Musikinstrument und Sexualität. Der Spezialfall Five String Banjo
(Vortrag aus dem Jahre 1996, gehalten im Interdisziplinären Institut für Wissenschaftsphilosophie und Humanontogenetik an der Humboldt-Universität zu Berlin)

Wer sich mit der Entwicklung musikinstrumenteller Technik befaßt, dem werden immer wieder mehr oder weniger deutliche Bezüge zur Sexualität begegnen können.
Wenn man dabei nicht gleich die jeweils spezifischen Klangwirkungen von Musikinstrumenten in den Vordergrund der Überlegungen stellt, können vielleicht die folgenden - hier zunächst nur grob skizzierten - Betrachtungsebenen dieser Problematik unterschieden werden.

  • Bestimmte Zeichen und Dekorationen auf Musikinstrumenten, oder auch besondere Formgestaltungen bestimmter Instrumente oder Instrumententypen, müssen oder können im Zusammenhang mit Sexualität gedeutet werden.

  • Zudem können bestimmte Musikinstrumente - durchaus auch ohne das soeben genannte - ganz spezifisch im Bereich von Erotik und/oder sexueller Aktivitäten wirken, oder auch zu Symbolen von Geschlechtlichkeit werden.

  • Und ein wieder anders zu gewichtendes, und zumeist auch weit entfaltetes, Beziehungsgeflecht kann sich abzeichnen, wenn geschlechtsspezifische bzw. geschlechtsdifferenzierende oder auch entsprechend diffamierende soziale Tendenzen in bezug auf bestimmte Musikinstrumente deutlich werden.

  • Im Weiteren kann es dann aber auch um grundsätzliche Fragestellungen hinsichtlich der Bedeutung von Geschlechtlichkeit in bezug auf die Entstehung und Entwicklung von musikinstrumenteller Technik überhaupt gehen.

