Kurze Anmerkungen zu einigen ausgewählten Konfliktfällen
aus dem Wirkungsumfeld der Vierklassensystematik von Sachs und Hornbostel
Zunächst möchte ich Frau Edda Brandes dafür danken, dass
ich dieses Jahr wieder die Möglichkeit habe, hier vor Ihnen über Probleme der
Systematisierung von Musikinstrumenten zu sprechen.
Ich möchte natürlich nun nicht einfach meinen Vortrag vom
vorigen Jahr wiederholen (in welchem ich darauf abzielte meine grundsätzliche
Position zur Problematik audioorganologischen Systematisierens in mehr
theoretischer Weise vorzustellen), sondern diesmal eher versuchen, anhand
einiger paraktisch-akustischer Bespiele zu bestimmten Musikinstrumenten und zu
weiterführenden Experimental-Modellen bestimmte Fragen zur speziellen
Funktionsweise ausgewählter Musikinstrumente und damit zu verbindender
genereller Fragen zur Systematik natürlich-akustischer Musikinstrumente sowie
bemerkenswerter Konfliktfälle audioorganologischen Systematisierens vorzuführen
und zu kommentieren, wobei mir das Aufwerfen von Fragen und Problemen
wichtiger sein wird, als etwa der Versuch gleich festlegende Antworten und
systematisch abgesicherte Positionierungen zu erreichen.
Ich möchte Sie allerdings bitten, meine Ausführungen zur
Systematik, die ich voriges Jahr zu dieser Lehrveranstaltung hier gemacht
hatte, gelegentlich im Internet nachzulesen, weil diese sowohl für das tiefere
Verständnis der systematischen Bedeutung der von mir nun ausgewählten
Klangbeispiele, als auch der von mir heute akzentuierten grundsätzlichen
Bedenklichkeiten grundlegend sind.
Dazu überreiche ich Ihnen, ebenso wie ich dies hier im
vergangenen Jahr getan hatte, ein Informationsblatt mit meiner Internetadresse
und den Informationen zu meinen Vorlesungen zur „Systematik und Physik der
Musikinstrumente“, die ich an der Humboldt Universität halte sowie eine
Übersichtsdarstellung meiner Auffassung zur „Systematik natürlich-akustischer
Musikinstrumente“, welche vielleicht auch für die im Anschluss an diesen
Vortrag von mir erhoffte Diskussion zu diesem Problemkreis dienlich sein kann.
In diesem Sinne habe ich nun zwei unterschiedliche
Abteilungen technischer Geräte vor Ihnen ausgebreitet.
Auf der einen Seite klar erkennbare Musikinstrumente und
auf der anderen, weniger deutlich zu interpretierende, eher experimentelle
Geräte (Stahlgefäße, Glas- und Plasteflaschen, verschiedene Röhren aus
Plastewerkstoffen usw.), die aber für mein Anliegen ebenso wichtig sind wie
die vorliegenden Musikinstrumente.
Hier lauert nun schon eine erste Konfliktmöglichkeit, mit
der Sie sich auch als Musikethnologen auseinandersetzen müssen.
Sollte die Musikinstrumentenforschung vor allem kunst-
und kulturhistorisch relevante Musikinstrumente ernst nehmen oder auch – eben
in Abhängigkeit von bestimmten weiterführenden Fragestellungen - eher
technisch-physikalisch gestaltete bzw. entsprechend ausgewählte
Schallgeneratoren eingehender beachten?
Ein weiterer Konflikt, mit dem Sie es dabei zu tun haben
können, besteht in Folgendem:
Werden Sie sich nun, wenn ich verschiedene dieser hier
vor Ihnen liegenden Gerätschaften zum Klingen bringe, eher von bestimmten
Klangerlebnissen bzw. der besonderen Anmutungsqualität musikrelevanter
Schallereignisse (ob diese nun von technisch-physikalisch konzipierten
Experimentalmodellen oder von kulturhistorisch gereiften Musikinstrumenten
herrühren mögen) beeindrucken oder auch „begeistern“ lassen oder werden Sie
sich eher anregen lassen, dann auch über das Zustandekommen bestimmter Klänge
nachzudenken und insofern auch geneigt und bemüht sein, sich ein eingehenderes
physikalisch-technisches Verständnis der jeweiligen Funktionszusammenhänge
innerhalb bestimmter, musikinstrumentell-relevanter Schallerzeugungsvorgänge
zu erarbeiten?
