Versuchungen zur Systematisierung natürlich-akustischer Musikinstrumente aus Sicht und Situation der Vergleichsanalytischen Organologie.
(Vortrag vom 26.11.1997; gehalten am Interdisziplinären Institut für Wissenschaftsphilosophie und Humanontogenetik an der Humboldt-Universität zu Berlin)

Wenn man versucht sich kritisch zur gegenwärtig allgemein angewandten und in der Musikwissenschaft wohl auch weitgehend als "anerkannt" geltenden Systematik von Sachs und Hornbostel zu äußern, so muß man darauf gefaßt sein, immer wieder mit der Anmerkung konfrontiert zu werden, daß diese von ihren Verfassern doch aber ausdrücklich als "Ein Versuch" gekennzeichnet worden war.
Auch zu meinem Vortrag am 14.5.1997, in welchem ich meine diesbezüglich kritische Position wieder betont hatte, war eine solche Anmerkung sogleich im ersten Diskussionsbeitrag enthalten. Damals hatte ich verschiedene Problemstellungen der Vergleichsanalytischen Organologie in Form von allgemeineren Thesen zusammengefaßt.(www. bhje. de). Heute möchte ich spezieller über bestimmte Probleme der Systematisierung sprechen und dabei auch in einigen Aspekten auf den so oft betonten "Versuchscharakter" der Sachs-Hornbostelschen Systematik eingehen.

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In welchem Sinne ist diese Systematik eigentlich als "Versuch" zu verstehen; um welche Art von Versuch handelt es sich hier? Was läßt sich über den Charakter dieses historischen, eben doch aus einer ganz anderen Wissenschaftsepoche und aus der Zeit deutscher Kolonial- Politik stammenden "Versuchs" heute sagen? Was ist mit ihm geglückt, und was ist vielleicht auch gescheitert oder mißraten?
Und wie werden sich wohl inzwischen bestimmte Erkenntnisfortschritte organologischer Akustik für ein weiterentwickeltes, modernes Verständnis des Systems der Musikinstrumente auswirken müssen, da die beiden Autoren doch damals aus ganz bestimmten Gründen so deutlich von ‘einem Versuch’ sprachen?
Derartige Fragen werden kaum gestellt. Kritisches, weiterführendes und erneuerndes Denken zur wohletablierten Systematik von Sachs und Hornbostel ist in den Musikwissenschaften - zumal in der gegenwärtigen Wissenschaftslandschaft Deutschlands - nur wenig entwickelt.
So wird bei entsprechender Betonung des "Versuchscharakters" der Sachs-Hornbostelschen Systematik, auch kaum näher bedacht und gefragt, welche Verbesserungen, bzw. Veränderungen dieses berühmten Versuchs, oder auch welche weiteren Versuche, denn dann von den Autoren des Versuchs noch erfolgt sind? Und, was wissen wir hier eigentlich über die spätere Haltung der Autoren zu ihrem ersten und doch wohl einzigem "Versuch" auf diesem Gebiet?

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Von E. M. v. Hornbostel sind mir keine diesbezüglichen Reflektionen bekannt. Er verstarb bereits 1935.
Anders bei C. Sachs. Er verstarb 1959.
Noch im gleichen Jahr erschien aber eine von ihm überarbeitete Ausgabe seiner Schrift "Vergleichende Musikwissenschaft / Musik der Fremdkulturen".
Dort kann man nun lesen, daß "... C. Sachs und E. M.v. Hornbostel gemeinsam die heute gültige, sehr eingehende ‘Systematik der Musikinstrumente’ ausarbeiteten und im Jahrgang 1914 der Zeitschrift für Ethnologie veröffentlichten. Andere Systeme sind von Montandon, Schaeffner und Draeger aufgestellt worden." (1)
Hier scheint die Sache also völlig klar zu sein: Die Arbeit von 1914 wird als "die heute gültige Systematik" vorgestellt. Von ‘Versuch’ ist keine Rede mehr. Dieses Wort wird in diesem Text in geradezu demonstrativer Weise vermieden und erscheint auch im Quellenverzeichnis nicht mehr. Andere, nach 1914 entstandene Systematiken, die Sachs hier erwähnt, werden dann auch mit keiner weiteren Silbe gewürdigt, nicht vergleichend betrachtet, nicht bewertet, noch irgendwie in ihrer Unterschiedenheit erläutert.
Lediglich die Vorläufer-Systematik von Mahillon (2) wird kommentiert.
