Statement zur Podiumsdiskussion
"Sammlungen im Kontext gesellschaftlichen und machtpolitischen Wandels"
(Vorgetragen am 30.9.2005 zur internationalen Konferenz "Musik-Sammlungen - Speicher interkultureller Prozesse" in Bonn)

Ich denke, dass für ein eingehenderes Verständnis der Geschichte von Sammlungen sicherlich auch ein bestimmtes Erinnern an die spezifischen Motivationen, von denen her Sammlungen überhaupt erst entstehen, und dann möglicherweise auch nutzvoll erhalten werden können, relevant sein kann.
Als Besitzer einer persönlich zusammengetragenen Privatsammlung  von Musikinstrumenten  bin ich mir  bezüglich der bisherigen Entwicklung meiner Motivationen, die sich ja im Laufe der letzten vier Jahrzehnte  mehrfach gewandelt haben, sicherer, als etwa hinsichtlich vieler sonstiger persönlicher Erinnerungen zum durchaus wechselvollen Schicksal meiner Sammlung. Denn diese war ja, je nach Entwicklung und Änderung der jeweils  unterschiedlichen gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Rahmenbedingungen, immer  wieder auch ganz unterschiedlichen, und auch entsprechend unterschiedlich zu bewertenden, Veränderungen und Konfliktkonstellationen ausgesetzt.
Von Fall zu Fall spitzte sich dabei für mich auch immer wieder die Frage nach dem eigentlichen Sinn und Nutzen meiner persönlichen Sammleraktivitäten zu.
Seit etwa zwei Jahrzehnten bin ich jedoch, vor allem im Zusammenhang mit der von mir betriebenen "Vergleichsanalytischen Organologie", speziell motiviert, auch grundsätzlich über die Problematik bestimmter Sammlungen nachzudenken.  
Was nun die möglichen Sinnhaftigkeiten oder auch Unsinnigkeiten von Sammleraktivitäten betrifft, so denke ich, dass Sammlungen auch immer wieder aus unserer weiterzufassenden Geschichtsgebundenheit als leidenschaftsbegabte jagende und sammelnde Säugetiere erwachsen mussten.
Wir sind in unserem Handeln zwar keineswegs immer rational, besitzten aber wohl doch die produktive Fähigkeit, uns gewissermaßen rational interpretieren zu wollen und rational handeln zu können. Dabei wurden Sammlungen zu einer Vorbedingung für die spätere Entstehung moderner Museen und bestimmter anderer wissenschaftlicher Einrichtungen. Dies führte dann im vergangenen Jahrhundert auch zur Entwicklung einer neuene philosophischen Wissenschaftsdisziplin, der Museologie, bei der wir es nebenbei bemerkt (und ich mache diese Anmerkung auch mit Blick auf das Forschungsvorhaben der Arbeitsgruppe, die diesen Kongress hier veranstaltet), mit einer  wesentlich osteuropäischen Wissenschaftsentwicklung zu tun haben.
Wenn ich nun das gegenwärtig von mir mit meiner Sammlung unternommene Vorhaben der Einrichtung  einer Dauerausstellung in einer Berliner Musikschule, welches ja gerade unter den gegenwärtig realen Rahmenbedingungen immer wieder als verunsichert und gefährdet erscheinen muss, eher unter theoretisch- museologischem Blickwinkel, und damit unter weiter gefassten Rahmenbedingungen, bedenke, so können ganz andere Konflikte, aber auch perspektivische Chancen deutlich werden.
Vor dem generellen Hintergrund einer traditionell immer  noch vielgestaltig ausgeprägten Trennung von Natur- und Geisteswissenschaften werden Musikinstrumente, bei denen wir es doch zweifellos mit einer in besonders verbindlicher Weise humanisierten Form von Technik zu tun haben, von den modernen Technikwissenschaften bislang kaum wirklich ernst genommen und dabei dann auch von den dafür doch eigentlich zuständigen Musikwissenschaften wiederum nicht als Technik angesehen und auch nicht  (obwohl es naheliegend wäre) unter dem Blickwinkel neuer technikwissenschaftlicher Erkenntnisse betrachtet.
Es gibt jedoch seitens der Physik und Mathematik bereits eine beachtliche Tradition von gründlichen Untersuchungen bestimmter Musikinstrumente im Sinne akustischer Technik, und auch in der Biologie, insbesondere unter Evolutionsbiologen, wurde zuweilen über die Entwicklung der Musikwerkzeuge des Menschen (bzw. bestimmter "Instrumenten-Familien") als spezieller Erscheinungsform menschlicher Technik, grundlegend nachgedacht.
Hingegen finden wir in der Philosophie, die in Hinsicht auf das Nachdenken über Werkzeuge und Technik doch eigentlich auf eine würdevolle Tradition von Jahrtausenden verweisen kann, hinsichtlich musikinstrumenteller Technik - trotz aller Musikphilosophie, die es ja durchaus gibt - keine (jedenfalls soweit ich sehen kann) ausgeprägte Tradition der spezifischen Beschäftigung mit dieser besonderen Erscheinungsform menschlicher Werkzeuge.