  • Natürlich kann man auf solchen Betrachtungsebenen dann auch noch weiter differenzieren, - so etwa zwischen Formgestaltung und Dekoration, zwischen eher abstrakteren Symbolwirkungen und konkreteren Bedeutungen innerhalb von realen Aktivitäten, zwischen geschlechtspezifischen und geschlechtsdifferenzierenden Wirkbeziehungen und natürlich auch zwischen Entstehung und Entwicklung usw...
    Aber nähere Untersuchungen in dem hier skizzierten Sinne erfordern dann - bei aller zuvor notwendigen Differenzierung der Betrachtung - letztlich jeweils doch wieder eine integrative Sicht auf das Verhältnis von Musikinstrument und Sexualität, wobei sowohl die spezifischen Klangmöglichkeiten und Klangwirkungen die sich dabei ergeben können, als auch all die Phänomene die in den oben genannten Bezugsebenen zu finden sind, und die ja gerade nicht unbedingt immer direkt mit der Klangfunktion von Musikinstrumenten verbunden sein müssen, sondern vielmehr oft funktionswandlerisch und klanggelöst auch in anderen Beziehungsgefügen wirken, jeweils mit bedacht werden müssen.
    Ein geradezu wunderbares Beispiel für viele der hier angedeuteten Wechselbeziehungen ist die Maultrommel - sozusagen eines der bemerkenswertesten Sexsymbole unter den Musikinstrumenten. Sie wird in den verschiedensten Kulturen zum Liebeswerben benutzt, ihr Gebrauch ist immer wieder mit Geschlechter-Rollenbelegung verbunden, und das Instrument selbst kann von seiner Form und seiner Konstruktion her, leicht als Symbol der Vereinigung von weiblichem und männlichem Geschlechtsorgan interpretiert werden.
    Aber auch ein anderes exemplarisches Musikinstrument, kann hier sofort genannt werden, nämlich das weitverbreitetste, heiligste religiöse Symbol welches die Menschheit überhaupt hervorgebracht hat, - das Schwirrholz. Es steht schon aufgrund seiner, in der musikwissenschaftlichen Literatur immer wieder hervorgehoben Rolle in Fruchtbarkeitsriten und der in vielen Kulturen ausgeprägten Tabuisierung für Frauen, deutlich in dem oben skizzierten Beziehungsgeflecht.
    In meinen Arbeiten zu diesem Instrument habe ich versucht bestimmte Erkenntniswege aufzuzeigen, die von der eingehenderen Analyse seiner inneren Funktionsweise als Tonerzeuger her, eventuell ein besseres Verständnis derartiger sozialer Funktionsbelegungen verständlicher machen können.(1)
    Bei Maultrommel, mit, denen ich mich schon viel länger intensiv beschäftige (2), scheint mir dies hingegen viel schwieriger zu sein. Und so denke ich, dass die Erklärung entsprechender Phänomene von Instrument zu Instrument sehr unterschiedlich ausfallen wird. Dabei meine ich aber auch, dass letztlich jedes Musikinstrument, mehr oder weniger mit dem oben genannten Beziehungsgeflecht in spezifischer Weise verbunden sein kann. Eine Betrachtung der Wechselseitigkeiten von musikinstrumenteller Technik und Sexualität müßte also letztlich nicht nur bezüglich bestimmter auffällig gewordener Musikinstrumente denkerisch tätig werden, sondern ein solches Denken müßte sich auf die grundsätzlichen Besonderheiten dieser, in besonders verbindlicher Weise humanisierten, Technikentwicklungen richten.
    Ich denke, dass sich dabei eine generelle Forschungsaufgabe für die Audioorganologie umreißen läßt, welche hier wiederum mit den Sexualwissenschaften kooperieren müßte .
    Mich interessiert dabei zunächst ein besseres Verständnis der natürlich-akustischen Musikinstrumente.
    Für die vorliegende Untersuchung habe ich mich auf ein ganz spezifisches Musikinstrument konzentriert.
    Aus der Sicht meines Arbeitsgebietes - der Vergleichsanalytischen Organologie - erscheint mir das US-amerikanische Five String Banjo, gerade in Hinsicht auf bestimmte Entwicklungsprobleme, als ein besonders interessanter, wenn auch zunächst vielleicht nicht sonderlich auffälliger, Gegenstand für eine solche Betrachtung, die vielleicht auch zu weiteren Untersuchungen in dieser Richtung führen könnte.
    Um dies auch in einer verbindlichen Weise anzugehen und näher zu verdeutlichen, machen sich im Folgenden eine Reihe eingehenderer instrumentenspezifischer Darstellungen, aber auch weiterführende Erwägungen zu den möglichen Entwicklungsperspektiven des Instrumentes, erforderlich. Aus der Sicht meines Fachgebietes erscheint mir dies als eine wesentliche Voraussetzung für das Erfassen derartiger Problemkonstellationen, auch wenn es im Folgenden dem Nichtspezialisten vielleicht als zu speziell, den zumeist traditionalistisch und oft konservativ gesinnten Liebhabern des Banjos möglicherweise als zu provokant, und den Spezialisten der Sexuologie immer wieder als Abweichung vom Thema erscheinen mag.
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    Das Five String Banjo ist ein besonders interessanter Vertreter der unter den Saiteninstrumenten weitverbreiteten und akustisch so überaus effektiven Kombination von gespannter Saite und gespannter Membrane; also ein lautenähnliches Instrument mit einer Trommel als halstragendem Korpus.
    Es kann sicherlich schon hinsichtlich der beiden erstgenannten Betrachtungsebenen als ein durchaus aufschlußreicher Untersuchungsgegenstand gelten.
    Beispielsweise wird es mit seiner Trommelmembran, die sich als besondere ‘Freifläche’ dafür geradezu anbietet, mehr als andere vergleichbare Saiteninstrumente geeignet sein, immer wieder mit besonderen Zeichen und Bildern versehen zu werden. Dort kann dann auch nicht viel Schaden für das Instrument entstehen, zumal jeder Banjospieler das Fell seines Instrumentes immer wieder selbst erneuern kann.
    Unter den 26 Banjo-Instrumenten meiner Musikinstrumentensammlung befinden sich ebenfalls einige Exemplare (hier allerdings europäische) mit derartigen, von den ehemaligen Besitzern offenbar selbst nachträglich aufs Fell aufgebrachten Bemalungen. Solche Oberflächengestaltungen werden aber wohl mit ziemlicher Sicherheit auch immer wieder besonders gefährdet sein und leicht verloren gehen können, zumal wenn es sich um wertvolle Instrumente handelt, oder ihr Wert im Laufe der Zeit steigen sollte, denn mit jedem Besitzerwechsel wächst auch die Gefahr des Fellwechsels. In Museen sind mir solche Exemplare auch noch nicht begegnet.
    In bezug auf die zweite der oben genannten Bedeutungsebenen kann man sagen, dass das wohl immer vorwiegend sehr rhythmisch gespielte und klanglich vordergründige sowie durchaus aufregend wirkende Instrument, mit Gewißheit im Verlaufe seiner Geschichte verschiedentlich in erotisch- sexuellen Spannungsverhältnissen - etwa vom sehnsüchtig- romantischen Liebeslied bis zum unromantisch-nüchternen Bordellbetrieb - anzutreffen war. Ich denke, dass dies beispielsweise besonders im Zusammenhang mit der Entstehung der zunächst vorwiegend von ehemaligen US-amerikanischen Sklaven entwickelten klassischen Jazzmusik relevant sein kann. Die vielfältigen Bezüge, die es hinsichtlich dieser Musik zu Erotik und Sexualverhalten gibt, sind oft betont worden. Für die Entwicklung des Instrumentes ist dabei jedoch vor allem interessant, dass es mit dem Jazz aus der ländlichen amerikanischen Südstaaten- Kultur in freizügigere städtische Verhältnisse geriet und sich dabei immer wieder im Zusammenspiel mit lautstarken Blasinstrumenten und dem Schlagzeug zu bewähren hatte. Es konnte also nicht mehr nur mit den Fingern gezupft, sondern mußte mit dem Plektrum geschlagen werden, wobei - auch im Zusammenhang mit einer vielfältigeren Harmonik des Jazz - nun die fünfte halblange Saite, mit ihrer eigentlich für das Instrument so charakteristischen Bordunfunktion im Diskant, die ja eigentlich gerade wesentlich für den traditionellen ‘ländlichen Klang’ des Instrumentes war, störend wirken mußte. Diese wurde also innerhalb dieser neuen städtischen Musizierpraxis auch alsbald entfernt. Verschiedene Abbildungen von frühen Jazzorchestern zeigen solche, noch deutlich für Fünfsaitigkeit konstruierte Instrumente, mit dem ab fünftem Bundfeld breiteren Griffbrett, aber eben ohne den seitlichen fünften Wirbel und die halblange fünfte Saite. Von daher entwickelte sich dann auch eine spezielle, allerdings recht selten gebliebene, viersaitige Variante des Instrumentes, das sogenannte Plektrum Banjo, sowie das häufiger anzutreffende, ebenfalls viersaitige, aber merklich kürzere, Tenorbanjo.
    Vielleicht etwas zu vereinfacht, aber im Kern wohl zutreffend, könnte man also sagen, dass dem damals noch allgemein als ‘Negerinstrument’ bekannten Banjo, unter dem Einfluß städtischer Bedingungen, seine fünfte, halblange Bordunsaite Saite, die von manchen Liebhabern und Verehrern des Instrumentes gerade als wichtige ‘weiße Innovation’ ausgegeben und hervorgehoben wird, von schwarzen Musikern wieder entfernt wurde welche sich dann allerdings auch nicht mehr weiter um ihr traditionsreiches Instrument gekümmert haben.
    In dieser Sicht, also in Bezug auf bestimmte Entwicklungstendenzen des Instrumentes, werden nun die anderen, eingangs kurz charakterisierten, Relationen wichtig; also seine mögliche Position im Spannungsfeld geschlechtlicher Differenzierung oder auch Diskriminierung, und letztlich auch alle die Fragen, die den möglichen Einfluß derartiger Spannungsfelder auf bestimmte Linien und Wendungen von musikinstrumenteller Technikentwicklung berühren.
    In dem von dem englischen Organologen A.Baines herausgegebenen Buch "Musikinstrumente", schreibt A.Birch: "Das Banjo wird schon zu Anfang des 18. Jahrhunderts erwähnt, und zwar als typisches Instrument der Neger, doch kann kaum ein Zweifel daran bestehen, daß die Entwicklung und auch die spätere Beliebtheit des Banjos eine Sache des weißen Mannes war."(3) Damit berührt er tatsächlich ein sehr bemerkenswertes Phänomen.