Dieser wird zwar als ein Mann geschildert, dem, da ursprünglich aus der Praxis des Instrumentenbauers kommend, letztlich wohl doch der wissenschaftliche Überblick über das Gesamtgebiet der Musikinstrumente gefehlt habe, (3) aber seine Vierklassenteilung der Musikinstrumente, die Sachs und Hornbostel in ihre Systematik von ihm übernommen hatten, wird ausdrücklich gelobt: Er hat "als erster mit jenem Dilletantismus gebrochen, der unbefangen darauf los beschrieb und benannte, ohne über dem Einzelausschnitt das gesamte Gebiet zu sehen und ohne der Arbeit eine solide Systematik als Grundlage zu geben". (4)
Diese "solide Systematik", die "klassische Viererteilung" (5) von der Sachs hier spricht, wurde von Mahillon in seinem Vorwort zum Katalog der Brüsseler Musikinstrumentensammlung eingehend begründet und ist als Grundstruktur auch bis heute in allen später entstandenen Systemen anderer Autoren zu finden.
Interessant dabei ist, daß der Gedanke einer Viererteilung der Gesamtheit von Musikinstrumenten, also in solche die angeblasen werden, bei denen Membranen angeschlagen werden, Saiten zum Klingen gebracht werden und solchen die wiederum ohne Derartiges auskommen, viel älter ist, und auch schon eine alt-indische Vorgeschichte hat, worauf Sachs an anderer Stelle (allerdings ebenfalls ohne nähere Erläuterung dieser Klassifizierung) auch hinweist. Es muß jedoch keineswegs überraschend sein, daß eine derartige Einteilung schon lange vor Mahillon genutzt wurde. Denn auch ohne tiefere Suche nach grundlegenden, wesenserfassenden, wissenschaftlich tiefer begründeten Unterscheidungsprinzipien hat eine derartige Viererteilung, zu der man auch auf Grund von weniger theoretisch begründeten, eher pragmatischen Überlegungen und Erfahrungen zu Herstellung und Spielpraxis von Musikinstrumenten gelangen kann, etwas durchaus Naheliegendes und Einleuchtendes.
Die Anmutungskraft einer solchen Viererteilung ist wohl auch einer der Grundpfeiler durch den bis heute die etablierte Sachs-Hornbostelsche Systematik als solide und gesichert erscheint.
Bei Mahillon liegt aber doch etwas anderes vor. In seinem Herangehen an das Problem der Systematisierung finden wir tatsächlich grundlegend Neues. Hier zeigt sich ein Bruch in der Tradition bisheriger Beschäftigung mit Musikinstrumenten und audioorganologischem Systematisierungsdenken. Er suchte nach prinzipiellen Wesensunterschiedenheiten innerhalb der Gesamtheit von Musikinstrumenten und sah (vielleicht gerade aus seiner Sicht als Musikinstrumentenbauer) als Grundlage dafür die Physik.
So stellte er - ganz folgerichtig - auch Überlegungen über physikalische Aggregatzustände schwingungsfähiger Substanzen von Musikinstrumenten an.
Dabei wirft er - wiederum folgerichtig - auch die Frage auf, warum eigentlich keine Musikinstrumente mit flüssigen schwingenden Substanzen bekannt sind, wo wir doch Musikinstrumente mit gasförmiger Substanz (Luft) und solche mit festen Substanzen kennen? Seine Antwort läuft dabei darauf hinaus, daß die künftige Entwicklung gewiß auch noch Flüssigkeitsklinger hervorbringen wird.
Damit bleibt in seinem Systemdenken also eigentlich auch Platz für eine weitere Klasse von natürlich-akustischen Musikinstrumenten - sozusagen die "fünfte Klasse der Flüssigkeitsklinger" - welche freilich im Bestand der von ihm betreuten und katalogisierend zu systematisierenden Brüsseler Sammlung keinen Vertreter aufzuweisen hat.
Oder - so kann sein physikalischer Denkansatz zunächst auch verstanden werden - wir könnten es aus Sicht der Physik, ausgehend von Aggregatzuständen oder ‘Festigkeitsgraden’ der schwingungsfähigen Substanzen von Musikinstrumenten, eigentlich mit drei Hauptklassen zu tun haben. Da jedoch bislang keine ‘Flüssigkeitsklinger’ bekannt sind, finden wir außer den zunächst durchaus überschaubaren Instrumenten mit schwingender Luft noch eine Großzahl von Instrumenten mit festen Substanzen, welche - immer mit dem suchenden Blick auf die physikalische Spezifik der dort schwingenden Substanzen - am praktikabelsten dann wohl in Selbstklinger, Membranklinger und Saitenklinger unterteilt werden kann. Mit dem so begründeten Vierklassensystem wurde dann tatsächlich der von Sachs hervorgehobene Traditionsbruch realisiert.
