteren geschichtlichen Verlauf auch in die soziale ‘Klein-Artigkeit’ subalternen Verhaltens gegenüber abstrakten überirdischen Mächten und konkreter irdischer Macht, gewendet wird.
Ich denke, daß es wohl eine der interessantesten Problemstellungen weiterer Forschungen zum Schwirrholz als Kultgerät sein kann, genauer, und historisch konkret, aufzuhellen, auf welche Weise Kult und Ritualisierung dann auch zu weiterer Desozialisierung des Instrumentes, und innerhalb solcher Tendenzen auch bis zu seinem Untergang, führen kann.
Seine Kultgeschichte ist voll von Belegen dafür, daß es vorzüglich für Kinder und Frauen, aber auch für andere Teile einer Gesellschaft, mit bestimmten Verboten belegt wird. Sie tendiert aber auch bis hin zu Kultstrukturen,in deren Zentrum das Instrument nur noch als toter Gegenstand steht, und dann gerade durch die verheiligenden Momente des Kultes keine Möglichkeit mehr zugelassen ist, seine faszinierenden Töne selbst überhaupt noch zu hören und sich von dem Komplex seiner tongebundenen Bewegtheiten beeindrucken zu lassen...
Die Verheiligung des Gerätes kann also bis zur Verunmöglichung der Äußerung seiner durchaus zu heiligenden Eigenschaften führen.
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Daß die lebendige Wirkung seiner Eigenschaften eine der wesentlichen Bedingungen und Voraussetzungen für die Entstehung von besonderen Ritualen und der historisch so bedeutungsvollen Positionierung des Instrumentes im Kult waren, kann durch eine vergleichende Analyse dieser Eigenschaften verdeutlicht werden; eine solche organologische Vergleichsanalytik bietet jedoch nur bestimmte, und für sich allein genommen, hier letztlich nur begrenzte Erklärungsmöglichkeiten.
Zum genaueren Verständnis der umgekehrten Tendenz, also der Tabuisierung und Abtötung dieser lebendigen Wirkungen des Instrumentes, ist sicherlich weit mehr die konkrete historische Analyse und die genauere Untersuchung kulturgeschichtlicher Details erforderlich.
Allerdings ergeben sich auch für eine solche Fragestellung aus der Sicht analytisch vergleichender Musikinstrumentenforschung weitere Zugänge und entsprechende Antwortmöglichkeiten.
Man muß hier die offensichtliche Entwicklungsarmut in der Geschichte dieses instrumental- akustischen Prinzips, durch welches das Schwirrholz als Instrument ja wesentlich bestimmt ist, näher betrachten und kritisch bedenken. Diese hat dem Instrument vielleicht keine Chance gelassen, sich jemals wieder musikantisch aus den immer enger werdenden Fesseln des Kultes befreien zu lassen.
Oder noch schärfer gesagt: Seine Entwicklung scheint sogleich mit seiner Entstehung so gut wie erschöpft zu sein. Einmal entstanden, steht es, trotz und mit all seiner inneren Bewegtheit, doch da wie ein unverückbares Wunder; - kaum einer Veränderung, geschweige denn einer wesentlichen Verbesserung zugänglich. Als ein schier unnahbares Unverbesserliches begleitet es den Menschen lange Zeit und kann immer wieder die wundersame Eigenart seiner inneren Kräfte offenbaren, ohne daß sich dann jemals weitere Enthüllungen oder Entfaltungen neuer Kräfte oder neuer Möglichkeiten bei ihm absehen lassen.
Fast könnte man sagen, daß dies durchaus als weiteres Wunder gelten kann; - kein Wunder also auch, daß ein so zweifelsfrei wunderliches, aber dann verwunderlicherweise bei aller ursprünglichen Einfachheit auch unveränderliches und unverbesserliches Ding, welches offenbar in der sinnlichen Wirklichkeit zu nichts Höherem mehr taugt, folglich ganz geeignet sein konnte, auf den höchsten Gipfel des übersinnlichen Kultes erhoben zu werden.
Nüchterner gesagt, läßt sich vielleicht festhalten, daß sich das Schwirrholz im Vergleich zu anderen Musikinstrumenten oftmals geradezu gegensinnig verhält.
Das einmal schlagartig entdeckte, dann aber keiner weiteren Entwicklung zugängliche und wohl auch weiterhin fremdartig und befremdend wirkende Werkzeug war keineswegs geeignet, etwa aktive individualisierte Bindungen im Sinne eines lebendigen schöpferischen Musikantentums zu stiften, oder schöpferisch spezialisierte Werkzeugherstellung anzuregen oder zu ermöglichen. Es lädt weder zur Steigerung spieltechnischer Beherrschung, noch zu instrumententechnischen Verbesserungen ein.