Ich beabsichtige natürlich, vielmehr das Zweite
anzuregen:
Beginnen möchte ich dabei zunächst mit einigen
Instrumenten der hiesigen Abteilung bestimmter bekannter Musikinstrumente, zu
denen ich mir nun entsprechende Anmerkungen erlaube.
Das sogenannte Flexaton, welches man in unmittelbarem
Zusammenhang mit der singenden Säge und auch den Steeldrums betrachten kann,
gehört mit diesen zusammen zu einer der besonderen Innovationen in der jüngeren
Evolution natürlich-akustischer Musikinstrumente.
Diese Instrumente sind offensichtlich Solidophone (also
Festkörper-Klinger), welche hinsichtlich ihrer schallgenerierenden
Funktionsweise wesentlich durch das Moment der Spannung charakterisiert werden
müssen, - aber (und darin besteht hier der Konflikt hinsichtlich der
Vierklassensystematik) weder Membranophone noch Chordophone sind.
Die Mirlitonflöte wird peinlicherweise oft als
Membranophon eingeordnet, obwohl das dünne Häutchen am Instrument den Ton
keineswegs erzeugt, sondern nur in klangverfärbender Weise mitschwingend
verändert. Dazu muss es – wie ich Ihnen zeigen werde - jeweils erst
angefeuchtet werden, um so seine Spannung als gestraffte Membrane zu verlieren.
Insofern ist das Häutchen, an dieser chinesischen Flöte
genau genommen auch keine Membrane im Sinne dieser Systematik, welche dort ja
durch das Moment der Spannung definiert werden.
Darauf - insbesondere auf „ angeblasene Membranen“ -
werde ich im Weiteren wieder zurückkommen.
Die Maultrommel, welche bei Sachs und Hornbostel als
„Zupfidiophon“ definiert wird, kann auch, was ich Ihnen hier ebenfalls
vorführen werde, als ungezupftes Blasinstrument zur Wirkung kommen.
In diesem Zusammenhang ist dann hochinteressant, dass
gerade zur Maultrommel eine Diskussion in der Musikwissenschaft entstanden ist,
die eine Infragestellung der systematischen Position dieses Instrumentes
innerhalb der klassischen Vierklassensystematik enthält, - aber letztlich auch
eine prinzipielle Infragestellung impliziert, welche die gesamte
Vierklassensystematik berührt und erschüttert.
Dabei ist aber höchst bedauerlich, dass, damit im
Zusammenhang, vor allem zwei „Schlussfolgerungen“ durch die Literatur und die
entsprechenden musikwissenschaftlichen Diskussionen geistern. Einmal die eher
extreme Forderung, dass dieses Zupfinstrument nun besser als Aerophon
eingeordnet werden sollte, und zum anderen der eher „vermittelnde“ Vorschlag,
die Maultrommel nun als eine Art von „Zwitter-Instrument“ anzusehen, welches -
„sowohl als auch“ - verschiedene Merkmale von verschiedenen
Musikinstrumentenklassen trägt...
Ersteres könnte man nur aufrechterhalten, wenn der
bislang ohnehin nicht sehr präzise Aerophon-Begriff weiter verunklart wird und
dann also auch umso schwerer genauer zu definieren wäre, und die zweite
Position ließe sich, sobald man sich auch auf gründlichere
vergleichsanalytische Betrachtungen bestimmter anderer Aerophone der
Sachs-Hornbostelschen Vierklassensystematik einlässt, auch jeweils zu manchen
von diesen beziehen.
Ich möchte nun auf die drei unterschiedlichen
Maultrommel-Exemplare, die ich hier mitgebracht habe, eingehen.
Einmal die typische europäische Form mit offenem Rahmen
aus Metall, welche ich – wie angekündigt – hiermit auch durch einfaches
Anblasen, also ohne dass das Instrument dazu angezupft werden muss, zum Klingen
bringen kann.
Dann zwei asiatische Varianten mit geschlossenem Rahmen
- eine philippinische aus Bambus und eine vietnamesische aus feinem
Messingblech - , die hinsichtlich ihrer Grundkonstruktion in deutlicher Weise
den Tongeneratoren der chinesischen Mundorgel (sowie anderer asiatischer
Blasinstrumente mit derartigen Tongeneratoren) gleichzusetzen sind.
Hier ist ganz offensichtlich ein
entwicklungsgeschichtlicher Zusammenhang zu vermerken.
