Über mögliche Konsequenzen zur Systematisierung von Musikinstrumenten angesichts eines inkonsequent gebrauchten Begriffs der ‘Systematik der Musikinstrumente’
(Vortrag vom 24.4.1998 zum 60. Geburtstag von Dr.H.Düsterhöft)

Was ich hier vortragen möchte zielt vor allem auf bestimmte Fragwürdigkeiten des Begriffes "Aerophon", also "Luftklinger", für ein systematisches Verständnis musikinstrumenteller Technik.
Aber es zielt natürlich auch auf meinen Freund Heinz Düsterhöft, mit dem ich seit Jahrzehnten immer wieder zusammen musiziert habe, manchmal auch höchst vergnüglich gemeinsame Vorlesungen halten konnte und vor allem, was für meine ansonsten eher philosophischen Forschungen besonders wichtig war, auch immer wieder hochinteressante aufschlußreiche physikalische Laborexperimente zu verschiedenen Musikinstrumenten und akustischen Experimentalmodellen machen konnte, - mit dem ich mich aber bislang noch nie so recht auf ein gemeinsames Verständnis zu Grundfragen der Systematisierung von Musikinstrumenten einigen konnte.
Ich nutze also anläßlich dieses Geburtstagskolloquiums die Gelegenheit, um ihn wieder einmal mit kritischen Anmerkungen zur Systematik zu konfrontieren und dabei alte Grundfragen in neuer Verkleidung vorzutragen.
Dabei denke ich, daß eine auf kritisch bedachte Problemstellungen abzielende Sicht zu anderen Auffassungen gerade auch als eine solide Form der gegenseitigen Anerkennung, Achtung und auch Ehrerbietung gelten kann - zumal gegenüber Freunden mit denen man auch gemeinsam an bestimmten Problemen arbeitet.
In erster Linie richtet sich meine kritische Sicht dabei natürlich nicht gegen Heinz Düsterhöft, sondern gegen die allgemein anerkannte und das Denken über Musikinstrumente bei Musikwissenschaftlern (und zuweilen auch Physikern) weitgehend und weltweit beeinflussende "Systematik der Musikinstrumente" von C.Sachs & E.M.v.Hornbostel(01). Denn dieser, so oft hoch gelobten Systematik stehe ich nun ganz und gar nicht freundlich gegenüber. Ich halte sie in vielerlei Hinsicht für gänzlich mißglückt und in vielen Aspekten für falsch und fehlorientierend(02.
Schon die dort vorgenommene, ursprünglich von dem Belgier Mahillon in das europäische Denken über Musikinstrumente eingeführte und von Sachs und Hornbostel dann einfach übernommene Vierklassenteilung der Musikinstrumente impliziert eine Reihe von Inkonsequenzen.
Ursprünglich hatte Mahillon, der als erster konsequent nach einer naturwissenschaftlichen Begründung für die Klassifizierung und Systematisierung von Musikinstrumenten suchte und diese dann in der Physik sah, dabei wohl zunächst die physikalischen Aggregatzustände fest, flüssig und gasförmig vor Augen. Dabei faßte er bemerkenswerterweise die Tatsache, daß die Musikwissenschaft es zwar mit Festklingern und Gasklingern, aber nicht mit Instrumenten bei denen Flüssigkeiten klingen, zu tun hat, als einen wahrscheinlich vorübergehenden Zustand auf.
Seiner Auffassung nach wären also künftig auch mögliche Flüssigkeitsklinger unter den Musikinstrumenten zu systematisieren(03).
Hier ergibt sich sogleich auch eine entsprechende Frage an die Physik, zu der ich, außer vielen Einzel-Hinweisen und einer Menge von Aus- und Hin- und Her- Reden bislang keine prinzipielle Antwort für die Musikwissenschaft kenne. Warum nutzen wir keine Hydrophone? Wären derartige Musikinstrumente prinzipiell unmöglich?
Ich möchte auf diese Frage zurückkommen wenn ich einige Fragwürdigkeiten des gegenwärtig üblichen Aerophon-Begriffs näher verdeutlicht habe.