Der erste Aspekt - hier mehrfach verdeutlicht - mag eine wesentliche Bedingung für den zweiten sein, aber dieser ist keineswegs nur aus ersterem zu erklären, sondern muß hier gesondert hervorgehoben werden. Vielleicht ermöglicht er eher einen Zugang zum Verständnis des Dilemmas, in welches das Instrument innerhalb der Kultentwicklung geraten kann.
Seine in doppelter Hinsicht entwicklungsimpotente Unnahbarkeit mag zwar einer Verkultung entgegenkommen, und ihm so auch eine zunächst bedeutungsvolle Karriere sichern, birgt aber auch Keime des Abstiegs in sich. Dieser kann sich dann zwar unter traditionalisierten Bedingungen langdauernd und langwierig gestalten, wird aber sicherlich weniger langwierig, je deutlicher später andere technische und kulturelle Entwicklungen einfach an der ritualisierten Unnahbarkeit des Instrumentes, die vielleicht längst zur kultischen Langweiligkeit geraten ist, vorbeiziehen. Der Fortschritt anderer Werte kann dann ganz unbekümmert über das interessante Gerät hinweggehen und hinwegsehen, - ohne es in seiner inzwischen als irrelevant und ‘unverständlich’ erscheinenden bzw. offensichtlich auch noch abergläubisch motivierten Heiligkeit, noch anzurühren, oder sein technisches Prinzip bzw. sein organologisches Wesen, irgendwie ernst zu nehmen.
Der Kult um das Musikinstrument erscheint dabei dann allemal beachtenswerter als das Musikinstrument selbst; - und selbst die Wissenschaftsentwicklung hat, wie bereits betont, einen solchen Trend, eine damit im Zusammenhang stehende "metakultische Tendenz", ja bis in die Gegenwart mit getragen...
So lebendig und wirksam also das klangwirkende Instrument im Augenblick der Enwicklung seiner Klang- undBewegungsstrukturen auch sein mag, hinsichtlich seiner geschichtlichen Enwicklung als Musikinstrument ist es eben doch eher ein totes, entwicklungsunfähiges Gerät geblieben.
Fortschreitende Desozialisierung ist, so betrachtet, vielleicht nur eine sozial vermittelte Ausdrucksform für diesen Widerstreit von Tendenzen, und eben auch im Zusammenhang mit den objektiven inneren Bedingungen des Instrumentes zu sehen, und nicht nur aus der ihm vielleicht allzu fremd werdenden sozialen Dynamik von Kultentwicklung zu erklären.
Natürlich kann man sagen, daß es sich dabei doch um ein durchaus sinnfälliges Symptom für kulturbedingte, kultisch-ritualisierte Verkümmerung von objektiv noch existierenden, aber von den Menschen doch zunehmend weniger genutzten, instrumental-akustischen Wirkmöglichkeiten handelt. Und natürlich kann man auch bei diesem traditionellen Musikinstrument darauf verweisen, daß es oft zusammen mit der ‘zivilisatorischen’ Vernichtung alter Kulturen untergegangen ist.
Aber - so kann vielleicht doch gefragt werden: Ist es mehr der menschliche Geist bzw. auch entsprechender Ungeist und vielleicht auch das Unwesen notorischer Geistlosigkeit (die ja gerade mit Ritualisierungen allzuleicht einhergeht und, wenn auch nicht unbedingt immer zu deren Ursachen, so doch meist zu einer ihrer Folgen gehört), durch welche die heilige Würde der Natur des Instrumentes letztlich wieder zugrunde gerichtet wird, - oder ist seine spätere Belanglosigkeit doch einfach nur das Resultat seiner technisch-akustischen Mangelhaftigkeiten, gewissermaßen das Ergebnis eines natürlichen Abnutzungsvorganges, weil seine Natur in geschichtlicher Dauer weder lebensnahem Musizieren und menschlichem Spieltrieb bzw. gegenstandsbezogenem Erfindergeist, noch den transzendentalen Geistesflügen des Menschen, genügend entgegenkommen konnte? Ist nicht letztendlich die tiefere Ursache der Verkümmerung und Nichtbeachtung dieses Musikinstrumentes doch vielmehr in seinen spezifischen inneren Schwächen begründet, als etwa in notorischen Fehl- und Verfallsentwicklungen menschlicher Kultur?