Wir finden, wie ich Ihnen jetzt zeigen kann, das gleiche
Konstruktionsprinzip (hier ebenfalls aus feinstem Messingblech, aber freilich
in viel kleinerer Ausführung) bei dem Tongenerator des schalmeienartigen
asiatischen Blasinstrumentes, welches ich Ihnen nun anblase und dessen Umfang -
wie Sie hören können – gut anderthalb Oktaven (von G bis cis) umfasst.
Hier möchte ich Sie anhand einer inzwischen erschienenen
Publikation, die ich Ihnen nun zur Kenntnisnahme durchreiche, auf Folgendes
aufmerksam machen.
Die Ihnen vorliegende „Systematik natürlich-akustischer
Musikinstrumente“ entstammt einem dort veröffentlichten Vortrag, den ich am
20.11.1999 zum 20. internationalen Musikinstrumentenbau-Symposium im Kloster
Michaelstein halten konnte, und in dieser Systematik findet ein solches
Instrument natürlich seinen Platz.
In dieser Publikation finden Sie aber auch einen, dort
meinem damaligem Vortrag vorangestellten Beitrag „Zur Systematik der
Klangerzeugung mit Zungen“ von Prof. Jobst Fricke, der meiner Auffassung
deutlich entgegengestellt ist, und nach dessen Lektüre man zu der Ansicht
gelangen kann, dass es ein solches Musikinstrument mit einem solchen Tonumfang
überhaupt nicht geben könne.
Um ein näheres Verständnis für die gegenwärtig völlig
unklare und überaus konfliktreiche Wissenschaftssituation um die „Systematik
der Musikinstrumente“ zu gewinnen, kann ich Ihnen nur empfehlen, dieses
„Konflikt-Beispiel“ der dort veröffentlichten beiden unterschiedlichen
Systematisierungsauffassungen analytisch-vergleichend zur Kenntnis zu nehmen,
wobei ich Sie zumindest darauf aufmerksam machen möchte, dass bereits auf der
ersten Seite des entsprechenden Beitrages von J.Fricke, in fast jedem der dort
gedruckten Sätze, ohne Weiteres gänzlich fehlsinnige oder auch geradezu völlig
falsche Aussagen und Behauptungen zu finden sind.
Der Waldteufel erfährt in der Sachs/Hornbostelschen
Systematik eine allgemein als unstrittig angesehene Einordnung als
Membranophon.
Als spezielle „Schnur“-Reibetrommel sollte dieses
Instrument aber doch wohl viel besser als Chordophon verstanden werden, denn
das hier primär wirkende, wesentlich schallgenerierende musikinstrumentelle
Element ist nicht die Membrane, sondern zunächst die Schnursaite, mittels derer
die dort erzeugten Longitudinalwellen (die letztlich stets auch zu
Transversalwellen umgewandelt werden) erst in sekundärer Weise die
nachgeordneten Schwingungen der Membrane bedingen.
Das Instrument kann zudem – wie ich Ihnen nun ebenfalls
vorführen kann - auch ganz ‚normal’ (also transversal) wie jedes andere
Saiteninstrument angestrichen oder angezupft werden.
Außerdem finden wir an diesem Instrument noch ein
aerophones Element, welches ich Ihnen nun an seinem Trommelkörper durch
maultrommelartiges Spiel vor meiner Mundhöhle verdeutlichen kann.
Auch auf dieses Problem möchte ich wieder zurückkommen.
Zunächst aber zu den Instrumenten der hier vorliegenden
zweiten Abteilung.
An einem einfachen Stück beidseitig offenem
Installationsrohr aus PVC lässt sich Folgendes zeigen:
Wenn ich es durch Händeklatschen vor einer seiner beiden
Öffnungen – ebenso wie ich es Ihnen hier vor meiner leicht geöffneten Mundhöhle
vorführen kann – mittels eines Luftimpulses „anschlage“, dann haben wir es
wohl zweifellos mit einem aerophonen Schallereignis und, hinsichtlich dieses
Rohres, mit einem Aerophon zu tun.
Das Gleiche – bloß in anderer Weise - wird wohl auch der
Fall sein, wenn ich einfach nur mit einer Handfläche auf eine der beiden
Rohröffnungen schließend an/aufschlage.
Allerdings erklingt nun, wo das Rohr im Augenblick des
Anschlages nicht mehr offen, sondern einseitig geschlossen, also, „gedackt“
ist, der so erzeugte kurze Ton eine Oktave tiefer.