    Das zunächst aus afrikanischer Kultur zu verstehende Instrument wird von amerikanischen Sklaven lange Zeit genutzt und unter entwürdigenden, fremden sozialen und kulturellen Bedingungen über mehrere Generationen erhalten und sicher auch weiterentwickelt, um dann aber - im wesentlichen etwa in den letzten 100 Jahren - eine ganz besondere Entwicklung zu durchlaufen, innerhalb derer es weltweit in eine Symbolposition gerät, aus welcher heraus es oft als das einzige wirklich US-amerikanische Musikinstrument hervorgehoben wird. Ich denke zwar, dass eine solche ‘Ehrenposition’ vielleicht auch einem ganz anderen Instrument zusteht oder zumindest mit diesem geteilt werden müßte, aber interessanter ist hier zunächst die Tatsache, dass das Banjo heute mit der typischen Musikkultur der schwarzen Bevölkerung in den USA nur noch wenig zu tun hat. Es kann inzwischen vielmehr als durchaus vorwiegend ‘weißes’ Musikinstrument angesehen werden. Die afroamerikanischen Musiker, die das im Old Time Jazz zunächst amputierte Five String Banjo alsbald auch durch die Gitarre ersetzten, verwenden heute vorwiegend Musikinstrumente europäischer Abstammung.
    Doch zurück zur Darstellung von A.Birch. Bei seiner Formulierung über den ‘weißen Mann’ kann ja offen bleiben, ob sie wirklich nur auf Männer bezogen gemeint ist. Diese ‘Frauen-Frage’ ist dann bei Earl Scruggs, der in den vierziger Jahren unseres Jahrhunderts eine neue faszinierende und technisch höchst raffinierte Spielmanier auf dem Five String Banjo entwickelte, zudem bestimmte instrumententechnische Verbesserungen initiierte, sich später als der am meisten imitierte Musiker der Welt bezeichnen ließ und heute auch als so etwas wie der ‘Segovia des Five String Banjos’ gelten kann, ganz klar beantwortet: Frauen eignen sich kaum für eine erfolgreiche Karriere auf diesem edlen, offenbar nur von Männern mental und real richtig zu begreifendem, Instrument.
    So kann man es seiner 1968 erschienenen Banjoschule, (4) die international als ein Standardwerk für das Instrument gilt, entnehmen. Genauer gesagt, aus dem Vorwort derselben, welches zwar nicht vom Meister selbst, aber von einem eigens dafür hinzugezogenem Psychologen stammt. Kenner des Instrumentes, die sich nicht nur an Earl Scruggs orientieren, wissen natürlich, dass nun unvermeidlich auf der anderer Seite, die Autorität von Pete Seeger bedacht werden muß.
    Seeger, der übrigens erst vor gut einem Jahr (Ende 1994) nach einem an Verehrungen, aber durchaus auch an Diskriminierungen, reichen Leben, von der US-Regierung offiziell für seine langjährigen musikantischen Aktivitäten, gerade auch als Banjospieler, geehrt, und aus diesem Anlaß auch in der US-Presse als der ‘beliebteste Kommunist der USA’, (5) apostrophiert wurde, hatte bereits lange vor Scruggs ebenfalls eine Banjoschule (6) geschrieben, die ebenfalls weltweit als Standardwerk anerkannt und verbreitet ist. Und natürlich sind bei ihm mehrfach Banjo spielende Neger und Banjo spielende Frauen abgebildet und im Text ausdrücklich erwähnt.
    Interessanter aber ist, was Seeger für die Entwicklung des Instrumentes getan hat. Es gibt inzwischen eine von ihm entwickelte, um eine kleine Terz tiefer gestimmte Spezial- Variante des Five String Banjos mit einem deutlich verlängerten Hals, welche international im Musikhandel als das sogenannte ‘Long Neck’ oder ‘Seeger Model’ erhältlich ist, und schon seit Jahrzehnten nicht nur in den USA, sondern beispielsweise auch in England, Frankreich und Deutschland - sowohl West wie Ost - hergestellt wurde. Allerdings seit 1990 in Ostdeutschland nicht mehr.(7)
    Und dieses imponierend überlange Musikinstrument paßt zweifellos auch hervorragend zu der großen hageren Männergestalt Seegers. Es gehört inzwischen durchaus zu dem typischen Bild, welches international von dieser Heldenfigur politisch engagierter Folklorebewegung bekannt ist; - und auch hier wurde weltweit imitiert.
    Vergleicht man das Seeger-Instrument nun wiederum mit den Instrumenten aus der Musikszene, die mehr mit Earl Scruggs verbunden ist, also etwa Mountain Music, Blue Grass oder Country - wo übrigens von den dort überwiegend weißen Instrumentalisten das Seegersche Long Neck Banjo etwa ebenso selten benutzt wird, wie wiederum das Banjo überhaupt von schwarzen Musikanten - so offenbart sich dort wieder eine ganz andere Instrumentaltendenz: Hier sind die Banjos kaum länger, aber wesentlich schwerer geworden.
    Während das Seeger Modell durch seine Verlängerung, (die als Einzelerscheinung vielleicht auch schon in der früheren Geschichte des Instrumentes eine gewisse Rolle gespielt haben mag - zumindest kann man dafür bestimmte Belege finden) (8) im Vergleich mit leichteren fünfseitigen Folk Banjos nur unwesentlich an Gewicht zugenommen hat, sind andere Banjos im Laufe der Jahrzehnte, vor allem auch durch die Einlagerung kompakter Guß-Metallteile und die Anfügung schwerer Resonatorschalen hinter dem ursprünglich zumeist offenen Trommelkörper des Instrumentes, übermäßig schwergewichtig geworden. Eine Tendenz, die sich bei diesem Instrument offenbar vor allem auch im Zusammenhang mit seiner industriemäßigen Fertigung entwickelt hat.
    Wenn man diese Entwicklungen nun mit anderen Saiteninstrumenten entsprechender Stimmlage und entsprechender Spielhaltung vor dem Körper vergleicht, offenbart das Banjo nicht nur eine interessante divergierende Entwicklung mit gegensätzlichen Tendenzen, sondern in beiden so unterschiedlich forcierten Entwicklungen zeigt sich auch eine deutliche Tendenz zu imposanten Extremen.
    Wenn ich verschiedene Instrumente meiner Sammlung vergleiche, kann ich folgende Relationen finden.
    Nehme ich beispielsweise ein historisch älteres Five String Banjo, welches mit hoher Wahrscheinlichkeit als amerikanisches Originalinstrument aus dem vorigen Jahrhundert gelten kann, so finde ich an diesem, nur etwa 1000 Gramm schweren Instrument, eine im Vergleich mit allen anderen ähnlichen Saiteninstrumenten (also nicht nur Banjos) noch keineswegs ungewöhnliche Länge der schwingenden Saiten von ca. 63 Zentimetern.
    Vergleiche ich es dann mit einem modernen typischen Blue Grass Banjo meiner Sammlung, so hat sich die entsprechende Saitenlänge dieses Instrumentes mit ca. 65 Zentimetern nur wenig verändert, aber das Gewicht nahezu verzehnfacht. Es gibt aber noch schwerere Banjos.
    Vergleiche ich dann mit verschiedenen moderneren Long Neck Exemplaren, so kann ich hier eine schwingende Saitenlänge von bis zu 83 Zentimetern finden.
    In einer erweiterten Vergleichung mit entsprechenden anderen Saiteninstrumenten erweist sich dann, dass es sich bei Banjos tatsächlich um eine von kaum einem anderen Saiteninstrument übertroffene Extrementwicklung handelt. Lediglich hinsichtlich der Schwergewichtigkeit lassen sich da vielleicht noch Konkurrenten ausmachen und interessanterweise handelt es sich bei diesen dann auch wieder um US-amerikanische Instrumentalentwicklungen aus dem Umfeld des Banjos. Ich meine die Dobro Gitarre und die Chord Harp (eine besondere Variante unter den Akkordzithern). Interessant sind diese beiden nun wieder in doppelter Hinsicht: Einmal hinsichtlich einer offenbar besonderen amerikanischen Musikinstrumenten- Problematik und zum anderen wieder hinsichtlich des Zusammenhangs von Musikinstrument und Geschlechtlichkeit.
    Wenn man generell bedenkt, welche natürlich-akustischen Musikinstrumente sich nach der Entdeckung Amerikas auf diesem Doppelkontinent neu entwickelt und verbreitet haben und heute als typisch für dortige Musikkulturen gelten können, so findet man in Südamerika einen bemerkenswerten Reichtum an spezifischen Instrumentalentwicklungen innerhalb dortiger Folklore, und im Norden in dieser Hinsicht eher eine deutliche Entwicklungsarmut. Die USA können hier eigentlich wirklich nur auf Banjo, Dobro, Chord Harp und vielleicht noch auf den, allerdings recht seltenen, Dulzimer - eine einfache Bordunzither mit Griffbrett - verweisen, welcher jedoch sowohl hinsichtlich seiner Herkunft, als auch angesichts seiner vielen immer noch hochlebendigen Verwandten in der alten Welt, doch eher als eine leicht veränderte Variante eines aus Europa stammenden Instrumentes älterer Tradition gelten kann, und in den USA auch keine besonders ungewöhnlichen instrumententechnischen Entwicklungen durchgemacht hat. Es bleiben hier also, gegenüber der Vielzahl südamerikanischer Entwicklungen, nur drei nordamerikanische Musikinstrumente zu nennen.
    Neben diesem Gegensatz von Arm und Reich hinsichtlich bestimmter unterschiedlicher kultureller Entwicklungen, welcher in dieser Sichtweise ja gerade anders als sonstige Reichtumsvergleiche zwischen Nord und Süd ausfallen muß, steht nun aber noch ein anderes Problem.
    Während die typischen südamerikanischen Saiteninstrumente überwiegend bemerkenswert leicht gebaut werden (auch bei den Blasinstrumenten gibt es da federleichte Exemplare) und diese Tendenz auch im Vergleich zum europäischen Saiteninstrumentenbau geradezu als eine Spezifik der südamerikanischen Kultur des Musikinstrumentenbaus gelten kann, hat sich eben - ich sagte dies ja bereits - sowohl beim Banjo, als auch bei Dobro und Chord Harp diese Schwergewichtlerei ausgebildet. Allerdings jeweils ganz unterschiedlich.
    Die Dobro Gitarre, eine von einem in der Slowakei geborenen Einwanderer in den zwanziger Jahren gemachte Erfindung, kommt sozusagen bereits mit Übergewicht zur Welt, denn das ganz neuartige akustische Prinzip, auf dem sie beruht - ein kegelförmiger Resonator im Inneren ihres Klangkastens - konnte ohnehin nur als Metallkonstruktion verwirklicht werden, und mußte damit das ganze Instrument, welches ansonsten innerhalb der Größenverhältnisse üblicher Gitarren geblieben ist, unvermeidlicherweise schwer machen. Insofern sind manche dieser Instrumente, deren Korpus dann manchmal auch gleich gänzlich aus Blech hergestellt wurde, hinsichtlich ihres Gewichtes manchen mittelschweren Banjos vergleichbar - allerdings eben ohne die Vergleichbarkeit einer entsprechenden Extrementwicklung. Viel mehr zeigte sich in der bisherigen Entwicklung dieses Instrumentes eine deutliche Bevorzugung von Leichtmetall und dünnem Blech, welches bei amerikanischen Banjos wiederum geradezu verpönt ist.