Von hier aus kann es nun kein Zurück mehr in altes oberflächliches Ordnungsdenken etwa nach "moderneuropäischer Orchesterpraxis", oder nach Grundeinteilungen entsprechend der Spielart (also etwa Blas-, Schlag-, Zupf- und Streichinstrumenten) oder auch nach Herstellungs- Materialien im Sinne von Holz- oder Metall-Instrumenten usw., geben.
Fortan müssen als Grundlage der Systematisierung von Musikinstrumenten die unterschiedlichen Schwingungssubstanzen die dort zur Schallerzeugung zur Verfügung stehen, ins nähere Blickfeld genommen werden.
Ich denke, daß gerade darin - in der Orientierung auf eben diese spezifischen Instrumentalsubstanzen, die wesentlich für die schallwirksame Schwingungserzeugung eines Musikinstrumentes sind - auch der wesentliche Grundgedanke Mahillons zu sehen ist.
Aber die Teilung von Mahillon bleibt, trotz dieses Umbruchs, doch auf eigenartige Weise in sich selbst gebrochen. Seine Teilung in vier Grundklassen geschieht nach ganz verschiedenartigen und keineswegs besonders logischen oder sicheren Prinzipien und Fragestellungen.
Methodologisch betrachtet verfährt er folgendermaßen:
Wohl aufgrund seiner Überlegungen zu Aggregatzuständen, wird als Teilungsgrund zunächst die Unterscheidung von gasförmigen und festen Schwingungssubstanzen genommen.
Damit können Luftklinger, die er als Aerophone bezeichnete, umrissen und als eine Klasse abgeteilt werden.
Erforderlich ist dann die weitere Unterteilung der festen Substanzen. Hier wird nun der Aspekt der Materialspannung als Teilungsgrund genommen, wodurch feste ungespannte Selbstklinger, welche von ihm als Autophone, und von Sachs und Hornbostel später als Idiophone bezeichnet wurden, als weitere Klasse abgeteilt werden.
Die aus seiner Sicht verbleibende Menge von gespannten festen Schwingungssubstanzen wird nun wiederum nach einem anderen Gesichtspunkt geteilt: Die Teilung erfolgt hier nach der Form der Schwingungssubstanzen in gespannte Membranen und gespannte Saiten, und umreißt so die beiden Klassen der Membranophone und Chordophone.
Außer diesem, keineswegs sicher begründeten, fortlaufenden Wechsel des Teilungsgrundes, finden sich in seiner Vierklassenteilung letztlich auch noch andere Fragwürdigkeiten.
Ich meine nun nicht in erster Linie den Sachverhalt, daß ‘gasförmige spannungslose Selbstklinger’ ebenfalls als Autophone bzw. Idiophone angesehen werden könnten, wie die innerhalb des Vierklassensystems mit diesem Begriff belegten ‘festen Selbstklinger’. Dies ist in der Literatur schon verschiedentlich angemerkt worden. Man kann dieses Problem aber durchaus im Rahmen des inzwischen etablierten ‘System-Denkens’ - wenn auch nicht völlig ausräumen - so doch definitorisch verdrängen.
Ebenso läßt sich vielleicht auch der damit zusammenhängende Umstand verkraften, daß seine Klassifikation eigentlich nicht wirklich verschiedene Klassen unterscheidet. Denn gegenüber den gasförmigen Selbstklingern, den Aerophonen, sind Chordophone und Membranophone schließlich weiter differenzierte Ableitungen der festen Selbstklinger. So könnte mit einem solchen ‘Klassifizierungsverfahren’ auch noch eine weitere ‘Hauptklasse’ dadurch bestimmt werden, daß etwa die Gesamtheit der Membranophone, mit einem wieder neuen Teilungsgrund, aufgespaltet würden.(6)
Ich möchte aber zunächst vor allem die Fragwürdigkeit der in dieser Klassifikation vorliegenden Teilungen nach Spannung und Form hervorheben.