Ein ebensolcher „Oktavton“ – bloß mit etwas anderer Klangfärbung
– vernehmen wir auch, wenn ich dieser Rohröffnung zuvor einen gut schließenden
Deckel aus gleichem Material aufgesetzt habe und dann an diesen anschlage,
oder wenn ich es in dieser geschlossenen Form einfach mit meinen Fingern
seitlich anschlage.
Nun stellt sich aber die Frage, ob wir es in dieser Weise
immer noch mit einem Aerophon zu tun haben.
Eine ebensolche Frage lässt sich stellen, wenn ich
entsprechend vergleichbar erzeugte Tonereignisse auch mit bestimmten- wie ich
es Ihnen nun zeige -, einfach seitlich oder auch am Boden weich angeschlagenen
Glasflaschen vorführe.
Und außerdem - und dies möchte ich nun an dieser langen
PVC Röhre ebenfalls noch zeigen – kann ich den Waldteufel von vorhin nun
abschließend auf eine Öffnung dieser Röhre aufsetzen, und damit wiederum ganz
andere und wiederum erstaunliche Schallereignisse erhalten.
Und erstaunlich sind dann auch bestimmte, wiederum
schwierig zu interpretierende Schallereignisse die mit Hilfe von Wasser
zustande kommen.
So sehen Sie jetzt in meinen Händen verschiedene extrem
dünnwandige und vollständig mit Wasser gefüllte Flaschen aus
Plastematerialien, welche ich, um die Schwingungsvorgänge, auf die es mir nun
ankommt, nicht zu behindern, an ihren Verschlussseiten mit Fäden befestigt habe
und dann in entsprechend frei hängender Lage seitlich anschlage.
Es sind ganz eindeutige (und nebenbei gesagt auch
wunderbar klingende) tiefe Töne zu hören, deren Schwingungen wir hier auch
unmittelbar an den Flaschenoberflächen beobachten können; - ebenso wie wir sie
dort deutlich (aber eben dabei auch „zerstörerend“) mit unseren Fingerspitzen
fühlen können.
Hier haben wir es dann also auch mit der Frage zu tun, ob
sich nun bereits von „Hydrophonen“ sprechen lässt oder es eher doch (eben wegen
des einhüllenden Flaschenmaterials) nur bestimmte Membranophone sind.
Etwa „Flaschenhüllenmembranophone“, deren flüssiger
Inhalt - etwa vergleichbar mit der Membrane des Waldteufels gegenüber deren
Schnur - hier erst mittels ihrer Membranen lediglich in sekundärer Weise, zum
schallrelevanten Oszillieren gelangen konnte?
Ich möchte hier - so wie ich bereits eingangs betont
hatte – keineswegs sogleich auf festlegende Antworten in solchen, bislang wohl
nicht einfach zu beantwortenden Konfliktfällen des Systematisierens
schallerzeugender Technik hinaus, will aber bei dieser Gelegenheit auch
sogleich betonen, dass die bereits von Mahillon aufgeworfene Frage nach der
Existenz von Flüssigkeitsklingern meiner Meinung nach durchaus in deutlich
zustimmender Weise beantwortet werden sollte.
Unter den in meinen sonstigen Vorlesungen zur „Systematik
und Physik von Musikinstrumenten“ dazu behandelten Beispielen erscheint mir
dabei der tropfende Wasserhahn über dem teilgefüllten Waschbecken als eines der
deutlichsten und auch interessantesten – zumal es eben auch mit ziemlicher
Sicherheit von uns allen schon irgendwie einmal erlebt worden ist.
Hier ist klar, dass wohl nur das Wasser im Waschbecken,
und nichts anderes, zu schallrelevanten Oszillationen angeregt wird.
Das Bemerkenswerte an den dabei entstehenden Tönen ist
dann aber, dass solche zuweilen überaus nervtötenden Tropfgeräusche von
Tropfenfall zu Tropfenfall jeweils in anderer Tonhöhe an unseren Nerven zu
sägen vermögen.
Dass mag zunächst erstaunlich sein, denn die Wassermenge
im Becken bleibt doch im wesentlichen (abgesehen von einer nur sehr
allmählichen Vergrößerung dieser Menge) gleich.
Und wir können auch davon ausgehen, dass nicht etwa der
möglicherweise von Fall zu Fall unterschiedliche Wassertropfen, sondern die
durch den Einfall von Wassertropfen jeweils erschütterte Wassermenge in die für
das Tonereignis schallrelevanten Oszillationen versetzt wird, welche dann durch
die immer wieder erneut wellenbewegte Wasseroberfläche an das Medium Luft
abgestrahlt werden.