    Nebenbei gesagt, kann im Rahmen der natürlichen akustischen Musikinstrumente meiner Meinung nach, die Dobro Gitarre vielleicht viel mehr als das Banjo, den Titel des einzigen wirklich US-amerikanischen Musikinstrumentes beanspruchen: Eine in den USA entwickelte und dort auch verwirklichte Erfindung eines ganz neuartigen Musikinstrumentes, welches dann auch bald seinen festen und spezifisch soundbildenden Platz in ganz spezifisch US-amerikanischer Musikkultur gefunden hat, und sich hier sowohl in den Händen weisser Musiker, die neben dem Blue Grass Banjo auf einer Bühne stehen, als auch - freilich weniger häufig und dann auch an anderen Orten - in den Händen schwarzer Bluesmusiker finden kann.
    Hinsichtlich weiblicher Dobro-Virtuosen findet man nun bislang nur eine Musikerin mit ausgeprägterem Bekanntheitsgrad, die bemerkenswerter Weise ihre Karriere in einer grundsätzlich nur aus Frauen zusammengesetzten Country-Gruppe begonnen hat. Ansonsten wird das Instrument vor allem von Männern beherrscht. Das ist nun beim Dulcimer, aber auch bei der Chordharp ganz anders.
    Achtet man auf den Dulcimer, den man jedoch vor allem in traditionalistisch engagierter Folk-Music findet, so kann man den Eindruck erhalten, dass sich vor allem Frauen diesem Instrument widmen und dort auch an erster Stelle stehen. Wer andererseits besonders auf die Chordharp achtet, dem werden unweigerlich auch verschiedene bedeutende Frauennamen aus US-amerikanischer Blue Grass und Country Music begegnen. Wenn man sich aber eingehender dafür interessiert, so wird einem auch bald das geläufige Argument begegnen können, dass dieses so überaus einfach zu spielende Instrument, welches oft auch direkt als ‘Idiotenharfe’ bezeichnet wird, natürlich von jeder X-beliebigen Sängerin - ob nun berühmt oder nicht - ohne weiteres mitbenutzt werden kann. Und tatsächlich - man kann die Grundspielweise dieses hauptsächlich zur Begleitung und seltener zum Melodiespiel verwendeten Instrumentes, bei dem einfach per Knopfdruck ein fertig abgestimmter Akkord eingeschaltet wird der dann nur noch angeschlagen werden muss, in kürzester Zeit erlernen und das Instrument dann auch sofort einsetzen. Hinsichtlich der speziellen spieltechnischen Anforderungen lässt sich in dieser Musik kaum noch ein grösserer Unterschied als der zwischen Banjo und Chordharp ausmachen, und in einer frauenverächtlichen Apologetik des Banjos fehlt da nur noch der Hinweis, dass Frauen doch lieber Chordharp spielen sollten, und es ja auch einige gibt, die das ganz gut können... Und doch verhält es sich bei diesem scheinbar so ‘weiblichen’ Instrument wieder ganz anders als beim Dulcimer. Die Spitzenpositionen bei Vergleichen und Wettbewerben etc. werden bei der Chordharp doch oft eher von Männern der Country-Szene besetzt.
    Hinsichtlich der bei diesem Instrument nun auch vorzufindenden Schwergewichtigkeit, kann man - im Unterschied zur Dobrogitarre - aber durchaus wieder mit dem Banjo vergleichbare Tendenzen finden, auch wenn das Instrument in Bezug auf seine Grundkonstruktion als Zither, völlig anderer Art ist. Seine Erfindung im vergangenen Jahrhundert wird oft dem Deutschamerikaner Zimmermann zugeschrieben. Ich neige da immer wieder zu Zweifeln, wenn ich die Chordharps meiner Sammlung, unter denen sich neben einigen moderneren Exemplaren, auch eine Reihe recht raffinierter älterer Instrumente deutscher bzw. vielleicht auch österreichischer Herkunft befinden, nachdenklich betrachte und vergleiche. Fest steht aber wohl, dass die amerikanische Zimmermann-Chordharp vor etwa 100 Jahren das meistverkaufte Musikinstrument in den USA war und dann auch in ihrer weiteren Karriere bis auf den heutigen Tag nirgendwo eine so deutliche Einbindung in eine spezifische Musikkultur gefunden hat, wie eben in Nordamerika. Zunächst waren die amerikanischen Chordharps auch keineswegs schwerer als etwa europäische Vergleichsintrumente, und hatten außerdem zu Zeiten ihres besten Verkaufs sicher auch schon einen bestimmten geschlechtsdifferenten Hintergrund. Es wurde da oft betont, dass sie sich für Hausmusik und auch für die Begleitung religiöser Lieder besonders gut eignen, und diese Hausmusik wird sicher oft ‘Hausfrauenmusik’ gewesen sein.
    Die heutzutage in den USA - oder etwa nach amerikanischem Vorbild in Südkorea - hergestellten Instrumente fallen nun aber wieder, ohne dass sich die Grösse dabei übermässig geändert hat, durch Schwergewichtigkeit auf.
    Für eine vergleichende Analyse kann dabei aber auch wieder ein Blick auf die schwingenden Saitenlängen des Instrumentes interessant sein. Da das Instrument volle Akkorde zum Klingen bringen soll, müssen hier auch Basstöne bei kurzer Saitenmensur ‘eingebaut’ werden. Natürlich wären da - wenn man nach optimalen konstruktiven Verhältnissen sucht - eher längere Saiten angebracht. Aber, bedingt durch die Konstruktionsform des Instrumentes, die bisher keiner merklichen Längenwachstumsentwicklung ausgesetzt war (obwohl es bei diesem Instrument unter akustischem Aspekt viel eher zu erwarten, und eigentlich fast zu empfehlen wäre), musste hier (wie übrigens auch bei vielen anderen mit Bass-Saiten bestückten Zithern) ein entsprechender Längen- Kompromiss in diesem Bereich gefunden werden, der dann nur noch deutlich unter dem akustischen Optimum bleiben konnte.
    Und gerade das Gegenteil ist eben beim Long Neck Banjo der Fall: eine Instrumentalform, die über das akustisch- spieltechnisch Optimale zuweilen in geradezu kompromissloser Übertreibung weit hinaus geht.
    Bei anderen, vergleichbar langen Saiteninstrumenten (bzw. entsprechend schwingenden Saitenlängen) können ansonsten in der Regel viel tiefere Töne erzeugt werden, als auf solchen besonders verlängerten Instrumenten. Der tiefste Ton solcher Instrumente wird beispielsweise auf einer normalen Gitarre immer noch mit einer Saitenlänge erzeugt, die durchaus mit den ‘klassischen’ Banjos aus dem neunzehnten Jahrhundert vergleichbar bleibt, d.h. nahezu um ein Viertel kürzer ist. Und mehr noch: aus einer eingehenderen vergleichenden Analyse von Konstruktionsprinzipien und entsprechenden inneren Bedingungen von Banjoinstrumenten, kann deutlich gemacht werden, dass diese Extrementwicklungen keineswegs einfach im Sinne der Verbesserung des Instrumentes oder der Erzielung besserer Spiel- und/oder Klang- Möglichkeit zwingend notwendig sind.
    Es würde hier allerdings doch zu weit führen, dies nun im einzelnen genauer zu belegen. Ich möchte aber deutlich betonen, dass ein Banjo mit etwas tiefer klingenden Saiten - wie das von Pete Seeger - auch ohne Klangverlust kürzer gebaut werden kann, und dass sowohl die Lautstärke, als auch die spezifische Tonbrillianz eines Blue Grass Banjos ebenfalls mit weniger Metalleinlagerungen und einer leichteren Grundkonstruktion des Instrumentes, und sogar mit einer auch hier noch kürzeren Saitenlänge, möglich wäre, und beides könnte durchaus ein Gewinn im Sinne der Verbesserung der Spieleigenschaften der jeweiligen Instrumente sein. Zudem scheint mir aus der Sicht Vergleichsanalytischer Organologie ganz deutlich zu sein, dass das moderne Banjo offenbar noch für eine Reihe anderer instrumentenspezifischer Entwicklungstendenzen offen sein kann, - weit mehr, als man das in Bezug auf viele andere Saiteninstrumente sagen könnte.
    Man muss dabei auch beachten, dass unter den zahlreichen Konstruktions- Verwandten, die diese Kombination von Saite und Membrane in den verschiedensten Musikkulturen der Welt hat, das Banjo bislang das einzige Instrument ist, welches in eine moderne industriemässig betriebene Herstellungskultur, mit zum Teil sogar genormten und vielfach austauschbaren Einzelteilen, geraten ist. Es war also beispielsweise auch ziemlich unproblematisch, diese Kombinations- Konstruktion ebenso als Gitarren-, Mandolinen- oder Ukulelen- Banjo herzustellen; - ähnlich wie inzwischen auch die traditionelle türkische Laute (die ja ebenso wie Gitarre, Mandoline oder Ukulele eigentlich ein typisches Saiteninstrument mit Holz- Klangkasten ist) nun zuweilen auch als derartige lautstärkere Membrankonstruktion gespielt wird.
    Andererseits bleibt zu erwarten, dass auch die anderen traditionellen Kombinationen von Saite und Membrane, die es noch in den verschiedensten Formen auf dem afrikanischen, asiatischen und dem europäischen Kontinent gibt, und von denen viele in ihren Kulturen immer noch hochlebendig sind, künftig ebenfalls verstärkteren Anfechtungen seitens westlicher Produktionsmethoden ausgesetzt werden können. Dabei könnte ich mir aber nur schwer vorstellen, dass sich etwa bislang so leichtgebaute Vertreter dieser Kombinationskonstruktion, wie beispielsweise bestimmte traditionelle asiatische Zupf- und Streichinstrumente, derartig unsensible und gewichtsüberladende Industrietechnologien, wie sie das Five String Banjo ertragen musste, ohne weiteres gefallen lassen werden. Und es ist vielleicht auch möglich, dass künftig einmal von diesen Instrumenten- Kulturen wieder entgegengesetzte Einflüsse auch für das amerikanische Banjo wirksam werden können. Solche Einflüsse, aus anderen Kontinenten und anderen Kulturen, hätten es aber wohl innerhalb gegenwärtiger, immer noch vorwiegend entgegengesetzt wirkender Kulturströmungen - mit denen ja auch das Banjo bereits in alle Welt getragen wurde - sicher sehr schwer auch wirklich in den USA wirksam zu werden.
    Zunächst kann aber hinsichtlich der Entwicklungsoffenheit des Five String Banjos - neben den Problemen von Längenwachstum und Übergewichtigkeit - noch Folgendes bedacht werden:
  • Der seitlich am Hals angebrachte, und in dieser Position spieltechnisch oft störend wirkende Stimmwirbel für die fünfte Saite, bleibt weiterhin fragwürdig - auch wenn er von hohem Erkennungs- und Symbolwert für das Instrument ist.