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Im Sinne des ursprünglichen Denkansatzes von Mahillon kann man den entsprechenden Aerophon- Begriff (wenn man unterstellt, daß es in der Regel ohnehin vor allem Luft sein wird die als klingendes Gas zur Anwendung kommt - und also diesen Begriff entsprechend auf dieses Gas bezieht) noch als korrekt und systematisch konsequent akzeptieren.
Anders wurde dies, so denke ich, nachdem Mahillon daranging, die tatsächlich vorhandenen Instrumente seiner Sammlung zu systematisieren. Hier führte er nun die bis heute weltweit im Schwange befindliche Vierklassenteilung ein und bestimmte dazu Membranophone (gespannte Membranen), Chordophone (gespannte Saiten), Autophone (‘Selbstklinger’ - die keiner zusätzlichen Spannung bedürfen) und Aerophone als die vier Grundklassen des Systems. Diese Klassifizierung wurde dann im Grunde eigentlich von allen späteren Systematikern implizit übernommen, wobei Sachs und Hornbostel in ihrer im Jahre 1914 konzipierten Systematik dann gar behaupteten, daß diese Vierklassenteilung Mahillons auch in höchst anerkennenswerter Weise "den Anforderungen der Logik voll entspricht"(04).
Man muß hier aber doch folgendes sehen: Membranen und Saiten sind in bestimmter Weise ausgeformte - gewissermaßen als Extreme ausgeformte -Festklinger, die in der Regel erst gespannt werden, um in bestimmten Instrumenten schallwirksam genutzt zu werden. Sie sind in der Systematik gegenüber der Klasse der autophonen Festklinger (die Sachs und Hornbostel freilich lieber als Idiophone bezeichnet haben wollten) durch den Aspekt der Spannung unterschieden, werden dabei aber gegenseitig durch den Aspekt der unterschiedlichen Form differenziert. Die Festlegung der vier Hauptklassen geschieht also schon hier unter ganz verschiedenen Aspekten und auf ganz unterschiedlichen Ebenen.
Wenn man außerdem ernst nimmt, daß Autophone (d.h. Idiophone), nun dadurch bestimmt sind, daß sie nicht immer extra gespannt werden müssen um effektiv zu klingen, dann sind in diesem Sinne eigentlich Aerophone wiederum doch auch Idiophone(05); - bloß eben gasförmige.
Ich denke, daß man bereits derartige Widersprüchlichkeiten innerhalb dieser Art von Klassifizierung deutlicher durchdenken muß um dann auch entsprechende Konsequenzen im Sinne einer besser begründeten Systematik ziehen zu können.
Um im Weiteren noch andere Unschärfen dieser Vierklassenteilung hervorzuheben habe ich mich aber soeben auch gezielt einer weniger eindeutigen Sprache bedient, als ich sagte, daß Saiten und Membranen in der Regel erst gespannt werden müssen und Aerophone und Idiophone nicht immer extra gespannt werden müssen. Diese, noch viele Möglichkeiten offen lassenden Formulierungen habe ich deswegen benutzt, weil ich allzu gut weiß, daß das audioorganisch so wichtige Moment der Spannung, welches bei Saiten und Membranen zwar als obligatorisch erscheint, doch wieder auch bei manchen Gasklingern und bestimmten festen, nicht unbedingt saiten- oder membranförmigen Schallgeneratoren eine wichtige Rolle spielen kann.
Andererseits kann aber auch eine in Bezug auf die Form vorgenommene Unterscheidung von Membranen und Saiten auch effektive Schallgeneratoren umfassen, die keineswegs gespannt sein müssen. Das heißt, daß auch ungespannte Saiten und Membranen eindrucksvoll schallwirksam sein können, und daß wiederum auch bei Autophonen und Aerophonen, die nicht saiten- oder membranförmig sind (bei letzteren wäre dies ja auch schwierig), das Moment der Spannung eine wichtige Rolle zur Effektivierung der Schallerzeugung spielen kann.
Das Aufzeigen und Analysieren entsprechender Beispiele und grundsätzlicher Möglichkeiten wäre nicht nur einer eigenen Spezial-Vorlesung, sondern auch spezieller weiterer Untersuchungen wert.