Diese Oberfläche aber wird normalerweise (ebenso wie auch
die gesamte Wassermenge) bei jedem erneuten Tropfeneinfall in einen jeweils
anderen Schwingungszustand als beim vorhergehend einfallenden Tropfen
versetzt, was dann auch zwangsläufig zu jeweils anderen Tönen führen muss.
Mit ganz anderen „Wassertropfschallereignissen“ haben wir
es aber wieder dann zu tun, wenn wir solche Tropfen – was sich stets sehr
eindrucksvoll installieren lässt - etwa in teilweise mit Wasser gefüllte
Röhren einfallen lassen.
Dann wird das Ergebnis natürlich wieder ein vorwiegend
aerophones Schallereignis sein, denn in dieser Weise vernehmen wir dann vor
allem Töne mit einer zunächst ganz bestimmten Tonhöhe, die durch die Länge der
sich über der Wasseroberfläche befindlichen Luftsäule innerhalb dieser Röhren
bedingt sind.
Diese lassen sich allerdings in wiederum beeindruckender
Weise verändern, sobald dieses Rohr, und damit eben auch die innere
Wasseroberfläche, bewegt werden.
Als eine besonders interessante musikinstrumentelle
Neuerung möchte ich Ihnen nun einen Tongenerator vorführen, bei dem es sich,
wie Sie an dem Experimentalmodell, welches ich Ihnen hier zeige, leicht
erkennen können, um eine angeblasene Ganzmembrane handelt.
Im deutlichen Unterschied zum Mirliton handelt es sich
hier um eine notwendigerweise gespannte Membrane, die den Ton auch tatsächlich
selbst aktiv oszillierend erzeugt.
Dabei ist auch hervorzuheben, dass es ein solches
Blasinstrument, nämlich ein ’angeblasenes Membranophon’, nach dem Verständnis
der Systematik von Sachs und Hornbostel eigentlich gar nicht geben kann.
Es existiert aber inzwischen nicht nur in der Ihnen
soeben vorgeführten „Experimentalmodellform“, sondern bereits als ein auf dem
Musikinstrumentenmarkt zum Verkauf anstehendes hochentwickeltes Musikinstrument
des berliner Erfinders Bernhard Schimpf, der einen solchen Tongenerator für
seine Erfindungen nutzt.
Dazu möchte ich Ihnen nun auch eines seiner
diesbezüglichen Informationsblätter zu diesem Instrument durchreichen.
Für ein genaueres Verständnis der Funktionsweise und der
weiter reichenden Möglichkeiten dieses Tongenerators möchte ich Sie auf meinen
im Internet nachzulesenden Vortrag „Über mögliche Konsequenzen zur
Systematisierung von Musikinstrumenten angesichts eines inkonsequent
gebrauchten Begriffs der ‘Systematik der Musikinstrumente’ “ hinweisen.
Eine ganz andere Möglichkeit, bestimmte Membranen durch
Anblasen zu schallrelevanten Oszillationen anzuregen, möchte ich Ihnen nun anhand
verschiedener flachgeformter Flaschen vorführen.
Zunächst anhand zweier völlig gleicher Flaschen aus
Plastematerial, welche, wie man auch leicht überprüfen kann, über genau das
gleiche innere Volumen verfügen.
Um deutlich zu machen, auf was es mir nun ankommt, habe
ich eine der beiden vollständig mit einer festen Masse – ähnlich wie Gips –
umkleidet.
Wenn ich diese beiden Flaschen nun panflötenartig
anblase, so ergeben sich – trotz gleichen Volumens beider – jeweils
unterschiedliche Töne.
Die unummantelte erklingt tiefer, wobei (ähnlich wie bei
der Gesamthülle der zuvor wassergefüllten Plasteflaschen) deutliche Vibrationen
an ihren membranartigen Seitenflächen zu vermerken sind. Besonders
bemerkenswert ist dann aber, dass sich die Tonhöhe der mit solchen
angeblasenen Flaschen erzeugten Töne auch noch verändern lässt, wenn es einem
gelingt, die Membranspannung dieser Seitenflächen durch Stauchen, Ziehen oder
Drücken und „Verbiegen“ des Flaschenkörpers zu verändern.
Das gleiche Phänomen findet sich – wie Sie nun ebenfalls
miterleben können – auch bei bestimmten flachgeformten Flaschen aus dünnem
Edelstahlblech.