  • Ähnlich problematisch bleiben die bisherigen Konstruktionen der Kapodaster-Schiene für diese Saite.

  • Es liegt zudem die weitere Verbesserung der für das Instrument inzwischen typisch gewordenen Umstimm- und Glissando- Spielmöglichkeiten auf bestimmten Saiten nahe.

  • Zudem bietet sich eigentlich die Erhöhung der Anzahl der Bünde des Instrumentes, von bislang zumeist 22, auf mindestens 24 Bünde, an.

  • Außerdem zeigt sich bei diesem Instrument, gerade in Bezug auf die Saiten- Membran- Kombinationskonstruktion, noch eine andere, spieltechnisch attraktive Entwicklungsmöglichkeit, die bei anderen Saiteninstrumenten nicht in dieser Weise möglich wäre: Die Banjokonstruktion erlaubt im Prinzip ein schnelles und deutliches Verändern der grundsätzlichen Klangeigenschaften des Instrumentes. Diese Möglichkeit könnte instrumententechnisch gründlicher ausgenutzt und konstruktiv weiterentwickelt werden, um dann auch während des Instrumentalspiels in fliessenden Übergängen angewendet zu werden und so die Klangdynamik des ansonsten eher undynamischen Instrumentes zu bereichern.

  • Es wären dabei außerdem die Position des Steges auf der Membrane und die davon wiederum beeinflussten Grössen-, Form- und Winkelverhältnisse von Membrane, Korpus und Hals, zu bedenken, um dann vielleicht auch prinzipiell andere Lösungen für das Spannen der Membrane und der davon beeinflussten Verbindung von Korpus und Hals usw. zu entwickeln.