Ich wollte jedoch zunächst verdeutlichen, daß der Aerophon-Begriff schon in Bezug auf die Vierklassensystematik, in die er im Sachs-Hornbostelschen System (und insofern also auch in das organologische Denken der Musikwissenschaften) eingeordnet ist, in einem Spannungsfeld voller Inkonsequenzen und Widersprüchlichkeiten steht, und es ist bemerkenswert, daß sich die Musikwissenschaft daran kaum sonderlich zu stören scheint. Im Gegenteil, - sie hört nicht auf, dieses System als logisch und erfolgreich zu loben und hervorzuheben, und nutzt dabei zuweilen auch die ehrwürdigende Betonung des Alters seiner kaum durch grundsätzlichen musikologischen Zweifel gestörten "Bewährtheit"(06).
Aus Sicht der Fachrichtung die ich hier zu vertreten habe, - also aus Sicht der Vergleichsanalytischen Organologie - erleidet der Aerophonbegriff aber nun in diesem System noch weitere Verunschärfungen.
Als grundsätzliche Bestimmung für Aerophone berufen sich Sachs und Hornbostel in ihrer Arbeit von 1914 zunächst auf Mahillon und bestimmen, ihn interpretierend, die Instrumente der vierten Klasse als solche, "bei denen eine Luftsäule schwingt"(07).
Im weiteren finden sich dann aber bei Sachs & Hornbostel in dieser Klasse auch Instrumente wie das Schwirrholz oder die Peitsche, die wir (H.D.; B.E.) aus bestimmten philosophischen Gründen, aber eben auch weil diese Instrumente physikalisch so exquisit sind, für untersuchenswert hielten.
Es ist klar, daß die Schallerzeugung dieser Instrumente keineswegs irgendwie mit schwingenden Luftsäulen zusammenhängt, sondern daß diese Instrumente eben auch ohne die Nutzung eigener, instrumentalinterner Schall-Schwingungsfähigkeit - die ja bei anderen .Musikinstrumenten ansonsten die erforderliche Voraussetzung bildet, um dann erst über das Medium Luft unser Ohr zu erreichen - dadurch schallwirksam werden, daß sie unmittelbar im schallleitenden Medium selbst, also dort sozusagen "außer sich", das heißt, außerhalb ihrer eigenen Instrumentalität, extrainstrumental Schallschwingungen erzeugen können. Sie sind also auf eine besonders raffinierte Weise nichtselbstklingende Schallerzeuger. Andere Musikinstrumente (wie eben solche mit schwingenden festen Stoffen oder auch instrumentalintegrierten Luftmengen usw.), die selbst, sozusagen "in sich selbst", also internal, die oszillatorischen Potenzen ihrer instrumentalintegrierten Substanzen zur Erzeugung schallrelevanter Schwingungen nutzen, wären demgegenüber im tatsächlichen Sinne Selbstklinger. Hier freilich in einem ganz anderen Begriffssinne als bei Sachs und Hornbostel. Man könnte diese Instrumente vielleicht besser mit dem freilich schlechteren Wort ‘In-sich-Klinger’ (bzw. ‘In-sich-Oszillatoren’) im Unterschied zu den ‘Außer-sich-Klingern’ bezeichnen. Ich neige eher dazu, die ersteren, bei denen die Erzeugung schallrelevanter Oszillationen eben nicht im Inneren des Instrumentalmaterials bzw. nicht im Innern des Instrumentes ansetzt, als Instrumente externalisierter Schallerzeugung, also als "Externenten" zu bezeichnen, wohingegen die anderen, bei denen die schallerzeugenden Oszillationsvorgänge internal ablaufen, dann als "Internenten" bezeichnet werden können. Freilich ebenfalls häßliche Wörter, - aber keine so unverschämte Behelligung der deutschen Sprache.
