Statement zur Podiumsdiskussion
"Sammlungen im Kontext gesellschaftlichen und machtpolitischen
Wandels"
Ich denke, dass für ein eingehenderes Verständnis der
Geschichte von Sammlungen sicherlich auch ein bestimmtes Erinnern an die
spezifischen Motivationen, von denen her Sammlungen überhaupt erst entstehen,
und dann möglicherweise auch nutzvoll erhalten werden können, relevant sein
kann.
Als Besitzer einer persönlich zusammengetragenen
Privatsammlung von Musikinstrumenten bin ich mir bezüglich der bisherigen
Entwicklung meiner Motivationen, die sich ja im Laufe der letzten vier
Jahrzehnte mehrfach gewandelt haben, sicherer, als etwa hinsichtlich vieler
sonstiger persönlicher Erinnerungen zum durchaus wechselvollen Schicksal meiner
Sammlung. Denn diese war ja, je nach Entwicklung und Änderung der jeweils
unterschiedlichen gesellschaftlichen, kulturellen und politischen
Rahmenbedingungen, immer wieder auch ganz unterschiedlichen, und auch
entsprechend unterschiedlich zu bewertenden, Veränderungen und
Konfliktkonstellationen ausgesetzt.
Von Fall zu Fall spitzte sich dabei für mich auch immer
wieder die Frage nach dem eigentlichen Sinn und Nutzen meiner persönlichen
Sammleraktivitäten zu.
Seit etwa zwei Jahrzehnten bin ich jedoch, vor allem im
Zusammenhang mit der von mir betriebenen "Vergleichsanalytischen Organologie",
speziell motiviert, auch grundsätzlich über die Problematik bestimmter
Sammlungen nachzudenken.
Was nun die möglichen Sinnhaftigkeiten oder auch Unsinnigkeiten
von Sammleraktivitäten betrifft, so denke ich, dass Sammlungen auch immer
wieder aus unserer weiterzufassenden Geschichtsgebundenheit als leidenschaftsbegabte
jagende und sammelnde Säugetiere erwachsen mussten.
Wir sind in unserem Handeln zwar keineswegs immer rational, besitzten
aber wohl doch die produktive Fähigkeit, uns gewissermaßen rational
interpretieren zu wollen und rational handeln zu können. Dabei wurden
Sammlungen zu einer Vorbedingung für die spätere Entstehung moderner Museen und
bestimmter anderer wissenschaftlicher Einrichtungen. Dies führte dann im
vergangenen Jahrhundert auch zur Entwicklung einer neuene philosophischen
Wissenschaftsdisziplin, der Museologie, bei der wir es nebenbei bemerkt (und
ich mache diese Anmerkung auch mit Blick auf das Forschungsvorhaben der
Arbeitsgruppe, die diesen Kongress hier veranstaltet), mit einer wesentlich
osteuropäischen Wissenschaftsentwicklung zu tun haben.
Wenn ich nun das gegenwärtig von mir mit meiner Sammlung
unternommene Vorhaben der Einrichtung einer Dauerausstellung in einer Berliner
Musikschule, welches ja gerade unter den gegenwärtig realen Rahmenbedingungen
immer wieder als verunsichert und gefährdet erscheinen muss, eher unter
theoretisch- museologischem Blickwinkel, und damit unter weiter gefassten
Rahmenbedingungen, bedenke, so können ganz andere Konflikte, aber auch
perspektivische Chancen deutlich werden.
Vor dem generellen Hintergrund einer traditionell immer
noch vielgestaltig ausgeprägten Trennung von Natur- und Geisteswissenschaften
werden Musikinstrumente, bei denen wir es doch zweifellos mit einer in
besonders verbindlicher Weise humanisierten Form von Technik zu tun haben, von
den modernen Technikwissenschaften bislang kaum wirklich ernst genommen und
dabei dann auch von den dafür doch eigentlich zuständigen Musikwissenschaften
wiederum nicht als Technik angesehen und auch nicht (obwohl es naheliegend
wäre) unter dem Blickwinkel neuer technikwissenschaftlicher Erkenntnisse
betrachtet.
Es gibt jedoch seitens der Physik und Mathematik bereits
eine beachtliche Tradition von gründlichen Untersuchungen bestimmter
Musikinstrumente im Sinne akustischer Technik, und auch in der Biologie,
insbesondere unter Evolutionsbiologen, wurde zuweilen über die Entwicklung der
Musikwerkzeuge des Menschen (bzw. bestimmter "Instrumenten-Familien")
als spezieller Erscheinungsform menschlicher Technik, grundlegend nachgedacht.
Hingegen finden wir in der Philosophie, die in Hinsicht auf
das Nachdenken über Werkzeuge und Technik doch eigentlich auf eine würdevolle
Tradition von Jahrtausenden verweisen kann, hinsichtlich musikinstrumenteller
Technik - trotz aller Musikphilosophie, die es ja durchaus gibt - keine
(jedenfalls soweit ich sehen kann) ausgeprägte Tradition der spezifischen
Beschäftigung mit dieser besonderen Erscheinungsform menschlicher Werkzeuge.