  • Derartige Probleme, für die sich zwar zum Teil bereits Lösungsversuche oder entsprechende Entwicklungsansätze aus der Geschichte des Instrumentes ableiten lassen, werden hier aber vor allem aus der vergleichenden Analyse der spezifischen phsysikalisch-naturbedingten Gegebenheiten der mit diesem Instrument vorliegenden schallgenerierenden Grundkonstruktion abgeleitet und festgemacht.
    Damit habe ich auch einen der wesentlichen Forschungsansätze der Vergleichsanalytischen Organologie berührt, welche bereits damit schon in einen durchaus deutlichen Gegensatz zu bestimmten Tendenzen bisheriger, zumeist mehr kulturgeschichtlich-beschreibender Musikinstrumentenforschung geraten kann.
    Vergleichsanalytische Audiorganologie geht zunächst wesentlich von der Analyse des naturbedingten Gewordenseins schallgenerierender Elemente und entsprechender Grundkonstruktionen aus, möchte dabei jeweils naturwüchsige und kulturwüchsige Qualitäten unterscheiden bzw. ermitteln, um auf dieser Basis auch ein besseres Verständnis von naturbedingten Zusammenhänglichkeiten innerhalb des Gesamtsystems musikinstrumenteller Technikentwicklungen zu ermöglichen, und möchte im Weiteren dann alle ebenfalls zu analysierenden Entwicklungsmomente bzw. Wirkungsfaktoren kultureller bzw. sozialökonomischer Art, auch hinsichtlich des dabei jeweils naturbedingt gegebenen Möglichkeitsfeldes entsprechender Instrumentalentwicklungen betrachtet wissen.
    Mit dieser, hier natürlich zunächst zugespitzt und damit letztlich doch nur grob umrissenen, Positionsbeschreibung, nun wieder zurück zur anstehenden ‘Frauenfrage’ beim Banjo.
    Zum Einen denke ich, dass mit der gekennzeichneten Banjo-Entwicklung ein deutlicher Fall vorliegt, in welchem wahrscheinlich vor allem durch Männer, oder besser gesagt, vielleicht durch spezifische Tendenzen einer Männerkultur, derartige Extrementwicklungen, in durchaus männlich betonter Weise, forciert wurden.
    Dabei kann vergleichsweise deutlich sein, dass andererseits immer gerade dann, wenn (von wem auch immer) gezielt an Instrumenten für Frauen gearbeitet wurde, vielmehr gerade die gegenteiligen Tendenzen wirkten; es entstanden eher leichtere und etwas kleinere Instrumente. Dies ist beispielsweise in der Geschichte der Gitarre, aber auch hinsichtlich anderer Instrumente, deutlich zu beobachten, und auch in der Geschichte des Banjos gibt es nachweislich entsprechende Tendenzen die zur Entwicklung von besonderen, etwas kleineren und keineswegs übergewichtigen Banjos, die besonders für Frauen geeignet sein sollten, führten.(9) Natürlich kann dies dann auch wieder mit entsprechenden diskriminierenden Vorstellungen zu tun haben oder auch im Nachhinein so bewertet werden.
    Insofern ist es nun auch kein Wunder, dass es inzwischen selbstbewusste Frauenpersönlichkeiten gibt, die sich gerade mit den symbolkräftigen und imponierenden männlichen Extrembanjos befassen.
    Politisch engagierte Spielerinnen greifen da natürlich eher zum überlangen ‘Pete Seeger Banjo’ und der Verpflichtung, damit etwa Lieder gegen Rassismus und Frauenfeindlichkeit zu begleiten, wobei man in dieser Tradition dann auch nicht unbedingt zu besonderen Virtuosenleistungen verpflichtet ist. Während andere Frauen - und auch dafür gibt es inzwischen deutliche Beispiele -, die vielleicht weniger von politischem Denken, und mehr von der musikalischen Begeisterung für die besonderen Instrumentalfeinheiten von Blue Grass und Country Music getragen sind, eher zu den überschweren Instrumenten greifen und sich damit mehr den exzellent-virtuosen Instrumental-Details dieser Musik verpflichten, ohne dass ihnen dann in dieser Szene (obwohl es instrumententechnisch-musikalisch durchaus möglich wäre) solche verpflichtenden Lieder begegnen müssen, da diese dort eben wiederum kaum vorkommen.
    Mit der Entscheidung für das schwere Instrument stehen sie dann aber doch wohl mehr unter dem Zwang, ihr Instrumentalspiel auch immer wieder streng nach ganz bestimmten spieltechnisch-imponierenden Vorbildlichkeiten männlicher Banjotradition messen lassen zu müssen. Scruggs und seine Nachfolger gelten da vielfach noch als vergötterte Vorbilder eines höchst virtuosen Instrumentalperfektionismus, während Seeger eher ein durchaus mehr irdisches Vorbild in Bezug auf politische Aktivität und humanistisch engagiertes Musikantentum geblieben ist.
    Aus meiner Sicht steht hier nicht die Frage, was denn nun wohl getan werden könne, um das Banjo wieder auf eher frauenspezifische Dimensionen zurück zuführen, sondern die ganz andere Frage: welchen Einfluss denn wohl Frauen in der weiteren Entwicklung des Instrumentes haben können und haben werden, um es sowohl aus seinen Extrempositionen zu erlösen - die ja, falls dort bestimmte kulturwüchsige Faktoren überhand nehmen, geradezu in eine Sackgasse seiner Evolution führen können -, als auch die etwas andere, aber viel weiter greifende Frage, welchen Einfluss sie künftig nehmen können bzw. werden, um das entwicklungsoffene Instrument weiterhin menschlichem Maß, im Sinne jeweils flexibler musikantischer Nutzbarkeit, anzunähern.
    Gewiß scheint mir jedenfalls, dass dieses Musikinstrument noch eine sichere und wahrscheinlich auch eine recht bewegte Zukunft vor sich haben kann.
    Sowohl die speziell für das Instrument entwickelten Spieltechniken (Earl Skruggs repräsentiert da eigentlich nur eine - wenn auch eine besonders abgefeimte und weithin stilprägende - Spielmanier), als auch die US-amerikanische Symbolfunktion des Banjos (da steht es ja sozusagen gleich neben Coca Cola), aber letztlich auch seine inzwischen erfolgte weltweite Verbreitung und Internationalisierung, welche bei diesem Kulturartikel keineswegs einfach in der imperialen Art sonstiger ‘Cocakolonisation’ erfolgt ist) - dies alles können sichere und absichernde Faktoren seiner Zukünftigkeit sein.
    Es kann aber auch als durchaus gefährdet angesehen werden, wenn man sowohl seine Extrementwicklungen als auch die sich damit polarisierenden Musizierrichtungen bedenkt und zugleich weiß, dass es bei aller Klangattraktivität doch auch eben so spezifisch klingt, dass es ganz im Unterschied zu anderen Saiteninstrumenten - keineswegs vielseitig verwendbar ist, vergleichsweise arm an unterschiedlichen Ausdrucksmöglichkeiten bleibt und eben meist auch wenig klangliche Dynamik zu entwickeln vermag.
    Insofern denke ich, dass das überlange Banjo möglicherweise in den nächsten Jahrzehnten wieder aussterben wird, und die überschweren Instrumente, wenn schon vielleicht nicht so bald wesentlich leichter, so doch zunächst spieltechnisch und auch klanglich vielfältiger, und vielleicht mit diesbezüglich durchdachteren und feineren Konstruktionen des Trommelkörpers, dann auch wieder leichter werden können.
    Da das Banjo aber ein so bemerkenswertes Beispiel für ein kulturell und traditionell zwar bereits fest etabliertes, aber trotzdem noch in besonderer Weise entwicklungsoffenes Musikinstrument ist, welches gerade hinsichtlich bestimmter entwicklungsoffener Aspekte auch mit dem Spannungsfeld von Geschlechtlichkeit in besonderer Berührung steht, kann es somit auch ein hochinteressanter Modellfall für weitere Untersuchungen und künftige wissenschaftliche Aufmerksamkeiten hinsichtlich des Verhältnisses von Musikinstrument und Sexualität sein.
    Um derartige Hoffnungen und Erwartungen zu untermauern, könnte ich nun vielleicht sagen, dass also künftig abzuwarten und zu beobachten bleiben wird, wie etwa die im Umgang mit den überschweren und den überlangen Instrumenten geradezu unvermeidlichen Verspannungen in den überstrapazierten Armgelenken von musikbegeisterten Frauen, hoffentlich den männlichen Überspanntheiten solch überstrapazierter Instrumentalentwicklungen einmal entgegenwirken werden....
    Meine Hoffnungen und Erwartungen sind aus der Sicht Vergleichsanalytischer Organologie aber durchaus anders strukturiert; - die vielleicht zu erwartenden Veränderungen werden gewiss in einem weitaus vielfältigeren Netzwerk von Wirkungen verstanden werden müssen.
    Dies möchte ich nun noch aus einem anderen Blickwinkel verdeutlichen, bei dem sich die Problematik des Verhältnisses von Musikinstrument und Geschlechtlichkeit allerdings wieder in einer ganz anderen Dimension zeigen kann.
    Es geht dabei um den Beginn der spezifischen Musikinstrumentenentwicklung, innerhalb welcher später auch das Banjo entstanden ist - also um die Entstehung von Saiteninstrumenten. Und dazu kann man in der Musikwissenschaft interessanterweise die Auffassung finden, dass dies im Wesentlichen das Verdienst einer spezifischen Frauenkultur war.
    Bedenkt man unter diesem Vorzeichen die Grundelemente des Banjos hinsichtlich ihrer spezifischen Geschichte, so erweist sich die gespannte Membrane als ein mehr naturwüchsiges, akustisch zwar höchst effektives, zunächst aber eher grobschlächtig wirkendes Element musikinstrumenteller Evolution, welches zudem geschichtlich weitaus früher Karriere gemacht hat, als die Saite. Diese muss hinsichtlich ihrer musikinstrumentellen Karriere hingegen vielmehr als kulturwüchsiges Element betrachtet werden, und hat sowohl auf den ersten Wegen zu ihrer musikalischen Nutzung, als auch in ihrer weiteren Geschichte weitaus kompliziertere Entwicklungen und Bewährungen zu durchlaufen. Wie das Banjo zeigt, kann dann die Kombination beider, sowohl akustisch sehr effektiv, als auch kulturgeschichtlich und organologisch mit ganz spezifischen Entwicklungsproblemen verbunden sein, wobei die eigentlich so zarte Saite bei diesem Instrument letztlich an einen doch sehr derb konzipierten Trommelkörper geraten ist.
    Ein weiteres Nachdenken über die Geschichtlichkeit dieser so unterschiedlichen Elemente kann also angebracht sein.
    Dazu möchte ich auf die Auffassung von C. Sachs verweisen, muss aber gleichzeitig gestehen, dass ich ihm in vielen Punkten keineswegs zustimmen kann.
    Ich traue ihm nicht, wenn er beispielsweise den "ohren- betäubenden Lärm, musikalischer Negerorgien" als einen der "nur Rückstände einer Entwicklung die unsere eigenen Vorfahren" auf dem Weg "von rohen Anfängen bis zu der Ebene ..., auf der sich das Hochgebirge der modernen europäischen Tonkunst aufbaut" durchgemacht haben (10), gewertet wissen will, und auch da nicht, wo er generell eine eurozentristische Weltmusikbetrachtung favorisiert, in welcher Vergleichende Musikwissenschaft tendenziell auf die beschreibende Erfassung von fremden, (11) das heisst dann letztlich doch immer wieder vor allem von außereuropäischen, Kulturen reduziert wird.
    Ich traue ihm auch hinsichtlich vieler seiner Darstellungen zu konkreten Musikinstrumenten nicht, weil sich da einfach zu viel Falsches findet (worauf ich seit Längerem in verschiedenen Untersuchungen hingewiesen habe), (12) und, gerade im Zusammenhang damit, traue ich ihm schon sehr lange nicht mehr, wenn es um die von ihm zusammen mit E.v.Hornbostel, zunächst als ‘Ein Versuch’ aufgestellte, später aber weitgehend zum fehlorientierenden Dogma erhobene, "Systematik der Musikinstrumente" (13) geht, die ich gerade aus der Sicht Vergleichsanalytischer Organologie (14) für einen durchaus verunglückten Versuch halten muss.
    Ich kann aber nicht umhin zu akzeptieren, dass er einer der bedeutendsten Musikwissenschaftler unseres Jahrhunderts ist, und allein schon damit ist genügend Bemerkenswertigkeit akkumuliert, um seine Ansicht zu dem hier anstehenden Problem ernsthaft zur Kenntnis zu nehmen, - vielleicht aber auch weiter kritisch zu bedenken.