Eine solche zugespitzte Fragestellung kann natürlich leicht scharfe Parteiungen provozieren, ohne damit aber gleich bessere Antworten erwarten zu lassen. Weit eher werden da zunächst die vereinfachenden Beantwortungen, die vielleicht auf der einen Seite eher aus einem mehr physikalisch-technischem Argumentationsfeld abgeleitet sind, und auf der anderen Seite eher dazu neigen werden, Erklärungen aus kulturgeschichtlicher und/oder sozialkritischer Sicht zu liefern, Konjunktur haben.
Aber die hier implizierte prinzipielle Frage nach dem jeweiligen Stellenwert innerer und äußerer Entwicklungsbedingungen eines Musikinstrumentes muß nun auch erweiterte Überlegungen provozieren, mit denen dann auch andere Fälle von Musikinstrumentenentwicklung und weitere Gebiete musikinstrumenteller Technik, vergleichend in Betracht genommen werden.
Je umfassender eine derartige Vergleichsanalytik angelegt ist - die schliesslich das ganze System musikinstrumenteller Technik und eigentlich auch die Technikentwicklung in ihrer Gesamtheit in Betracht nehmen müßte - desto aussagekräftiger werden dann auch allgemeinere Erkenntnisse für bestimmte Einzelfälle sein können.
Das speziell ausgewählte Vergleichsbeispiel von Schwirrholz, gestrichener Saite und Mundharmonikazunge wurde in den hier angestrengten Analysen bereits bemüht. Bedenkt man es nun erneut, so läßt sich jetzt vielleicht folgendes vermerken:
Gemessen an seinem Verhältnis zur Natur, kann das akustisch-technische Prinzip des Schwirrholzes - wie oben bereits betont - zwar durchaus neben die gestrichene Saite oder die in einem doppelspaltbildendem Rahmen durchschwingende Zunge (die ja wiederum im Zusammenhang mit der Maultrommel betrachtet werden muß) gestellt werden.
Gemessen an der nun aufgeworfenen Frage, macht ein solcher Vergleich aber wesentliche interne Unterschiede deutlich. Wenn etwa eine hochentwickelte Kultur, die ansonsten durchaus etwas mit gespannten Saiten zu tun hat und also unvermeidlicherweise auch schon Begegnungen mit derartigen Tonerzeugungsmöglichkeiten gehabt haben muß, dennoch keine Chordophone hervorbringt oder nutzt (wie beispielsweise alte Hochkulturen Südamerikas), - oder eine hochentwickelte Instrumentenbaukultur (wie beispielsweise die, die sich bis in die moderne Gegenwart in Europa entwickelt hat) offenbar nicht erfinderisch genug war, um aus dem Prinzip der, ihr sehr wohl bekannten, spaltgenau durchschwingenden Zunge auch ein angeblasenes einrohrig-flötenartiges Musikinstrument mit Grifflöchern zu entwickeln, so können diese Beispiele durchaus als Belege dafür gewertet werden, daß hier kulturell vermittelte Faktoren am Werke waren, die bestimmte mögliche, oder auch naheliegende, Entwicklungen eben doch verunmöglicht, verhindert, oder vielleicht auch die möglichen Anfänge solcher Entwicklungen bald wieder erstickt bzw. weiter unterdrückt haben...
Zumindest aber, das läßt sich ja als historische Tatsache letztendlich festhalten, haben sie, trotz ihrer prinzipiellen Bekanntschaft mit den entsprechenden Grundmaterialien und den entsprechenden möglichen Grundprinzipien, derartige Dinge - also bestimmte reale Möglichkeiten der Neuentwicklung oder auch der Weiterentwicklung von Musikinstrumenten bzw. bestimmter wesentlicher instrumentalakustischer Prinzipien -, die andere Kulturen schließlich erfolgreich realisiert haben, einfach selbst nicht zustande gebracht, gänzlich verpaßt, oder vielleicht auch tabuisierend ignoriert. Und gerade Derartiges müßte folglich umfassender verglichen und eingehender analysiert werden.
Immerhin kann man aus dieser Vergleichsoptik, den Kulturen, die mit dem Schwirrholz umgegangen sind, kaum eine solche, auf die instrumentelle Entfaltung der Möglichkeiten des Schwirrholzes bezogene Vorhaltung machen, denn das akustische Instrumentalprinzip des genutzten Gerätes ließ sich wahrscheinlich in allen diesen Kulturen aufgrund seiner objektiv begründeten Entwicklungsimpotenz, nicht weiter ausbeuten.