All dies - und ich könnte noch mehr dazu ausführen -
charakterisiert aus meiner Sicht einen so schwerwiegend erkenntnishemmenden
Zustand der gegenwärtigen Wissenschaftskultur, dass ich es für einen Skandal
halten muss. Ein Skandal, der freilich von den jeweils skandalbildenden
Beteiligten keineswegs als Problem wahrgenommen werden muss.
Und dies führt unter anderem in den Musikwissenschaften auch
dazu, dass es offenbar kein entwickeltes Bedürfnis nach einer wissenschaftlich
solide begründeten Systematik der Musikinstrumente mehr gibt und so auch die
dort bereits vor einem halben Jahrhundert aufgeworfene grundlegende Frage nach
einem "natürlichen System der Musikinstrumente" heute kaum noch
beachtet oder gar bedacht wird.
Hier können allerdings auch bestimmte moderne
wissenschaftliche Entwicklungen digitaler Informationsverarbeitung, die sich in
der Regel ja nicht nur effektiv einführen und nutzen lassen, sondern oft auch
geeignet sind unser Vertrauen in weitere rasante und ungehemmte Fortschritte
der Wissenchaften zu stabilisieren, in fataler Weise illusionsbildend und problemverdrängend
mitwirken.
Die Bemühungen um die Entwicklung und Verbesserung der
Systematik der Musikinstrumente waren nun in der Vergangenheit oft an bestimmte
ordnungssinnige Sammlerleidenschaften und Übersicht gestaltende
Museumsaktivitäten gebunden.
Inzwischen geht es, im Sinne eines modernen zukunftsorientiereten
Systematik- Verständnisses, aber um weitaus mehr. Meiner Meinung nach letztlich
um die Frage: Was können wir über unsere Welt, als 'Musik ermöglichende Welt',
und uns darin als musikalische und Musik betreibende Wesen, erkennen und
wissen? Insbesondere insofern wir uns gezwungen sehen werden, weiterhin nach
möglichen geschichtlichen Wegen der würdevollen Entfaltung von Humanität zu
fragen.
Und in diesem Sinne habe ich nun die ganz spezielle
Hoffnung, dass eben auch bestimmte wissenschaftlich-museologisch fundierte
Expositionsaktivitäten mit Musikinstrumentensammlungen im Sinne der weiteren
Erforschung eines so zu verstehenden "natürlichen Systems der
Musikinstrumente" nutzbar gemacht werden können. Es handelt sich dabei
also durchaus um eine Verkehrung der bisherigen Verhältnisse.
Für die museologische Perspektive von Musikinstrumentensammlungen
bedeutet dies in der Konsequenz, dass es schliesslich auch einmal
Musikinstrumentenmuseen bzw. bestimmte Expositionsaktivitäten geben wird, in
denen diese Technik nicht nur unter landläufigen kunsthistorischen oder
ethnologischen etc. Aspekten, sonderen eben auch unter umfassenden
technikgeschichtlichen und weitergreifenden systematikrelevanten Blickwinkeln
bearbeitet und vorgestellt wird.
Dies wird dann sicherlich auch unter Ausnutzung von
bestimmten Erfahrungen aus der unübersehbaren Erfolgsgeschichte der gerade in
den letzten Jahrzehnten so zahlreich entstandenen Technikmuseen geschehen
können. Und ebenso wären Erfahrungen aus der großartigen Tradition
verschiedenartiger Naturkundemuseen zu nutzen, in denen der systematischen
Darstellung der Entwicklung des Lebens und des Systems der Arten stets hohe Aufmeksamkeit
gewidmet wurde.
Der musikwissenschaftliche Ansatz solch neuartiger
Aktivitäten müsste dabei keinesfalls aufgegeben oder geschmälert werden,
sondern würde lediglich konsequent weiterentwickelt.
Wenn ich dies sage, so muss ich auch darauf hinweisen, dass
historisch betrachtet eigentlich gerade Musikinstrumentensammlungen besonders
förderlich und vielfach auch von grundlegender Bedeutung für die Entwicklung
der modernen Museumskultur waren und bestimmte Sammlungen von daher auch bis
heute mit dem Ruhm ihrer längst verloren gegangenen Vorreiterposition umgeben
sind.
Inzwischen scheint mir aber, dass manche davon im loorberumkränzten
Schlaf von prächtig mit ihnen ausgestatteten Dornröschenschlössern darauf
warten, in neuer Weise museologisch aktiviert zu werden.
Was ich mir nun konkret vorstelle, um mit Musikinstrumenten
entsprechend verändernde, systematische und "Systematik orientierte"
museologische Aktivitäten entfalten zu können, und was ich in diesem Sinne
gegenwärtig mit meiner Sammlung vorhabe, darauf gehe ich in der Diskussion und
im Gespräch gerne näher ein.