Ausgewählte Thesen und Anmerkungen zur ‘Vergleichsanalytischen Musikinstrumentenforschung’ (VAO)
(Vorgetragen und erläutert am 14.5.1997 im Interdisziplinären Institut für Wissenschaftsphilosophie und Humanontogenetik an der Humboldt-Universität zu Berlin)

1)
Vergleichsanalytische Audioorganologie geht zunächst wesentlich von der Analyse des naturbedingten Gewordenseins schallgenerierender Elemente und entsprechender Grundkonstruktionen aus, möchte dabei jeweils naturwüchsige und kulturwüchsige Qualitäten unterscheiden bzw. ermitteln, um auf dieser Basis auch ein besseres Verständnis von naturbedingten Zusammenhänglichkeiten innerhalb des Gesamtsystems musikinstrumenteller Technikentwicklungen zu ermöglichen, und möchte in der weiteren Analyse dann alle Entwicklungsmomente bzw. Wirkungsfaktoren kultureller bzw. sozialökonomischer Art, stets auch hinsichtlich des dabei jeweils naturbedingt gegebenen Möglichkeitsfeldes entsprechend spezifischer Instrumentalentwicklungen betrachtet wissen.
(Zitat aus meinem Vortrag "Musikinstrument und Sexualität")


2)
Zum "naturbedingten Gewordensein" lassen sich etwa folgende Stichpunkte zu vergleichsanalytischen Forschungsaktivitäten und Forschungsinteressiertheiten anführen:
3)
Die bisher weitläufig geltende Vierklassensystematik der Musikinstrumente muß unter verschiedenen Aspekten kritisch betrachtet und eigentlich in wesentlichen Punkten als unsachgerecht verworfen werden.
Vergleichsanalytische Audioorganologie arbeitet an einem besser begründeteten Systematisierungsverständnis, wobei sich bestimmte konzeptionelle Ansätze und eine Reihe von Begrifflichkeiten aus den vorliegenden vergleichsanalytischen Untersuchungen zu verschiedenen Musikinstrumenten (insbesondere zu sogenannten ‘ethnischen’ Musikinstrumenten, wie Dudelsäcken, Schalmeien, Schwirrholz, Waldteufel, Cistern, Maultrommeln und verschiedenartigen Flöten etc.) als grundlegend erwiesen haben.

4)
Angestrebt wird dabei jedoch kein starres "Ordnungssystem" (in welchem etwa jedem Instrument auch schon vor seiner eingehenderen Erforschung ein fester Platz zugewiesen werden soll), sondern eher ein von bestimmten (aus der Natur musikinstrumenteller Technikentwicklungen selbst zu begründenden) Prinzipien und Begrifflichkeiten geleitetes Systematisierungsverständnis, welches dann erst in jeweils konkreter Forschung zu konkreten Instrumentalerscheinungen und "organologischen" Zusammenhänglichkeiten auch sachlich begründete "System-Einordnungen" ermöglicht; sich in diesen Forschungsvorgängen aber auch ständig selbst für die mögliche Erweiterung, Entwicklung und Schärfung eigener Prinzipien und Begrifflichkeiten wach halten und stets neu sensibilisieren kann.

5)
So wie dieses Systematisierungsverständnis auf genaue, schallerzeugungsabhängige Einordnung eines jeden Musikinstrumentes abzielt, so intendiert es auch die genauere Ermittlung ‘offener’ Stellen, d.h. jeweils bestimmbarer instrumentaler Schallerzeugungsmöglichkeiten, die zwar bislang nicht realisiert wurden, trotzdem aber, als reale Möglichkeiten, auf den Platz solcher ‘offener’, von bisheriger musikinstrumenteller Technikentwicklung noch nicht ausgefüllter, Systembereiche gehören.
Vergleichsanalytische Audioorganologie sucht nach Wegen derartige Bereiche in die Forschung einzubeziehen, und geht dabei davon aus, daß sich mögliche Wege solcher Einbeziehung nicht nur theoretisierend aufspüren lassen werden, sondern daß sie wesentlich auch in praktischer Experimentalforschung mit realen Funktionsmodellen - bis hin zu möglicherweise real nutzbaren neuartigen Musikinstrumenten - zu entwickeln sind.

6)
Die Arbeit mit Experimentalmodellen ist (zumal wenn es um die eingehendere Erforschung sogenannter ‘ethnischer’ Musikinstrumente geht) für Vergleichsanalytische Audioorganologie ohnehin eine charakteristische und überaus wesentliche Forschungsmethode.

7)
Auf diesen Wegen (5) läßt sich zunächst ein tieferes Verständnis für den Charakter der Vielfalt von Möglichkeiten erarbeiten, die Menschen in ihrer Auseinandersetzung mit der Natur und mit sich selbst, bislang sowohl realisiert, als auch nicht realisiert haben - aber letztlich vielleicht doch immer noch nutzfreudig zu realisieren vermögen.

8)
Dabei ergeben sich insbesondere aber auch erweiterte Möglichkeiten für eine gründlichere Erforschung der Vielfalt sogenannter ‘ethnischer’ Musikinstrumente

9)
Vielleicht läßt sich dabei aber auch ein tieferes Verständnis für menschliches Tun und Lassen überhaupt entwickeln.