All dies - und ich könnte noch mehr dazu ausführen - charakterisiert aus meiner Sicht einen so schwerwiegend erkenntnishemmenden Zustand der gegenwärtigen Wissenschaftskultur, dass ich es für einen Skandal halten muss. Ein Skandal, der freilich von den jeweils skandalbildenden Beteiligten keineswegs als Problem wahrgenommen werden muss.
Und dies führt unter anderem in den Musikwissenschaften auch dazu, dass es offenbar kein entwickeltes Bedürfnis nach einer wissenschaftlich solide begründeten Systematik der Musikinstrumente mehr gibt und so auch die dort bereits vor einem halben Jahrhundert aufgeworfene grundlegende Frage nach einem "natürlichen System der Musikinstrumente" heute kaum noch beachtet oder gar bedacht wird.
Hier können allerdings auch bestimmte moderne wissenschaftliche Entwicklungen digitaler Informationsverarbeitung, die sich in der Regel ja nicht nur effektiv einführen und nutzen lassen, sondern oft auch geeignet sind unser Vertrauen in weitere rasante und ungehemmte Fortschritte der Wissenchaften zu stabilisieren, in fataler Weise illusionsbildend und problemverdrängend mitwirken.
Die Bemühungen um die Entwicklung und Verbesserung der Systematik der Musikinstrumente waren nun in der Vergangenheit oft an bestimmte ordnungssinnige Sammlerleidenschaften und Übersicht gestaltende Museumsaktivitäten gebunden.
Inzwischen geht es, im Sinne eines modernen zukunftsorientiereten Systematik- Verständnisses, aber um weitaus mehr. Meiner Meinung nach letztlich um die Frage: Was können wir über unsere Welt, als 'Musik ermöglichende Welt', und uns darin als musikalische und Musik betreibende Wesen, erkennen und wissen? Insbesondere insofern wir uns gezwungen sehen werden, weiterhin nach möglichen geschichtlichen Wegen der würdevollen Entfaltung von Humanität zu fragen.
Und in diesem Sinne habe ich nun die ganz spezielle Hoffnung, dass eben auch bestimmte wissenschaftlich-museologisch fundierte Expositionsaktivitäten mit Musikinstrumentensammlungen im Sinne der weiteren Erforschung  eines so zu verstehenden "natürlichen Systems der Musikinstrumente" nutzbar gemacht werden können. Es handelt sich dabei also durchaus um eine Verkehrung der bisherigen Verhältnisse.
Für die museologische Perspektive von Musikinstrumentensammlungen bedeutet dies in der Konsequenz, dass es schliesslich auch einmal Musikinstrumentenmuseen bzw. bestimmte Expositionsaktivitäten geben wird, in denen diese Technik nicht nur unter landläufigen kunsthistorischen oder ethnologischen etc. Aspekten, sonderen eben auch unter umfassenden technikgeschichtlichen und weitergreifenden systematikrelevanten Blickwinkeln bearbeitet und vorgestellt wird.
Dies wird dann sicherlich auch unter Ausnutzung von bestimmten Erfahrungen aus der unübersehbaren Erfolgsgeschichte der gerade in den letzten Jahrzehnten so zahlreich entstandenen Technikmuseen geschehen können. Und ebenso wären Erfahrungen aus der großartigen Tradition verschiedenartiger Naturkundemuseen zu nutzen, in denen der systematischen Darstellung der Entwicklung des Lebens und des Systems der Arten stets hohe Aufmeksamkeit gewidmet wurde.
Der musikwissenschaftliche Ansatz solch neuartiger Aktivitäten müsste dabei keinesfalls aufgegeben oder geschmälert werden, sondern würde lediglich konsequent weiterentwickelt.
Wenn ich dies sage, so muss ich auch darauf hinweisen, dass  historisch betrachtet eigentlich gerade Musikinstrumentensammlungen besonders förderlich und vielfach auch von grundlegender Bedeutung  für die Entwicklung der modernen Museumskultur waren und bestimmte Sammlungen von daher auch bis heute mit dem Ruhm ihrer längst verloren gegangenen Vorreiterposition umgeben sind.
Inzwischen scheint mir aber, dass manche davon im loorberumkränzten Schlaf von prächtig mit ihnen ausgestatteten  Dornröschenschlössern darauf warten, in neuer Weise museologisch aktiviert zu werden.
Was ich mir nun konkret vorstelle, um mit Musikinstrumenten entsprechend verändernde, systematische und "Systematik orientierte" museologische Aktivitäten entfalten zu können, und was ich in diesem Sinne gegenwärtig  mit meiner Sammlung vorhabe, darauf gehe ich in der Diskussion und im Gespräch gerne näher ein.