Es wird sicher nicht leicht sein, nun zu entscheiden, ob
es sich bei einem solchen Schallgenerator in erster Linie um einen „Gasklinger“
oder einen “Membranklinger“ handelt, aber sicher ist doch wohl, dass wir es
hier, ebenso wie bei vielen anderen Musikinstrumenten, mit dem Phänomen der
Kopplung unterschiedlich beschaffener sowie unterschiedlich wirkender,
schallrelevant oszillierender Substanzen und Konfigurationen zu tun haben.
Um dieses Phänomen geht es mir auch bei dem letzten
Experimentalmodell, welches ich Ihnen nun noch vorführen möchte.
Sie sehen einen einfachen zylindrischen Sektkühler, wie
er gegenwärtig häufig im Handel angeboten wird.
Das doppelwandig luftdicht konstruierte Gefäß aus
Edelstahlblech möchte ich nun als eine Art Glocke auffassen und entsprechend
anschlagen, wobei seine äußere Wandung, welche ich hier auch noch mit
abdämpfendem Material beklebt habe, naturgemäß deutlich anders klingt als
seine innere, welche aufgrund des Vakuums zwischen beiden nun eigentlich
ziemlich selbstständig zur Wirkung kommt und immer noch einen recht klaren
Glockenton von sich gibt.
Diese nun von ihrer Außenseite her „im Vakuum eingehängte“
innere Glocke kann ihren Klang – ganz anders als bei allen anderen sonstigen
Glocken – jetzt nicht mehr seitlich, sondern nur noch in Richtung ihrer
verbleibenden Öffnung abstrahlen.
Und dieser Umstand ermöglicht es uns, nun folgendes
Schallphänomen ganz deutlich zu vernehmen: Wenn ich meine Faust (oder auch
einen beliebigen anderen, genügend großen Gegenstand) in diese zuvor
angeschlagene „innere Glocke“ eintauche, ohne dabei die schallschwingende
Glockenwand zu berühren, so erklingen plötzlich zusätzliche, höhere
„Glockentöne“, die auch sofort wieder erlöschen, sobald ich meine Faust wieder
entferne.
Ich denke, dass dies durch die Veränderung der
mitschwingenden Luftmenge innerhalb dieser „inneren Glocke“ zu erklären ist.
Und ähnlich wie bei bestimmten Mautrommelklängen, bei
denen der Grundton der Maultrommel-Zunge bei allen durch die Mundhöhle jeweils
verstärkt hervorgehobenen Partialtönen mit klingen kann, haben wir es auch
hier mit entsprechenden Mehrstimmigkeiten zu tun.
Die flachgeformten „Membranflaschen“ und die geschilderte
Röhrenglocke sind hinsichtlich ihrer technischen Verwirklichung natürlich
abhängig von den verwendeten Materialien und also auch abhängig von
fortgeschrittenen Technologien der Herstellung bestimmter Plastewerkstoffe
sowie modernster Metallbearbeitungsverfahren; - und also auch erst in jüngerer
Zeit in dieser Weise möglich geworden.
Aber der hier vorgeführte Tongenerator mit angeblasener
Ganzmembrane hätte auch schon vor vielen Jahrtausenden entdeckt und hergestellt
werden können - vielleicht gab es auch bereits entsprechende Instrumente –,
oder vielleicht gibt es sie auch gegenwärtig noch als traditionelle „ethnische
Instrumente“, die nur noch nicht von der Musikethnologie entdeckt bzw. zur
Kenntnis genommen worden sind.
Und so betrachtet, ergeben sich hier auch spannende
Fragen für die weitere Musikinstrumentenforschung, - insbesondere für die
Ethnoorganologie.
Solche Fragen lassen sich aber auch
systematisch-systemisch weiterführend bedenken, indem auch gezielt nach
weiteren möglichen, bislang nicht bekannten, bislang noch nicht erfundenen
natürlich-akustischen Tongeneratoren Ausschau gehalten wird.
Freilich stellt sich die Musikwissenschaft solche Fragen
normalerweise überhaupt nicht.
Aber innerhalb der „Vergleichsanalytischen
Audioorganologie“, wie ich sie betreibe, müssen solche Fragestellungen und
entsprechende methodologisch begründete Forschungswege mitbedacht werden.
Dazu können Sie im Internet meinen Vortrag „Ausgewählte
Thesen und Anmerkungen zur ’Vergleichsanalytischen Musikinstrumentenforschung’
(VAO)“ nachlesen.
Als eine Schlussfolgerung aus dem hier Vorgetragenen
möchte ich dabei jedenfalls die Notwendigkeit der genaueren Erfassung und
organologischen Differenzierung verschiedener Arten von musikinstrumentellen
Kopplungen unterschiedlicher Elemente schallrelevanter Oszillation betonen.