Es ist nicht zutreffend Saiten und Membranen immer nur im Zusammenhang mit Spannung für akustisch relevant zu halten. Saiten können auch ungespannt effektiv rascheln, rasseln und klirren usw. Und noch deutlicher können auch ungespannte Membranen als schallaktive Substanzen genutzt werden, die dabei nicht nur zum Rascheln und Klirren, sondern auch zum Knarren, Donnern, Quietschen und Heulen usw. fähig sind.
In Wirklichkeit gibt es keine Saiten und keine Membranen die ohne Spannung völlig unfähig zur Schallerzeugung wären.
Ob sie in diesem schlappen Zustand dann auch für großartige musikinstrumentelle Karrieren geeignet sind, ist eine ganz andere Frage.
Außerdem spielt Spannung als schalleffektivierendes Moment nicht nur bei Saiten- und Membraninstrumenten eine Rolle, und auch nicht nur (wie bei diesen hauptsächlich) als Zugspannung, sondern kann uns auch in anderen Formen - so etwa als Biegespannung, Druck oder Torsion usw.- begegnen. Dabei muß dann das Phänomen akustisch relevanter Spannung letztlich auch im Zusammenhang mit aerophonen Schallerzeugungsmöglichkeiten, wo es ebenfalls zu finden ist, eingehender bedacht werden.
Die bei Mahillon vollzogene klassifikatorische Teilung nach der Spannung bleibt also durchaus problematisch.
Und gerade wenn man die weitergreifende Bedeutung von physikalisch-akustisch relevanter Spannung bedenkt, so wird deutlich, daß auch die hier vorliegende Einteilung nach der Form schwingender Substanzen, die sich bei Mahillon's Systematik eigentlich lediglich als Konsequenz aus seiner inkonsequenten Teilung nach der Spannung ergibt, ein offenes Problem bleibt: Mit Saiten und Membranen werden nur Extrem-Ausformungen hinsichtlich ‘Längigkeit’ und ‘Flächigkeit’ erfaßt und damit wiederum die physikalisch-akustische und instrumental-konstituierend-systembildende Bedeutung anderer Formen aus dem Blickfeld bzw. an den Rand systematisierenden Denkens gerückt.
Es ist eigenartig, daß Sachs und Hornbostel, die ja deutlich forderten, daß bei der Klassifizierung "jedesmal der Teilungsgrund der gleiche" (7) bleiben müsse und an anderer Stelle (so Sachs) betonen, daß "jede Einteilung die den Teilungsgrund wechselt" für eine wissenschaftliche Systematik "unmöglich" sei, (8) dann doch in ihrer lobenden Schilderung des Mahillonschen Vierklassen-Systems von der dortigen "Einheitlichkeit des Teilungsprinzips" und davon, daß es "den Anforderungen der Logik voll entspricht", (9) schreiben.
Ich möchte hier betonen, daß Mahillon, der zwar als erster wesentliche Grundfragen der Systematisierung aus der Sicht der Naturwissenschaft, der Physik, aufgeworfen und näher bedacht hat, letztlich doch ein Vierklassensystem hinterlassen hat, in dessen Grundstruktur weiterhin bestimmte Inkonsequenzen, bestimmte ungelöste Probleme enthalten sind.
Von Sachs und Hornbostel wurde diese Problemlage aber nicht erfaßt oder weiter bearbeitet.
Ihre Systematik enthält in diesem Sinne keinen Versuch zur weiteren Lösung oder Problemerhellung.
Sie waren offenbar von Mahillons neuem Ansatz und dem damaligen wissenschaftlichen Erfolg seiner Vierklassensystematisierung so beeindruckt, daß sie in dieser Hinsicht ganz unkritisch blieben und sich letztlich, gemessen an ihren selbst formulierten Forderungen, doch durchaus widersprüchlich und inkonsequent verhielten.
Mit ihrer dann in vielen Punkten zweifellos verfeinerten und ordnungssinnig ausgebauten, in der Grundstruktur aber doch von Mahillon übernommenen Systematik, wurde diese Problemlage letztlich nur verschleppt und im Laufe weiterer Wissenschaftsentwicklung eigentlich sogar dadurch verschärft, daß das mit dieser Erfolgs-Systematik und ihren renommierten Namen verkoppelte organologische Bewußtsein der Musikwissenschaften dann offenbar nicht mehr sonderlich geneigt war die von Mahillon in grundsätzlicher Weise aufgeworfene Systematisierungsproblematik auch weiterhin scharf im Blick musikinstrumenteller Detailuntersuchungen, und im Sinn konzeptionell-systematisierenden Denkens zu behalten.