Einen dieser außerordentlichen "Außer-sich-Klinger", vielleicht den wichtigsten, sicherlich aber den ehrwürdigsten Vertreter unter den Externenten - das Schwirrholz - habe ich hier mitgebracht, um vielleicht anzuregen, es selbst einmal auszuprobieren und vor allem Heinz Düsterhöft anzuregen vielleicht noch etwas über die ausführlichen Untersuchungen die wir damit im hiesigen Labor und auch in diesem Hörsaal hier angestellt haben, zu erzählen.
Also, dieses mit einer Schnur verbundene Schülerlineal, - dieses kleine Holzbrettchen - soll gerade ebenso wie etwa eine Flöte zu den Aerophonen gehören? Ich empfinde dies natürlich aus systematischer Sicht als ganz ungerechtfertigt und als inkonsequent; - da sollte schon besser getrennt, begrifflich eingehender differenziert und klassifikatorisch besser unterschieden werden.
In Bezug auf Flöten ist die Begriffszuweisung "Aerophon" durchaus in Ordnung. Bei diesen Instrumenten wird die in ihrem Innenraum instrumentalintegrierte Luft zu schallrelevanten Oszillationen gezwungen, wodurch dann wiederum das außerhalb des Flöteninstrumentes befindliche schalleitende Medium Luft zu entsprechenden Schwingungen angeregt wird. Also mit Blasluft erzeugte Schwingungen von Instrumentalluft, die an das schallleitende Medium Luft weitergeleitet werden. Eine höchst bemerkenswerte, durch und durch luftige Angelegenheit der Schallerzeugung, aber nichtsdestoweniger doch recht klar und eindeutig. Also auch ein klar berechtigter Aerophon-Begriff.
Nicht ganz so klar und luftig wie bei Flöten ist es nun wieder bezüglich anderer, bei Sachs und Hornbostel ebenfalls zu den Aerophonen gezählter Blasinstrumente. Ich meine solche wie etwa Schalmeien, Trompeten, Klarinetten, Oboen usw., bei denen jeweils erst ein bestimmtes nichtgasförmiges, also festes, aktiv schallschwingendes Element instrumental vorgeschaltet werden muß um dann erst - also erst sekundär - auch die instrumentalintegrierten Luftmengen solcher Blasinstrumente zum Schwingen bringen zu können. Und zuweilen sind diese primär vorgeschalteten Oszillatoren auch von ganz erheblicher Größe. Baßklarinettisten oder auch Baritonsaxophonspieler bezeichnen z.B. die von ihnen auf das Mundstück aufzuklammernden Zungen aus Holz (arundo donax), schon wegen deren Größe manchmal gerne als "wahre Stullenbretter" .
Da es sich bei derartigen Blasinstrumenten also um Instrumente handelt, bei denen ganz unterschiedliche schallaktive Schwingungselemente verkoppelt sind, sollte hier auch nicht mehr so ohne weiteres einfach von Aerophonen die Rede sein wie bei Flöten.
Damit begegnen wir einer weiteren wesentlichen Schwäche der Sachs-Hornbostelschen Systematisierung: Kopplungen verschiedenartiger schallrelevant oszillierender Instrumentalele-mente - die sich nicht nur bei den erwähnten Blasinstrumenten sondern auch bei einer Vielzahl andersartiger Musikinstrumente finden lassen und zweifellos auch für deren jeweiliges Verständnis ganz wesentlich sind - werden in dieser Systematik nicht ernst genommen.
Für die eingangs gestellte Frage nach "Hydrophonen" lassen sich nun folgende zusätzliche Präzisierungen formulieren:
Zunächst wäre vielleicht zu fragen, wie es hinsichtlich der Eignung von Flüssigkeiten für externierend instrumentalisierte Schallerzeugung aussehen könnte? Vor allem aber steht hier die Frage, ob ein Musikinstrument möglich wäre, dessen einzige wesentliche oder (im Falle von Kopplung) dessen primär schallrelevant oszillierende Substanz eine Flüssigkeit sein könnte?