Mir scheint dies eine wesentliche Bedingung für die notwendige Weiterenwicklung
der audioorganologischen Systematik und für das eingehendere Verständnis der
Entwicklung und Wirkweise von musikinstrumenteller Technik zu sein.
Eine Problematik, welche offenbar im „Systematik-Denken
von Sachs und Hornbostel“ keine entsprechende Berücksichtigung gefunden hat.
In diesem Sinne möchte ich Ihnen auch empfehlen, gezielt
auf die weitere Entwicklung von natürlich-akustischen Instrumenten zu achten.
Nicht nur in Bezug auf bestimmte Detailinnovationen, - sondern vor allem
hinsichtlich der musikinstrumentellen Nutzung solcher wesentlichen Neuerungen,
wie sie etwa bei dem Instrument zu finden sind, welches von Bernhard Schimpf
entwickelt worden ist.
Was wird sich da etwa in den nächsten zehn Jahren noch
entwickeln können?
Und wenn man schon einen solchen Zeitraum ins Auge
fasst, dann gilt es, noch andere Konfliktkonstellationen zu bedenken, an denen
man in Bezug auf unsere Fragestellungen keinesfalls vorbeikommen wird.
Die für das Jahr 2014 an dieser Institution hier - aber
sicherlich auch in aller Welt – zu erwartenden Jubiläumsveranstaltungen zum
hundertsten Jahrestag der Sachs-Hornbostelschen Systematik könnten eine gute
Gelegenheit sein, entsprechend kritische Zwischenbilanzen vorzubereiten und
dringend erforderliche Korrekturen vorzunehmen.
Wie werden sich dann, nach 100 Jahren Wirkungsgeschichte
der „Systematik von Sachs & Hornbostel“ die Proportionen von kritischer
Sicht und konservierender Lobhudelei gestalten?
Kann man dann vielleicht - nach der über 80jährigen
Vertreibung dieser beiden bedeutenden Gelehrten aus Deutschland durch die
deutschen Faschisten (wir haben es ja eigentlich gegenwärtig schon mit einem
denkwürdigen Jahrestag zu tun, da vor genau 7o Jahren zunächst E.v.Hornbostel
aus Deutschland vertrieben wurde) - sagen, dass es nun auch wieder eine
intensivere und ernsthaft gründliche Wiederaufnahme der wissenschaftlichen
Aktivitäten zur Systematisierung musikinstrumenteller Technik in Deutschland
geben wird ?
Denn bisher gab es solche Wissenschaftsaktivitäten
offenbar nur in recht mäßiger Weise und seitens der DFG wurde mir beispielsweise
auf meinen entsprechenden Forschungsantrag hin lediglich mitgeteilt, dass diese
Thematik doch weniger von Interesse sei…
Dabei haben wir es hier doch mit einer keineswegs
unbedeutenden, sondern ausgesprochen seltsam-bemerkenswerten, aber eben
offenbar auch sehr spannungsgeladenen und insofern auch wieder konfliktvollen,
letztlich auch spezifisch deutschen, und bis in die Gegenwart hinein durchaus
„politisch brisanten“ Wissenschaftsdisproportion zu tun.
Eine Schieflage, die insofern wohl auch zwangsläufig
bestimmten „Verschleierungsmechanismen“ ausgeliefert sein wird, und letztlich
nicht nur unter ’aktuell zeitgeschichtlichem’ Aspekt, sondern eben auch in
historisch größeren Dimensionen sorgenvoll zu bedenken ist.
Denn nach der faschistischen Vertreibung von Sachs und
Hornbostel aus Deutschland, und dann nach dem Sieg über den deutschen
Faschismus, entstanden hierzulande die vielleicht wichtigsten neueren
Konzeptionen zur Systematik der Musikinstrumente vornehmlich in Ostdeutschland.
Ich, der ich in dieser Tradition stehe, denke dabei an
solche bedeutenden Musikwissenschaftler wie Dräger, Zeraschie und Heyde.
Und schon allein diese Tatsache müsste doch eigentlich,
etwa auch seitens der DFG, genügender Anlass sein, diese Thematik doch
ernster zu nehmen.
Es kann also allein schon unter solchen „historischen und
jubiläumsrelevanten“ Aspekten eine durchaus spannende Sache sein, in den
kommenden 10 Jahren auf weitere systematische und klassifikatorische Arbeiten
der Audioorganologie und entsprechende Diskussionen zur Kritik und zur
Weiterenwicklung musikinstrumenteller Systematik besonders zu achten.
