Zur systematischen Position der sogenannten ‘durchschlagenden Zunge’
(Abstract zum Vortrag auf dem 20.Musikinstrumentenbau-Symposium, vom 19.- 21.11.1999 im Kloster Michaelstein)

Aus vergleichsanalytischer Sicht erweist sich die innerhalb eines Längsrahmens ‘spaltgenau durchschwingende Zunge’ wegen der rahmenabhängigen Komplexität dieses Tongenerators sowie wegen der Vielfalt seiner musikinstrumentellen Nutzungsmöglichkeiten als ein besonders hervorzuhebendes Phänomen audioorganischer Evolution. Die Maultrommel kann dabei vergleichsweise als ein ‘Archaeopteryx der Audioorganologie’ angesehen werden. Von daher ableitbare Entwicklungen reichen von verschiedenen Maultrommel-Instrumenten (die nur einen solchen Tongenerator zur Erzeugung verschiedener Töne nutzen) über verschiedenartige Mundharmonikainstrumente und entsprechend weiterentwickelte Balginstrumente (zur Erzeugung mehrerer Töne sind sie auch mit mehreren derartigen Elementen ausgerüstet) bis zu schalmeienartigen Griffloch-Blasinstrumenten in Asien (hier können wiederum mit nur einer einzigen rahmenspaltgenau durchschwingenden Zunge an einer angekoppelten Luftsäule beliebige Tonleitern erzeugt werden). Dieser vielseitige und in den verschiedenen Musikkulturen ganz unterschiedlich genutzte Tongenerator erscheint zudem auch heute noch als besonders ‘entwicklungsoffen’. So wäre (als nur ein Beispiel) auch ein Dudelsack-Instrument mit so bestückten Bordun- und Melodiepfeifen denkbar.
Hinsichtlich ihrer genaueren Systematisierung zeigt sich bei Musikinstrumenten mit derartigen Tongeneratoren eine besonders konfliktreiche Problemlage, welche sich auch in den Diskussionen um die systematische Position der Maultrommel widerspiegelt. Aus Sicht der gegen Ende der achtziger Jahre am ehemaligen ‘Zentralinstitut für Philosophie’ (Akademie der Wissenschaften der DDR) entstandenen ‘Vergleichsanalytischen Organologie’ (VAO) werden gerade in diesem Zusammenhang auch die prinzipiellen Unzulänglichkeiten der bislang in der Musikwissenschaft weitgehend anerkannten Systematik von Sachs und Hornbostel deutlicher, wobei dieser Systematisierungsversuch aus dem Jahre 1914 als im Grunde verfehlt angesehen wird. Als Gegenposition wurde ein entsprechend andersartig konzipierter Ansatz zum Verständnis des ‘Natürlichen Systems der Musikinstrumente’ entwickelt. Dabei versucht VAO zunächst die wesentlichen Elemente schallrelevanter Oszillation (WESO) eines jeden Musikinstrumentes genauer zu ermitteln und in ihrer jeweiligen Wirkungsweise bzw. ihren Wirkungsmöglichkeiten eingehender zu verstehen. Sie unterscheidet dabei zwischen internaler und externaler Schallerzeugung. Jedes WESO wird in Hinsicht auf seinen Aggregatzustand, die Art und den Grad seiner akustisch relevanten Konfiguration sowie bezüglich seiner realen und real-möglichen Kopplung mit anderen WESO fixiert. Im Falle derartiger Verkopplungen wird das jeweils primär wirkende WESO ermittelt und ausgehend von diesen bzw. von den jeweils einzelnen/einzigen WESO eines jeden natürlich-akustischen Instruments läßt sich dann ein spezifisch physikalisch-akustisch begründetes Gerüst zur Systematik der natürlich-akustischen Musikinstrumente aufbauen.
Von daher läßt sich sowohl hinsichtlich der systematischen Plazierung als auch in Bezug auf das detailliertere Verständnis der Funktionsweise von Musikinstrumenten, aber auch in Bezug auf ihre jeweils spezifische Entwicklungsposition (bzw. ihre weiteren Entwicklungsmöglichkeiten) eine komplexere Sichtweise entfalten, welche gerade auf all die Musikinstrumente neues Licht fallen lassen kann, welche die schallrelevanten Oszillationen solcher ‘spaltgenau durchschwingenden Zungen’ nutzen.

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