Gerade bezüglich derartiger Probleme und Fragen stoße ich bei Heinz Düsterhöft immer wieder auf diverse Schwierigkeiten: Er möchte beispielsweise die von ihm gerne vorgeführte wassergefüllte "verstimmbare Glocke" gleich als Hydrophon auffassen (was ich nicht akzeptieren möchte) und akzeptiert andererseits nicht die von mir hinsichtlich der verschiedenen Arten von Kopplungen und der grundlegenden Unterscheidung von Externenten und Internenten behaupteten Konsequenzen für eine sinnvollere Systematisierung der Gesamtheit der Musikinstrumente.
Daß sich aus der Sicht des Sachs-Hornbostelschen Systematisierens solche Fragen gar nicht erst ergeben, liegt auf der Hand. Gerade die Problematik von Kopplungen wird dort nicht systematisch erfaßt, sondern eher systematisch unter den Tisch gekehrt. Eine der interessantesten Konsequenzen dieser inkonsequenten Systematisierungskonzeption zeigt sich dabei dann auch darin, daß von den Anhängern dieser Systematik immer wieder eine ganz bestimmte Flötenart, die Mirliton-Flöte, die, wenn man es nüchtern betrachtet, zweifellos ein "echtes Aerophon" (nämlich eindeutig eine ganz normal angeblasene Flöte) ist, dort - offenbar im Rausch des fest traditionalisierten Vierklassendenkens - den Membranophonen zugeordnet wird: Nur weil diese Flöte zusätzlich mit einem sekundär angekoppelten winzigen Häutchen versehen ist, welches den Ton des Instrumentes auch nicht eigentlich primär erzeugt, sondern nur sekundär verfärbt. Wenn man nun noch genauer auf diese Fehlleistung Sachs-Hornbostelschen Systematisierens schaut, wird die Sache noch peinlicher, denn die zusätzliche Mirliton-Membrane an der Flöte entspricht gerade genau nicht der in der Vierklassenteilung als wesentlich hervorgehobenen Definition von Membranen. Diese sind dort schließlich durch das Moment der Spannung definiert worden. Das Mirliton-Häutchen an der Flöte ist aber gerade ein typisches Beispiel für eine zwar rundum fest justierte, aber keineswegs gespannte Membrane. Es funktioniert eben genau anders als etwa ein Fell auf Trommel oder Pauke, welches erst dann richtig Krawall machen kann, wenn es genügend straff gespannt ist. Die Mirliton-Membran an der Flöte kommt hingegen erst zur rechten Wirkung, wenn sie (etwa indem sie dazu extra etwas angefeuchtet wird) gerade nicht straff gespannt ist.
Um diese Systematisierungsproblematik noch weiter zuzuspitzen, habe ich hier nun ein neuentwickeltes Musikinstrument mitgebracht, welches man auf den ersten Blick durchaus für ein solches Mirlitoninstrument, aber vielleicht auch für eine kleine Handtrommel halten könnte, welches aber eigentlich, ganz wie etwa Trompete, Klarinette oder Oboe usw. als verkoppeltes Blasinstrument konstruiert ist.
Das Instrument besteht im wesentlichen aus zwei unterschiedlich langen Röhren mit unterschiedlichen Durchmessern und einer Membrane. Letztere ist am Ende der kürzeren, aber weiteren, Röhre angebracht, welche dann der dünneren Röhre übergestülpt wurde. Damit sitzt die Membrane nun auch an einem Ende der inneren Röhre fest und straff gespannt auf und verschließt diese von dieser Seite(08). Die äußere Röhre ist nun wiederum an ihrem anderen Ende dicht mit der inneren verschlossen, d.h. gegen diese abgedichtet, so daß zwischen diesen beiden Röhrenteilen und der Membran ein (wiederum "röhrenförmiger") abgeschlossener Hohlraum - sozusagen eine "innere Luftröhre" - gebildet wird, in die jedoch durch eine seitlich an der äußeren größeren Röhre angebrachte "Mundstücks-Öffnung" hineingeblasen werden kann.
Dieses Instrument läßt sich nun zunächst auch ganz wie ein Mirliton benutzen, wenn ich in diese seitliche Öffnung hinein singe. Das kann durchaus wie ein normales Kazoo, also wie ein besungenes Mirliton klingen.