    Er spricht zunächst über "Ansätze zur musikalischen Verwertung" bei der Verwendung von verschiedenen Schallwerkzeugen (15) und hebt dabei - indem er hier auch auf geschlechtsdifferenzierende Bedeutungsbelegungen verweist - die Trommeln hervor: "...das ‘weibliche’ Fell der Trommel ist tieferklingend als das ‘männliche’, weil der höhere Ton der aktivere ist und der dumpfere Schall im Eindruck gleichgesetzt wird mit der Vorstellung von Mutterschoß und Erdschoß."(16) Derartige Tonhöhenunterschiede, die sich mit Trommeln auch problemlos und wirkungsvoll realisieren lassen, werden von ihm als Vorstufen für Instrumentalmelodien und melodiefähige Instrumente interpretiert. Zu deren Entstehung führt er dann folgendes aus: "Auf melodiefähige Instrumente, auf Grifflochflöten, Panpfeifen, Mundbögen, Xylophone, trifft der Blick zuerst in neolithischen Schichten. Der wirtschaftliche Schwerpunkt dieser Kulturen liegt im Feldbau; die Frau besorgt die Pflanzung, während der Mann meist an Jagd und Schiffahrt festhält. Aber nicht das Gesellschaftliche und nicht das Wirtschaftliche interessiert hier, sondern die den Kulturen dieser Art eigene Richtung des Innenlebens. Diese Richtung ist ‘introvertiert’; sie geht auf Versenkung, Beseelung und Gemütsreaktion in einem Maße, wie es den vorwiegend männlich betonten Kulturen versagt ist. Was die vaterrechtlich- totemistischen Kulturen an Schallwerkzeugen geschaffen haben, das lärmt, brüllt, heult, pfeift, schwirrt; die mutterrechtlichen bauen Musikinstrumente im engeren Sinn, die nicht schrecken sollen, sondern wiedergeben, was der Mensch fühlt und sinnt. Wohlverstanden: nicht die Frauen brauchen Erfinder und Spieler zu sein - so wenig, wie sie Träger des religiösen Kultes sein müssen. Aber ihre besondere Anlage drückt der Kultur, in der sie bestimmend sind, den Stempel auf."(17) Und daran anschliessend betont er, dass erst nun, auf der Grundlage mutterrechtlicher Kulturen, eine ganz neue Klasse von Musikinstrumenten zu entstehen beginnt: "...die der Saiteninstrumente mit ihrem zarten, kaum den Nächststehenden hörbaren Ton."(18) Soweit Curt Sachs.
    Eine mehr an der konkreten, detailliert vergleichenden Analyse des Instrumentalmaterials orientierte Betrachtung wird hier natürlich andere Akzente setzen.
    Wenn es beispielsweise um Erklärungsbeiträge zum Verständnis der Entstehung und Entwicklung von Saiteninstrumenten geht, wird Vergleichsanalytische Organologie vor den Interpretationen und Vermutungen über Introvertiertheit und seelische Veranlagungen von Völkern und Kulturen, zunächst die in diesen Kulturen konkret möglichen bzw. real verwendeten Werkzeugmaterialien hinsichtlich ihrer musikinstrumentellen Potenzen und entsprechender spezifischer Entwicklungsmöglichkeiten, zum Gegenstand der Untersuchung machen wollen, und dabei dann auf zwei wichtige konstruktive Möglichkeiten stossen, die als grundlegende Ausgangsformen für die weitere Entwicklung von Saiteninstrumenten gelten können: Einerseits die gespannte schmale Lamelle, die als streifenförmiges ‘Oberflächensegment’ von einem pflanzlichen Körper längsflächig ausgeschnitten, abgehoben und dann - an ihren Enden weiterhin mit diesem verbunden bleibend - durch eine als ‘Steg’ wirkende Unterlage, gestrafft wird, und so mit dem Körper zusammen eine idioglotte Zither bilden kann. Andererseits findet man den allbekannten Bogen, der keiner so umständlichen Erklärung bedarf, in seiner Entwicklung auch eher heteroglott zu verstehen ist, aber ebenfalls zunächst mit einer eher ‘lamellenförmigen Saite’ ausgerüstet sein konnte.
    Ich betone diesen, in Hinsicht auf die Erklärung von Saiteninstrumenten ja zunächst widersinnig erscheinenden, ‘lammellaren’ Sachverhalt gerade aus der Sicht der Vergleichsanalytischen Organologie, die in diesem Zusammenhang auch darauf verweisen muss, dass generell die Ausgangsmaterialien für die Herstellung erster Musikinstrumente vor allem biotische, und eben auch spezifisch biotisch vorstrukturierte, also auch wesentlich lamellar-strukturierte Substanzen waren. Dabei kann diese ‘lamellaristische’ Betrachtung, also sozusagen eine ‘Audioorganologisch Vergleichsanalytische Lamellaristik’ (19) wiederum für das Verständnis des Gesamtsystems musikinstrumenteller Technik grundlegend sein, da sich von daher ein theoretischer Zugang für die systematische Erforschung der Vielfalt akustisch relevanter Konfigurationen abzeichnet. Die akustisch wirksamen Formgestalten, die wir bei ersten urtümlichen Schallwerkzeugen, abgesehen vielleicht von ‘Lithophonen’, finden, ergeben sich eben vorwiegend ganz naturwüchsig aus den biotisch vorgeprägten Strukturen der verwendeten Materialien.
    Diese ‘biotische Materialdominanz’ bleibt dann auch weiterhin für die Entwicklung von Musikwerkzeugen wesentlich und wirkt sich in der Entwicklung dieser besonderen Art von Technik historisch viel länger und viel nachhaltiger aus, als dies bei vielen anderen Werkzeugentwicklungen der Fall ist. So bestanden auch die ersten Banjo- Instrumente, die Amerika erreichen konnten, sicherlich noch vorwiegend, wenn nicht sogar vollständig aus ‘Bio-Substanzen’, und ihre dortigen Nachfolgexemplare werden wohl zunächst ebenfalls von dieser Art gewesen sein.
    Man könnte nun noch hinzufügen, dass auch die Prozesse der Energiewandlung bei musikinstrumenteller Technik - sowohl hinsichtlich des Umgangs mit solchen biotischen Substanzen, als auch hinsichtlich des Vorgangs der mittels ihrer Hilfe angestrebten Schallerzeugung - wiederum von grundsätzlich anderer, in bestimmter Hinsicht eigentlich sogar von geradezu gegensätzlicher Art, als bei sonstiger Werkzeug- und Technikentwicklung, sind.
    Und wahrscheinlich werden sich in derartig differenzierenden Tendenzen im unterschiedlichen Umgang mit unterschiedlichen Naturstoffen im Verlaufe der historischen Entwicklung auch wieder geschlechtspezifische Differenzierungen festgemacht haben können, die dann jeweils genauer ermittelt und untersucht werden müssten.
    Wenn man nun wieder sowohl die ersten lamellaren Zithern, als auch die Musikbögen genauer bedenkt, so können auch bei diesen wichtigen musikinstrumentellen Grundkonstruktionen hochinteressante und geschichtlich wesentliche Unterschiede deutlich werden, die zu jeweils ganz anderen Linien weiterer Technikentwicklung führen mußten. Die geschilderte Zitherkonstruktion, die in der idioglott-organischen Verbindung von schallgenerierendem Grundelement und Klangkasten (welcher zudem auch noch ein akustisch besonders wirksamer Hohlkörper sein konnte) auch ohne grossen Werkzeugaufwand und ohne erhebliche Kraftanstrengungen hergestellt werden konnte, entsteht im Prinzip bereits als fertiges, effektives Musikinstrument, und wohl auch in erster Linie, oder gar nur, als solches. Und sie kann dann auch, durchaus körperfern, neben dem Menschen stehen, um etwa gezupft oder angeschlagen, und Jahrtausende später vielleicht auch gestrichen zu werden.
    Der Bogen hingegen, ist, wenn er effektiv sein soll, durchaus schwieriger und aufwendiger herzustellen, dann aber hinsichtlich seiner akustischen Wirkungsmöglichkeiten alleine genommen doch zunächst viel ärmer, da ihm so etwas wie ein Resonanzkörper, ein Klangkasten, zunächst völlig fehlt. Er ist aber auf eine ambivalente Weise vielseitiger und bleibt dabei auch immer körpernäher als die ersten Zithern. Als Musikgerät muß dieses Werkzeug dem Körper des Menschen immer wieder sehr intim angenähert werden, und lässt sich so auch ohne energieaufwendige Anstrengung musikantisch effektiv schallwirksam nutzen, um dann, auf eine geschichtlich ganz neuartige Weise, in unmittelbar nahe herangerückter Wirkung, die Gefühle des Menschen treffen zu können.
    Als Tötungswerkzeug gelingt ihm seine geschichtlich ganz neuartige Effektivität, bei aller stets unverzichtbaren Körpernähe zum Benutzer, dann aber doch mehr unter dem eher gegenteiligen Vorzeichen der energieaufwendig erzielten Fernwirkung, mittels derer eben gerade auch die hier eher störend wirkende Möglichkeit der Entwicklung näherer Gefühls- Beziehungen zu den betroffenen und leidvoll getroffenen Körpern, weiter weggerückt wird.
    Dass nun - wie eine Reihe von Fakten (und viele Autoren) nahelegen - wohl vor allem doch der Bogen, und weniger die Zither, zu einem grundlegenden Ausgangspunkt der weiteren Entwicklung von Saiteninstrumenten geworden ist, verdeutlicht wiederum eine fundamentale Gegensätzlichkeit innerhalb menschlicher Geschichte, nämlich das anthropologisch grundsätzliche Spannungsverhältnis von Waffentechnik und Musikinstrumententechnik.
    Wechselbeziehungen von musikinstrumenteller und waffentechnischer Entwicklung lassen sich aber auch hinsichtlich anderer Linien musikinstrumenteller Entwicklung - also nicht nur in Bezug auf Saiteninstrumente - finden, und werden also wiederum einen überaus wichtigen Untersuchungsgegenstand Vergleichsanalytischer Organologie bilden.
    Gerade aber, wenn es um Bezüge zur Waffentechnik geht, werden sich gewiss auch wieder verschiedene signifikante Bezüge zu Geschlechterproblematik und Sexualität ausmachen lassen.
    Hinsichtlich Pfeil und Bogen aber ist diese Gegensätzlichkeit, oder auch - wenn man so will - diese primäre Identität von Waffe und Musikinstrument, weit hinaus über die speziellen Probleme musikinstrumenteller Entwicklungswidersprüchlichkeiten, eben auch für das tiefere Verständnis grundsätzlicher Widersprüchlichkeiten der Menschheitsgeschichte überhaupt wesentlich. Weit über den Unterschied zwischen einerseits schreckendem Lärm und andererseits seelisch verinnerlichter Melodie hinaus, geht es da vielmehr um Leben und Tod, um Krieg und Frieden, wobei eben all diese Gegensatzverhältnisse auch wieder viele Zusammenhänglichkeiten einschliessen, welche ihrerseits - wenn man diese näher bedenkt - auch wieder andere gegensatzbildende Tendenzen enthalten.
    *
    Ich neige durchaus auch zu der Ansicht, dass es wahrscheinlich bestimmten Tendenzen von ‘Frauenkultur’ zu verdanken ist, dass also das geschichtlich so überaus bedeutungsvolle Tötungsgerät auch an die Mundhöhle genommen und - damit freilich introvertierter als bei seiner Verwendung in Kampf und Jagd - für die Erzeugung zarter Obertöne, die tatsächlich ‘kaum dem Nächststehenden hörbar’ waren, genutzt wurde.
    Ich meine aber, dass ein solcher, eben von bestimmten Menschen unter bestimmten Bedingungen realisierter und dann auch kulturell sich durchsetzender Funktionswandel von der mächtigen, lebenssichernden Tötungswaffe zum zarten, lebenssinnstiftenden Tonerzeuger, durchaus im Zusammenhang mit dem ‘Gesellschaftlichen und dem Wirtschaftlichen’ - welches Sachs ja gerade hier ausdrücklich aus der Analyse ausgeblendet haben wollte - tiefer zu verstehen sein müßte. Zumal er eine Gesellschaft beschreibt, in welcher der Mann mit dem zielsicheren schnellen Bogen eher an der todbringend freien wilden Jagd festhält, während die Frau mehr von den Notwendigkeiten der zielstrebig langwierigen und lebensschützenden Behütung des zarten Wachstums von Pflanzen und Kindern festgehalten wird...
    Um aber entsprechende Vorstellungen über die Bedeutung des Geschlechtergegensatzes hinsichtlich der Entwicklung musikinstrumenteller Technik - ob nun in Bezug auf die Entstehung erster, noch verhaltener, introvertiert- zarter Saitenklänge in längst vergangenen Zeiten, oder etwa der Perspektiven der so erfolgreich lauten und meist vordergründig agierenden Saiten des Banjos in künftigen Zeiten - weiter auszubauen und zu verifizieren, bedarf es eben auch der Aufmerksamkeit all der Wissenschaften, die sich mit der Problematik des Geschlechtergegensatzes und den Problemstellungen zur Sexualität eingehender befassen.
    *