Seither hat sich dieses Denken auch kaum wieder aus der Grundstruktur dieser etablierten Systematik herausgewagt.
Sieht man bei Sachs und Hornbostel genauer auf die Begründung der Viererteilung, so finden sich in ihrer Darstellung des theoretischen Ansatzes von Mahillon auch wieder bemerkenswert unklare, interpretationsoffene und schwankende Formulierungen:
Zunächst kann man lesen, daß Mahillon "...als oberstes Teilungsprinzip die Art des schwingenden Körpers..." nimmt, (10) und dann, daß die Autoren "Im Anschluss an Mahillon... den physikalischen Vorgang der Tonerzeugung als wichtigsten Einteilungsgrund genommen..." haben.(11)
Später (in der schon zitierten Publikation von 1959) spricht Sachs bei seiner Interpretation des Mahillonschen Klassifizierungsverfahrens wiederholt von der "Einteilung nach der Natur des schwingenden Körpers",(12) - eine Formulierung die sich 1948 auch bei Dräger findet.
Aber bei Dräger findet sich schon damals auch eine verfeinerte Herangehensweise: Zur Charakterisierung der Mahillonschen und Sachs-Hornbostelschen Vierklassenteilung schreibt er dabei im gleichen Text von der "Grundunterteilung nach der Beschaffenheit des schwingenden, oder besser gesagt in Schwingung zu versetzenden Stoffes als wichtigster Wesensbezeichnung bei der Systematisierung von Musikinstrumenten".(13)
Eine Formulierung die mich bei der ersten Bekanntschaft mit seiner Arbeit "Prinzip einer Systematik der Musikinstrumente" zunächst ein bißchen aufatmen lies, zu der ich mich dann aber doch (wie eben auch zu seiner spezifischen Systematisierungs-Auffassung) wiederum kritisch verhalten muß.
Inzwischen neige ich - meiner Meinung nach immer noch ganz im Sinne des ursprünglichen Mahillonschen Anliegens, aber nicht mehr im Rahmen seiner Vierklassenteilung (also auch keineswegs mehr als mögliche Interpretation seines Ansatzes) - zu der im Folgenden dargestellten Betrachtungsweise.
Diese unterscheidet sich nun aber auch wieder von den Denkansätzen, die mich 1990 am Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften in Berlin zu meinem damals vorgestelltem Systematisierungs-Konzept geführt hatten.
Außerdem werde ich hier in der Darstellung dieser Problematik auch wieder etwas anders verfahren als in These 12 meines Vortrages vom 14.5.1997.

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Man muß im Sinne eines umfassenden Verständnisses des Systems natürlich-akustischer Musikinstrumente, und damit einhergehend auch im Sinne der Schaffung überschaubarer und in sich folgerichtig gestalteter Systematisierungskonzepte, zunächst gezieltes Augenmerk auf die Beschaffenheit bestimmter, zur Schallerzeugung wesentlicher Elemente von Musikinstrumenten richten.
Dabei geht es wesentlich um die genauere Erfassung solcher stofflicher Elemente die dort, also instrumentalintern oder instrumentell interniert, autooszillatorisch schallwirksam sind, d.h. auf Grund eigener Schwingungsfähigkeit entsprechende Oszillationen hervorbringen können, welche dann an das schalleitende Medium - in der Regel Luft - weitergeleitet werden. Diese schallaktiven Elemente können sowohl das ganze Instrument umfassen, - wie wir es etwa bei Glocken, Becken oder Triangeln finden - oder aber auch jeweils nur einen mehr oder weniger kleinen oder großen Bestandteil eines Instrumentes ausmachen, wie beispielsweise Saiten, Membranen, Zungen oder auch Luftsäulen. Denn selbstverständlich müssen zu diesen aktiv schallwirksamen Elementen auch entsprechende instrumentalintegrierte Luftmengen, wie etwa die im Hohlraum einer Okarina, oder die innerhalb eines Flötenrohres zum Schwingen zu bringenden Luftmassen, gezählt werden.
Für eine systematisierende Bestimmung entsprechender schwingender Elemente ist nun aber, trotz der zunächst immer irgendwie naheliegenden Unterscheidung von gasförmig und fest, doch vor allem erst deren Konfiguration, deren Formbeschaffenheit zu durchdenken; - zunächst auch bei gasförmigen schallschwingenden Instrumental-Elementen.