Und insofern gilt es eben auch solche Arbeiten wie die
von Jobst Fricke zu bedenken, den ich hier zunächst nur als ein – eben gerade
auch mich und mein Anliegen in besonderer Weise tangierendes - Beispiel
hervorgehoben habe.
Welche neuen Betrachtungsweisen und welche
musikwissenschaftlichen Kategorien aber werden sich da vielleicht in den
nächsten 10 Jahren noch durchsetzen können?
Und inwieweit wird sich auf diesem Arbeitsgebiet
vielleicht künftig eine fruchtbarere Wissenschaftskultur des gegenseitigen
Ernstnehmens unterschiedlicher Sichtweisen entwickeln können?
Und dies dann vielleicht auch – ich denke hier immer noch
an die Chancen innerhalb der kommenden zehn Jahre und die hoffentlich besseren
Zeiten nach dem nun bereits zu bedenkenden hundertjährigen Jubiläum der
Sachs-Hornbostelschen Systematik - unter Verhältnissen, in denen solche wie
die gegenwärtigen verunklarenden Wissenschaftskonfliktsituationen (wo sich, wie
zum erwähnten Symposium im Kloster Michaelstein, die Konzeption eines politisch
diskriminierten ostdeutschen Langzeitarbeitslosen in seltsamer Weise mit den
Auffassungen eines etablierten westdeutschen Hochschulprofessors begegnen und
gegeneinander stehen), sich nicht weiter verschärfen, sondern vielleicht doch
überwunden werden können.
Und ich meine auch, dass neben der besonderen „deutschen
Bedeutung“ die diese Problematik einer wissenschaftsgerechten Systematisierung
musikinstrumenteller Technik zweifellos hat, hier natürlich auch unweigerlich
eine europäische Dimension mitbedacht werden muss.
Lassen Sie mich dies mit einem abschließenden Bedenken
verdeutlichen.
Es hat mehrere Jahrhunderte gedauert, bis die
europäischen Musikwissenschaften ein solches Musikinstrument wie die
chinesische Mundorgel - obwohl diese ihnen bereits lange bekannt war und sie
das Instrument auch stets hier zu ihrer Verfügung hatten – in seiner
Funktionsweise wirklich wissenschaftlich begriffen haben.
Wenn ich dazu die Selbstdarstellung von J. Fricke, aus
seinem von mir hier erwähnten Beitrag nicht falsch verstanden habe, so geschah
dies erst in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts und ist im
Wesentlichen sein Verdienst.
Ich finde es nun verwunderlich, dass das von mir hier
soeben vorgeführte schalmeienartige asiatische Blasinstrument, welches von der
Grundkonstruktion her den gleichen Tongenerator trägt wie die chinesische
Mundorgel (in diesem aber anders genutzt wird, da es - so wie ich das
Instrument bei verschiedenen asiatischen Musikanten persönlich kennen gelernt
habe und dabei auch ausprobieren konnte - normalerweise nur angeblasen, aber
nicht ansaugend gespielt wird), offenbar bislang in durchaus vergleichbarer
Weise, wie vormals die chinesische Mundorgel, von der offiziellen eropäischen
Musikwissenschaft nicht verstanden wird.
Jedenfalls kann man – wie ich bereits angemerkt habe -
nach der vorliegenden Arbeit von Fricke zur Systematik musikinstrumenteller Zungen
einen solchen Eindruck bekommen.
Ich denke, dass auch dies ein Ausdruck für den zweifellos
unbefriedigenden Zustand des musikwissenschaftlichen Systematisierungsdenkens
ist.
Und eines der großen Hindernisse für die Überwindung
solcher Konflikte und entsprechender „Wissens-Zustände“ ist die immer noch
weitgehende Akzeptanz der Sachs-Hornbostelschen Vierklassen-Systematik, welche
letztlich – so denke und hoffe zumindest ich - nicht mehr lange in sinnvoller
Weise zu halten sein wird.
Ich bin aber auch nicht frei von der Befürchtung, dass
das weitere Beharren auf dieser, nun schon seit vielen Jahrzehnten so überaus
fest eingewöhnten„klassischen Vierklassensystematik“ immer mehr zu einem
letztlich ’quasi-folkloristischen Ritual konservierender Traditionspflege,
innerhalb eines bestimmten Wissenschaftsbereiches’ geraten kann.