10)
In diesem Sinne lassen sich vielleicht auch die innerhalb des natürlichen Systems der Musikinstrumente im Umfeld der Maultrommel besetzten und unbesetzten Bereiche als besonders aufschlußreicher Forschungsgegenstand nutzen, zumal die ‘außerordentliche’ organologische Bedeutung akustisch relevanter Spaltbildungen bislang wenig erkannt ist, und zudem in den letzten Jahrzehnten eine bislang keineswegs abgeschlossene internationale Diskussion zur systematischen Position der Maultrommeln entstanden ist.

11)
Vergleichsanalytische Audioorganologie sucht die internen Funktionsstrukturen des schallgenerierenden Aktivitätspotentials "natürlich-akustischer" Musikinstrumente genau zu ergründen und fragt dabei nach den "wesentlichen autooszillatorisch aktiven Elementen".

12)
Mit dieser Fragestellung kann eine deutliche Zweiteilung des ‘natürlichen Gesamtsystems natürlich-akustischer Musikinstrumente’ vorgenommen werden, da eine bestimmte (systematisch leicht überschaubare) Minderheit von Musikinstrumenten ohne derartige ‘autooszillatorisch zu aktivierende’ Elemente auskommt.
Die weitaus schwieriger zu überschauende Mehrheit muß dann sowohl hinsichtlich der jeweils wesentlichen schallgenerierenden Elemente, als auch hinsichtlich der spezifischen ‘instrumental-internen Verkopplungen’ solcher Elemente, eingehender untersucht und entsprechend differenziert werden.
Ausgehend von der weiteren Frage nach dem jeweils primär wirkenden autooszillatorischen Element, kann dann in folgender Weise unterteilt werden:
Es können dann (im Sinne ‘vergleichsanalytischer Lamellaristik’) beispielsweise solche signifikanten Konfigurationen, wie
13)
Mit diesen Differenzierungen lassen sich sowohl spezifische Erregungsarten erfassen bzw. ‘lokalisieren’, als auch spezifische Möglichkeitsfelder hinsichtlich ‘Spieltechnik’ und Spielverhalten zu entsprechenden Konfigurationen und Instrumentalkonstruktionen umreißen.
Dabei kann der ‘lammellaristische Beitrag’ für das Verständnis der Entwicklung musikinstrumenteller Technik (Wechselseitigkeit von Konfiguration und Klangmöglichkeiten) weiter ausgebaut werden.

14)
Ein im Sinne der Vergleichsanalytischen Audioorganologie konzipiertes Musikinstrumentenmuseum (z.B. ein "Vergleichsanalytisches Maultrommelmuseum" - siehe dazu meinen diesbezüglichen Projekt-Vorschlag) könnte, ohne daß dabei bisher übliche Anliegen oder Aufgabenstellungen musikinstrumenteller Expositionen bzw. entsprechender musealer Einrichtungen, prinzipiell in Frage gestellt oder ‘geopfert’ werden müßten, folgende, prinzipiell neuartige Besonderheiten enthalten:
15)
Mit den vorliegenden Konzepten und Ergebnissen zur Musikinstrumentenforschung, insbesondere zur Systematisierungsproblematik, steht die Vergleichsanalytische Audioorganologie in einer spezifisch(en) deutschen Wissenschaftstradition, die zudem nach dem zweiten Weltkrieg eine besondere ostdeutsche Entwicklungslinie hervorgebracht hat.
Letztere ist vornehmlich durch die Arbeiten von H. Dräger und H.Heyde, sowie in gewisser Weise auch von E.Stockmann geprägt.
Es lassen sich demgegenüber keine westdeutschen Namen mit vergleichbarer Bedeutung nennen.

16)
Die hier vorgestellte Forschungsrichtung hat sich etwa Mitte der achtziger Jahre innerhalb meiner Tätigkeit am Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR herausgebildet.
Sie wurde dann seit etwa 1990 aus dem zunächst umfassender angelegten, und in den Evaluierungsdokumenten des Wissenschaftsrates allgemein als "Musikphilosophie" bezeichneten, Arbeitsgebiet von mir konzentrierter als spezielle "Vergleichsanalytische Organologie" (VAO) weitergeführt.

17)
Die Handikap-Situation bei der Herausbildung und Entwicklung dieser Forschungsinitiative resultiert zunächst aus bestimmten wissenschaftsinternen Bedingungen der DDR und verschärfte sich dann - bis hin zu den gegenwärtigen Existenz- und Wirkschwierigkeiten vergleichsanalytisch-audioorganologischer Forschungen - vor allem im Prozess der deutschen Einheit mit bestimmten eliminatorischen Tendenzen innerhalb der "Abwicklungs"- bedingten Veränderungen und Zerstörungen der ostdeutschen Wissenschaftslandschaft.
Konkrete zusätzliche Bedrohungen für die Weiterführung dieser Forschungen ergeben sich inzwischen zunehmend aus bestimmten restriktiven Vorgehensweisen von Arbeitsamtsstellen im Lande Brandenburg, sowie aus den allgemeineren Wirkungen des "Arbeitsförderungs- Reformgesetzes".

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