Im Grunde genommen wird die Vielfalt spezifisch musikinstrumenteller Schallerzeugungsmöglichkeiten ganz wesentlich durch besondere Konfigurationen, durch ganz bestimmte Formgestaltungen dieser Elemente ermöglicht.
Es gibt eine ganze Reihe wohlunterscheidbarer, instrumental- relevanter Grundformen bzw. instrumentenspezifisch ausgeformter Grundelemente, von denen her instrumentalspezifische Oszillationserscheinungen eigentlich erst erklärbar werden, und dann aus dieser Sicht auch systematisch analysiert werden sollten.
Aus der systematisch vergleichenden Analyse dieser Formen ergeben sich dann auch bestimmte Folgerungen und neue Ansätze für die Systematisierung natürlich-akustischer Musikinstrumente, - die allerdings den konzeptionellen Rahmen der klassischen Vierer- Teilung prinzipiell überschreiten.
Ich möchte auf die unterschiedlichen akustischen Möglichkeitsentfaltungen solcher Grundformen autooszillatorisch schallaktiver Elemente im Weiteren wieder zurückkommen.
Denn zunächst ist nun zu bedenken, daß bei einer Reihe von Musikinstrumenten durchaus mehrere und ganz verschiedenartige solcher schallaktiver Elemente, zum Teil in sehr spezifischer und komplexer Weise, verkoppelt werden, wohingegen wiederum andere Musikinstrumente über solche instrumentalintern schallschwingenden Elemente überhaupt nicht verfügen müssen.
Beides, sowohl derartige Verkopplungen mehrerer als auch die Abwesenheit, das Nichtvorhandensein, von instrumentalintern schallschwingenden Elementen, ist für die bisherige Vierklassenteilung nicht korrekt zu bewältigen. Solche Instrumente - und es gibt eine ganze Menge davon - sind dort schwerlich genau zu plazieren bzw. nur mit zusätzlichem, oft widersprüchlichem Begründungsaufwand unterzubringen.
Aber ebenso wie sie dort Plazierungsschwierigkeiten bereiten, so sind sie unter den dortigen Ordnungsstrukturen auch immer wieder bestimmten Mißverständnissen ausgeliefert und bleiben innerhalb des mit diesen Strukturen verbundenen organologischen Denkens, ständig verständniserschwerenden Bedingungen ausgesetzt.
Was die letztgenannten Instrumente betrifft, - also Schallerzeuger ohne eigene autooszillatorisch wirkenden Elemente - so sind damit nicht solche wie etwa bestimmte Nasenflöten oder auch Hörner und Trompeten gemeint, denen schließlich ihre primär schwingende Substanz, also die Lippen des Bläsers, oder - wie bei bestimmten Nasenflöten - der Luftraum der Mundhöhle des Bläsers, jeweils immer erst zusätzlich zur Verfügung gestellt werden muß, damit sie instrumental klingen können, sondern es geht um solche Instrumente wie Schwirrholz, knallende Peitsche oder auch die einfache Lochscheibensirene u.a., welche im Prozesse ihrer Schallerzeugung tatsächlich keine eigenen oder sonstig instrumental-integrierten Schwingungssubstanzen aktivieren und erschüttern müssen um zu klingen, sondern eben ohne Derartiges, direkt und unmittelbar im schalleitenden Medium Luft, schallwirksame Oszillationen erzeugen.
Um grundsätzlich zu verdeutlichen um was es hier geht: Als nächster Instrumentalschritt wäre dann ein direktes Anschlagen unseres Trommelfelles ohne Umweg über das Medium Luft denkbar - und wenn wir weiter in dieser Richtung denken, dann geraten wir gar in Verhältnisse die auch gänzlich frei von Instrumenten und schalleitenden Medien sein können - letztlich auch schallfreie Hör-Erlebnisse vermitteln - und damit dann entweder zum zwangsläufigen Gegenstand praktischer Medizin oder auch philosophischer Erkenntnistheorien werden müssen. Aber bekanntermaßen stehen beide Disziplinen diesem Problem dann doch ziemlich hilflos gegenüber, denn Tinnitus gilt der Medizin immer noch als schwierig oder gar nicht zu heilende Krankheit, und philosophische Erkenntnistheorien müßten - wie ich oft betont habe - wiederum erst selbst von ihrer Tradition der notorischen Bild- und Abbildborniertheit geheilt werden, um sich in Richtung Akustik tiefer ein- und umzudenken.