Die umwerfende Raffinesse dieses nur scheinbar schlichten Gerätes besteht aber nun darin, daß ich auch ohne meinen Gesang, durch einfaches stimmloses Hineinblasen in diese seitliche Öffnung, die gespannte Membrane vor der Röhre zum Schwingen bringen kann. Dabei wird die eingeblasene Luft zunächst in den abgedichteten Hohlraum zwischen größerer und kleinerer Röhre (also in die "innere Luftröhre") gepreßt, um dann, da ihr kein anderer Weg mehr bleibt wenn der Blasdruck genügend groß geworden ist, diese Membrane jeweils kurz anzuheben und in die innere "Klang-Röhre" (die an ihrem anderen Ende natürlich offen ist) zu entweichen. Die so in Schwingungen versetzte gestraffte Membrane bringt die angekoppelte Luftsäule der inneren Röhre in Schwingungen und das akustische Ergebnis ist - wie man nun, nachdem ich das Instrument angeblasen habe, weithin hören kann - überaus effektiv.
An diesem Instrument ist in unserem Zusammenhang vor allem Folgendes wichtig:
  1. Zunächst kann ich es als eine kleine Hand-Trommel auffassen und auch tatsächlich auf der straff gespannten Membrane effektiv trommeln.

  2. Dann kann ich es als Kazoo verwenden.

  3. In diesen beiden Funktionen ließe es sich auch durchaus in der traditionellen Systematik (freilich unter Einschluß der dort ohnehin enthaltenen Widersprüchlichkeiten) plazieren.

  4. Im Sinne seiner eigentlichen Konstruktion aber, d.h. im Sinne der bei ihm realisierten speziellen Kopplung von angeblasener Membrane und angekoppelter, ebenfalls angeblasener schwingender Luftsäule, kann es keinen sicheren Platz in der bisherigen Systematik finden.

  5. Da es nun aber, wenn auch als neuerfundenes Instrument ohne große musikalische Tradition, doch existiert (und als substantiellen Existenzbeweis sollte man natürlich unter den Bedingungen der gegenwärtig so siegreich agierenden kapitalistischen Marktwirtschaft unbedingt hinzufügen, daß es offenbar auch erfolgreich als wirksames Schallgerät verkauft wird), müßte es doch einen Platz im System der Musikinstrumente zugewiesen bekommen. Mit der Plazierung dieses neuartigen "Membrano-Aero-Phons" (welches entsprechend den bisherigen Systematisierungsgepflogenheiten sowohl als Aerophon, als auch als Membranophon plaziert werden könnte/müßte) würden sich die inneren Konflikte der Systematik weiter zuspitzen, so daß diese Systemauffassung dabei immer brüchiger werden müßte.

Die Brüchigkeit der bisherigen Systematik würde aber vor allem dann unübersehbar werden, wenn dieses Schallerzeugungsprinzip nun auch noch musikinstrumentell weiterentwickelt würde, denn auf Grund dieses Prinzips lassen sich eine ganze Reihe verschiedenartiger Weiterentwicklungen veranstalten.
Es könnten dabei ganz neuartige Instrumente und auch ganze Instrumentenfamilien entstehen.
Die vielleicht wichtigsten Aspekte solcher Weiterentwicklungsmöglichkeiten (die freilich auch alle wieder als "verkäufliche" Produkte denkbar sind...) seien im folgenden kurz angedeutet:
Sicherlich gibt es in Bezug auf dieses faszinierend vielseitige und überaus effektive Schallerzeugungsprinzip noch mehr Möglichkeiten der konstruktiven Erweiterung und instrumentalen Weiterentwicklung und alle in diesem Sinne neuartig möglichen Instrumente würden dann das System der realen Musikinstrumente nicht nur beträchtlich erweitern, sondern auch die bisher herrschende Systematisierungs-Auffassung allseitig erschüttern.
Auf jeden Fall aber impliziert schon die einfache Existenz dieses hier vorliegenden neuartigen Instruments eine schweren Angriff auf das Sachs-Hornbostelsche System.