    Anmerkungen/Quellen:
    (1)
    siehe (12)
    (2)
    siehe (12)
    (3)
    Baines, Antony: (Hrsg.) Musikinstrumente, München 1962, S.200
    (4)
    Scruggs, Earl: The Five String Banjo, London 1968, S.7
    (5)
    Siehe z.B.: The Washington Post, 4.12.1994
    (6)
    Seeger, Pete: How To Play The 5-String Banjo, London 1962
    (7)
    Über bestimmte Erfahrungen zur Banjo-Produktion in der DDR, sowie bestimmten, von mir gemachten Vorschlägen zur Neukonstruktion bzw. zur Verbesserung von in Markneukirchen produzierten Banjos, sowie dem Ende der dortigen Banjo-Produktion nach dem Zusammenbruch der DDR, habe ich mich an anderer Stelle auseinandergesetzt.
    (8)
    Webb, Robert Lloyd: Ring the Banjar! The Banjo in America from Folklore to Factory, The MIT Museum of The Massachusetts Institute of Technology, 1984
    (9)
    ebenda
    (10)
    Sachs, Curt: Vergleichende Musikwissenschaft / Musik der Fremdkulturen, Heidelberg 1959, S.5
    (11)
    ebenda, S.5
    (12)
    Dies erwies sich bei meinen Untersuchungen insbesondere hinsichtlich bestimmter traditioneller Musikinstrumente, wie beispielsweise Dudelsack, Schwirrholz, Maultrommel, Waldteufel, Mirliton usw., auf die ich in verschiedenen Arbeiten zur Vergleichsanalytischen Organologie näher eingegangen bin. Siehe z.B.:
  • Das Hümmelchen - ein altdeutscher Dudelsack, Leipzig 1990
  • Einige grundsätzliche Aspekte zum besseren Verständnis von Musikinstrumenten im Lichte der Arbeiten des Verhaltensphysiologen Erich von Holst, in: Beiträge zur Traditionellen Musik, hrsg. von A.Michel und J.Elsner, Berlin 1990
  • Das Schwirrholz - Tongenerator zwischen Natur und Geist (Teil I), in: Probleme der Pflege und Aufführungspraxis traditioneller Musik, hrsg. von M.Bröcker, Bamberg 1993
  • Über die Wechselseitigkeiten von Instrumentalkonstruktion und Klangmöglichkeiten bei Maultrommeln, in: Instrument und Umwelt - Wechselbeziehungen zwischen der Beschaffenheit von Musikinstrumenten und ihren kulturellen Rahmenbedingungen, hrsg. von M.Bröcker, Bamberg 1995

  • (13)
    Hornbostel, Erich M.von, und Sachs, Curt: Systematik der Musikinstrumente. Ein Versuch, In: Zeitschrift für Ethnologie, 1914, Nr.46
    (14)
    siehe dazu auch (12)
    (15)
    Sachs, Curt: Vergleichende Musikwissenschaft / Musik der Fremdkulturen, Heidelberg 1959 S.25
    (16)
    ebenda, S.26
    Interessant ist in diesem Zusammenhang aber auch, dass diese Interpretation in eigenartiger Weise dem Umstand entgegensteht, dass hinsichtlich der menschlichen Stimmlage bei Mann und Frau gerade das Gegenteil vorliegt. In der anschließenden Diskussion zu diesem Vortrag, machte der Verhaltensforscher Prof. Dr. G. Tembrock in diesem Zusammenhang auch auf das geschlechstspezifische Phänomen des Stimmbruchs beim Menschen aufmerksam; - eine Erscheinung, welche sich in dieser Weise im Tierreich nicht findet.
    (17)
    ebenda, S.26
    (18)
    ebenda, S.27
    (19)
    siehe dazu insbesondere: Eichler, B.H.J.: Über die Wechselseitigkeiten von..., S.151 ff

    *