Ein tieferes Eindenken in das akustische Wesen der genannten, "schwingungssubstanzlosen" Musikinstrumente finden wir freilich in der Systematik von Sachs & Hornbostel auch nicht. Dort sind solche Schallerzeuger - vorbei an der hier deutlich werdenden Wesensproblematik instrumentaler Schallerzeugung - zumeist einfach bei den Aerophonen untergebracht.
Zu den oben erstgenannten Musikinstrumenten, bei denen also im Vorgang der Schallerzeugung zwei oder gar mehrere solcher instrumentalintern schwingender Elemente verkoppelt sind, gehören nun gerade solche wie Hörner, Trompeten, Oboen, Klarinetten usw., - aber als besonders aufschlußreiche und geradezu "exemplarische Beispiele" können hier auch die Maultrommel und das von den Deutschen als Waldteufel bezeichnete Musikinstrument genannt werden, welches freilich auch in anderen Kulturen seine Vertreter und weitere hochinteressante Verwandte aufzuweisen hat.
Beim Waldteufel werden die besonderen schallerzeugenden Schwingungsmöglichkeiten einer Saite (in der ‘umgeschleuderten Spielweise’ vor allem Longitudinalschwingungen; die Schnur dieses Instrumentes kann aber auch wie sonstige Saiten gestrichen und gezupft - also transversal - zum Schwingen gebracht werden), einer Membrane und einer instrumentalintegrierten Luftsäule, in spezifischer Weise verkoppelt, so daß Schallereignisse von ganz besonderer Art und Vielfalt erzeugt werden können. Mit seinen drei schallaktiven Elementen, also als ‘chordophonisches Membran-Aerophon’, ist das Instrument dann in der Vierklassensystematik auch schwierig einzuordnen, da es dort immerhin eine dreifache Klassenzugehörigkeit anmelden kann.
Aber ebenso wie etwa eine Mirlitonflöte, die ihren primär erzeugten, aerophonen Flötenton mittels eines kleinen, zumeist gerade nicht straff gespannten Häutchens (also einer schlappen Membrane!), sekundär zum verfremdenden Schnarren und Klirren bringen kann, so wird auch der Waldteufel (bei dem die Membrane freilich stets angespannt agiert) von Sachs und Hornbostel durchaus leichtfertig und oberflächlich der Klasse der Membranophone zugeordnet.
Bedenkt man nun die Problematik derartiger Verkopplungen genauer, so muß sich letztlich auch die übliche Zuordnung von Trompeten, Oboen und Klarinetten usw. zu den Aerophonen als fragwürdig erweisen. Denn im Unterschied zu den Flöten, welche fraglos als echte Luftklinger gelten können, da bei ihnen eben nur Luft als das primäre, zur Schallerzeugung wesentliche, instrumentalintern schwingende Element zu finden ist, müssen bei den anderen genannten jeweils erst ganz bestimmt konfigurierte, nicht-gasförmige Substanzen, (also Zungen und/oder Halb- bzw. Teil- Membranen) primär-schallschwingend vorgeschaltet werden, um die sekundär wirkende angekoppelte Luftsäule effektiv und instrumentenspezifisch schallwirksam zum Schwingen zu bringen.
In der Tradition des Vierklassendenkens wird diese Problematik der Verkopplung von instrumentellen Grundelementen freilich auch bei diesen Instrumenten kaum ernst genommen, sondern eher "aerophonisch verdrängt" - was hier (durchaus im Unterschied zu solchen Instrumenten wie Waldteufel, oder auch der noch zu erläuternden Maultrommel) freilich besonders leicht vonstatten gehen mag, da es sich schließlich um Instrumente handelt, die (quasi wie Flöten) mit Luft angeblasen werden, den Flöten oft auch in der Form ähnlich sind und zudem mit einer Luftmasse betrieben werden, die stets beeindruckend größer ist, als das jeweils viel kleinere, aber letztlich eben doch primär vorgeschaltet-vorgekoppelte schallaktive Schwingungselement aus fester Substanz.
Hinsichtlich der Maultrommel sieht die Sache aber nun doch etwas anders aus. Hier werden entsprechende Plazierungsprobleme inzwischen nicht mehr einfach verdrängt, sondern von manchen Musikwissenschaftlern nun durchaus ernst genommen und neu bedacht.