Man kann es vielleicht wirklich nur nutzen, oder eben verkommen oder verwahrlosen lassen.
Dabei bleibt hinsichtlich bisheriger Geschichte freilich stets die Frage, wie dies jeweils historisch konkret ablief.
Ob sich hier doch mehr eine angestrengt aufmerksam-kultische Verheiligung oder eher eine, von Fall zu Fall früher oder später einsetzende, sorglose Verharmlosung oder auch nachlässige Nichtachtung des Instrumentes auswirkte?
Ob es also eher asozialisiert wird und erniedrigend verwahrlost in Würdelosigkeit verfällt, oder doch mehr desozialisierend erhoben wurde, und dann also letztendlich nur noch in einer ehrenüberhäuften Spitzenposition verkommen konnte?
Wenn man bei diesen Überlegungen nun noch die gerade beim Schwirrholz durchaus denkbare Möglichkeit einschließt, daß seine so weitläufige Verbreitung vielleicht auch dadurch mit bedingt ist, daß das Instrument nicht nur aus einer.einmaligen Entstehung heraus, also sozusagen monophyletisch, sondern vielleicht eher polyphyletisch zu verstehen sei, und - folgt man erstmal einer solchen zunächst vagen bioanalogen Vorstellung - dann auch die Möglichkeit seiner Wiederkehr bzw. seiner Neuentstehung nach einem völligen Aussterben und vollständigen Vergessen innerhalb der Traditionslinie einer Kultur mitbedenkt, so kann freilich die Fixierung der bereits oben angedeuteten Problemkonstellation noch weiter verunsichert, und mit zusätzlichen Fragenkomplexen belastet werden. Es kann bei solchen Erwägungen jedoch auch deutlich werden, daß letztlich jede, wie auch immer gedachte, Entstehung des Instrumentes und/oder jede Neubekanntschaft mit ihm, sowie jede daraus folgende Entwicklung in Richtung eines entsprechenden Kultes, auf jeweils ganz spezifische, besondere Bedingungen stoßen wird. Und sicherlich werden - ob nun als vielstämmig und wiederkehrend, oder doch eher ‘monophyletisch’ interpretiert - die oben genannten gegensätzlichen Tendenzen in der Entwicklung um das Schwirrholz, dann in verschiedenen Kulturentwicklungen auch jeweils ganz verschiedenartig verlaufen und unterschiedlich proportioniert sein.
Die Erforschung der jeweils konkreten Geschichte des Instrumentes wird insofern immer die konkreten Lebensverhältnisse einschließlich entsprechend tangierender Technikentwicklungen beachten, sie sollte dabei aber stets auch bestrebt sein, gerade die spezifischen Besonderheiten und charakteristischen Eigentümlichkeiten des Instrumentes - die eben nur dem Instrument selbst eigen sind und letztlich nur von dort her, dessen besondere Wirkungsentfaltung verstehen lassen - aufmerksam in ihrem Blickfeld zu behalten. Sie muß letztlich aber auch - darüber hinausgreifend und wiederum zurückgreifend - stets mitbedenken, inwieweit gerade auch solche besonderen Werkzeuge selbst als Bedingung der Menschwerdung und weiterer Menschheitsentwicklung, verstanden werden müssen.
Denn Musikinstrumente sind konstitutiv bedingendes und konstant begleitendes Element humaner Gesellschaftsentwicklung.
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Anmerkungen/Quellen
(1)
Sachs, Curt, Vergleichende Musikwissenschaft / Musik der Fremdkulturen, Heidelberg, 1959, S.25
(2)
Eichler, Bernd H. J.: Das Schwirrholz - Tongenerator zwischen Natur und Geist (Teil I)
In: Bröcker, Marianne (Herausg.): Berichte aus dem ICTM Nationalkomitee Deutschland, 1993, S. 45-57
(3)
Eine typische Argumentation zu akustischer Ähnlichkeit findet sich beispielsweise bei J.D.E.Schmeltz, der vom Klang her "die unverkennbare Verwandschaft zwischen ‘Schwirrholz’ und ‘Waldteufel’ erhellen" möchte.
Schmeltz, J.D.E.: Das Schwirrholz. Versuch einer Monographie. In: Verhandlungen des Vereins für Naturwissenschaftliche Unterhaltung zu Hamburg,(o. J.) Band IX. S.1-37, S.9
Modernere Untersuchungen verweisen zuweilen auf Ähnlichkeit von Schwirrholztönen und den Rufen gejagter Beutetiere.
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