Sozusagen ein Angriff von außen (da das Instrument ja noch nicht in die Systemvorstellungen der traditionellen Systematiker eingedrungen ist), bei dem das Gerät freilich leicht zum Trojanischen Pferd werden könnte, sobald es ernstgenommen wird und insofern dann auch innerhalb der Stadtmauern des Sachs-Hornbostelschen Systems zu wirken begänne.
Es gibt aber noch ein ganz anderes, ebenfalls in raffinierter Weise "verkoppeltes Musikinstrument", um welches es seit vielen Jahren bereits "systemkritische Diskussionen" gibt und welches insofern durchaus als ein subversives Element innerhalb des offiziellen Systems gelten kann.
Hier meine ich die Maultrommel, welche ich schon seit längerem gerne unter systematischem und entwicklungstheoretischem Aspekt als einen "Archaeopteryx der Audioorganologie" bezeichnet habe(10).
Mit diesem hochinteressanten und aufschlußreichen Instrument konnten wir (H.D.;B.E.) ebenfalls eine Reihe von physikalischen Experimenten und Untersuchungen durchführen, die dann neben bestimmten Antworten auch zu ganz neuen Fragen geführt haben.
In der Systematik von Sachs und Hornbostel wurde dieses weltweit verbreitete und sehr alte Instrument als Idiophon klassifiziert und genauestens plaziert(11). Aber seine Position wird nun schon seit einiger Zeit von verschiedenen Organologen(12) kritisch in Frage gestellt.
Da die Tonbildungs- und Tonveränderungsmöglichkeiten der Maultrommel zweifellos ganz wesentlich durch die Luft der beim Spiel angekoppelten Mundhöhle und auch durch unterstützendes Anblasen des ansonsten angezupften Instrumentes bedingt werden (was allerdings C. Sachs nicht so recht akzeptieren wollte und schon bald nach der Veröffentlichung seiner Systematik mit sehr fadenscheinigen Argumenten bestritt(13), ist nun, - auch wieder bei Anhängern (oder vielleicht besser "Mitläufern"?) der Vierklassenteilung - der fatale Vorschlag aufgetaucht, dieses Instrument ebenfalls als Aerophon einzustufen und zu bezeichnen...(14).
Hier neige ich natürlich zunächst wieder dazu, mir verzweifelt die Haare zu raufen und mich angesichts derartiger Tendenzen fortschreitender Inflationierung des Aerophonbegriffs zu empören, kann aber in ruhigerer Verfassung gelassen konstatieren, daß diese unsägliche Eskalation weiterer Begriffsinkonsequenz freilich vor allem den ohnehin unglückseligen Inkonsequenzen der traditionellen Systematik geschuldet ist und sich insofern (obwohl sachlich ganz ungerechtfertigt) doch auch als eine bestimmte Art von verunglückter Konsequenz deuten, und also vielleicht auch nachsichtiger beurteilen, läßt.
Ich selbst möchte freilich andersartige Konsequenzen favorisieren, die ich - bei aller unverhohlen philosophischer Vorlieben für klarer festgelegte und systematisch fruchtbar zu verwendender Begrifflichkeiten - doch vor allem in Richtung der weiteren vergleichsanalytisch sachlichen Erforschung der spieltechnisch-musikantischen und physikalisch-akustischen Besonderheiten des konkreten Musikinstrumenten Materials und seiner Entwicklungsmög-lichkeiten sehe.
Und in diesem Sinne habe ich mir auch erlaubt, Heinz Düsterhöft zu seinem 6o Geburtstag wieder einmal eine Wunschliste für weitere gemeinsame physikalische Untersuchungen zu verschiedenen Instrumenten und Experimentalmodellen zu überreichen, unter denen die Fragestellungen zum "Archaeopteryx der Audioorganologie" natürlich wieder einen wesentlichen Platz einnehmen.

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Anmerkungen/Quellen:
(01)
Siehe: Systematik der Musikinstrumente / Ein Versuch. Von Erich v. Hornbostel und Curt Sachs (1914); in: Erich Moritz von Hornbostel/Tonart und Ethos / Aufsätze zur Musikethnologie und Musikpsychologie; herausgegeben von Christian Kaden und Erich Stockmann, Leipzig 1986, S. 151 - 206
(02)
Diesen Standpunkt, den ich seit vielen Jahren vertrete, habe ich - mehr oder weniger ausdrücklich - bereits in verschiedenen anderen Arbeiten verdeutlicht. Siehe dazu z.B.:
Eichler, B.H.J., Das Hümmelchen - ein altdeutscher Dudelsack, Leipzig 1990
Eichler, B.H.J., Das Schwirrholz - Tongenerator zwischen Natur und Geist (Teil I) in Probleme der Pflege und Aufführungspraxis traditioneller Musik, hrsg. Von M. Bröcker, Bamberg 1993
Eichler, B.H.J., Über die Wechselseitigkeiten von Instrumentalkonstruktion und Klangmöglichkeiten bei Maultrommeln, in: Instrument und Umwelt - Wechselbeziehungen zwischen der Beschaffenheit von Musikinstrumenten und ihren kulturellen Rahmenbedingungen, hrsg. von M.Bröcker, Bamberg 1995
(03)
Mahillon, Victor: Catalogue descriptive et analytique de Musee Instrumental du Conservatoire Royal de Musique de Bruxelles, Gent 1888
(04)
Siehe: Systematik der Musikinstrumente / Ein Versuch. Von Erich v. Hornbostel und Curt Sachs; a.a.O. S. 154
(05)
Auf diese spezifische "Begriffs-Kalamität" hatte bereits 1938 H.Backhaus, in: Über den Stand der Forschung auf dem Gebiet der physikalischen Akustik, in: Archiv für Musikforschung III (1938) hingewiesen; allerdings ohne dann in seinen weiteren Arbeiten zur musikinstrumentellen Akustik entsprechende systematische Konsequenzen zu ziehen.
(06)
Ein besonderes Beispiel für diese Tendenz findet sich bei Erich Stockmann in seinem Vorwort zu: Erich Moritz von Hornbostel/Tonart und Ethos / Aufsätze zur Musikethnologie und Musikpsychologie; herausgegeben von Christian Kaden und Erich Stockmann, Leipzig 1986, S.13/14. Mit bestimmten geistesgeschichtlich-politischen Aspekten derartiger Apologetik habe ich mich an anderer Stelle eingehender auseinandergesetzt.
(07)
Siehe: Systematik der Musikinstrumente / Ein Versuch. Von Erich v. Hornbostel und Curt Sachs; a.a.O. S. 154
(08)
Freilich wird ein so konstruierter Tongenerator auch funktionieren, wenn die Membrane das innerer Rohr an dieser Stelle nicht verschließt, sondern sich in geringem Abstand über dieser befände und durch das Hineinblasen jeweils erst angesaugt würde (aerodyamisches Paradoxon).
(09)
Für ein systematisch-systemisches Musikinstrumentenverständnis scheint es mir wichtig und letztlich unverzichtbar, gerade auch diese Möglichkeit der Klangerzeugung bei Membranen zu beachten.
(10)
Siehe beispielsweise in: Eichler, B.H.J.; Über die Wechselseitigkeiten von Instrumentalkonstruktion und Klangmöglichkeiten bei Maultrommeln. In: Bröcker, Marianne (Hrsg.): Berichte aus dem ICTM Nationalkomitee Deutschland 1995, S.151-165; aber auch in: Die Maultrommel als Gegenstand des Musikunterrichts / Systematisches Musikinstrumentenverständnis und fremde Musik.
(11)
Siehe: Sachs, Curt: Die Maultrommel.Eine typologische Vorstudie, in: Zeitschrift für Ethnologie, 1917, S.185-200
(12)
Zusammenfassungen und Wertungen dieser Diskussionen finden sich in: Fox, Leonard: The Jew’s Harp, Cranbury, 1988; sowie in: Plate, Regina: Kulturgeschichte der Maultrommel, Bonn 1992
(13)
Siehe: Sachs,Curt: Die Maultrommel. Eine typologische Vorstudie, in: Zeitschrift für Ethnologie, 1917, S.185-200
(14)
Siehe 12)

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