Wir finden bei diesem Instrument eine ganz spezifische Art einer dreifachen Verkopplung.
Eine schwingende Zunge wird zunächst mit einem akustisch wirksamen Doppelspalt kombiniert, und beide dann mit der in der Mundhöhle des Spielers instrumentalintegrierten, spezifisch tonbildenden Luftmenge verkoppelt.
Also ein mit idiophon schwingender Zunge und instrumentalintegrierter ‘aerophon’ schwingender Luftmasse sozusagen ‘spaltverkoppeltes Idiophon-Aerophon’.
Die schwingende Luftmasse dieser instrumentell verkoppelten Schallerzeugungseinrichtung ist hier für Tonstärke, sowie Klang- und Tonhöhenbildungen unverzichtbar, und auch wieder mengenmäßig gegenüber der kleinen Zunge aus fester Substanz in der Übermacht. Außerdem wird das Instrument neben dem üblichen Anzupfen der Zunge, auch noch am Doppelspalt angeblasen.
So wird in der internationalen Diskussion zur Maultrommel dann manchmal auch die Frage aufgeworfen ob dieses Instrument, welches bei Sachs & Hornbostel einfach der Klasse der Idiophone zugeschlagen wird, nicht doch besser als Aerophon zu verstehen und einzuordnen sei.(14)
Meiner Meinung nach wäre aber auch dies wieder eine fatale Fehlleistung, mit der die ohnehin in dieser Klasse vorliegenden Konflikte nur vergrößert, und zudem die geschilderte ‘aerophonische Problemverdrängung’ vertieft und stabilisiert würde.
Wir finden mit der Maultrommel jedoch nicht nur einen weiteren ‘Plazierungs-Konfliktfall’ vor, der innerhalb der etablierten Systematisierung offenbar nicht sauber zu lösen ist, sondern werden mit diesem ganz besonderen Instrument auch auf ganz besondere audioorganische Probleme gestoßen.
Wir haben es hier mit einem eigenartigen Verkopplungselement zu tun, dem Doppelspalt, mit welchem die schwingende Zunge und eine schwingende Luftmenge verbunden sind.
Die beiden spaltverkoppelten Elemente, also die Zunge aus festem Material und eine musikisntrumentell umschlossene Luftmenge, können in anderen Musikinstrumenten auch unverkoppelt, jedes für sich alleine, schallaktiv wirken, oder auch jeweils ganz anders kombinierte instrumentale Verkopplungen eingehen, aus denen sich jeweils wieder ganz andersartige Musikinstrumente ergeben. Demgegenüber ist der Doppelspalt, dem im Vergleich zu den von ihm verkoppelten Elementen letztlich die Stofflichkeit, das heißt hier die eigene stoffliche Schwingungsfähigkeit, fehlt, alleine genommen auch unfähig schallaktiv zu wirken; - ohne die ihm zugeordnete Zunge existiert er ja auch gar nicht.
Er muß aber - so denke ich - gerade in der entsprechenden Kombination mit der Maultrommelzunge, doch als ein ganz besonderes, eigenständig zu bedenkendes und auch als ein in bestimmter Weise schallaktiv wirkendes, also nicht nur verkoppelnd wirkendes, audioorganisches Element angesehen werden.
Diese Schlußfolgerung ergab sich jedenfalls für mich aus ganz bestimmten vergleichsanalytischen Experimentaluntersuchungen zu diesem Instrument.(15)
Allerdings ergab sich dabei auch, daß es beim Doppelspalt um eine besonders verteufelte Angelegenheit geht, - um ein audioorganisches Detail in dem der Teufel letztlich noch viel tiefer steckt, als im vergleichsweise harmlosen Waldteufel.
Im Sinne eines systematischen Verständnisses von Musikinstrumenten erweist sich aber gerade dieses, in seiner Wirkungsweise so schwierig zu fassende audioorganische Element, wiederum als überaus wesentlich um sowohl bestimmte Probleme des Zusammenhangs, als auch Probleme der Entwicklung innerhalb der Gesamtheit natürlich-akustischer Musikinstrumente, systematischer ins organologische Denken zu rücken und in weiteren Untersuchungen besser verstehen zu können.
Mit dieser besonderen Spalt- und Doppelspalt- Problematik, die sowohl hinsichtlich der Entwicklung und Systematisierung musikinstrumenteller Technik aufschlußreich ist, als auch - was ihre musikinstrumentelle Nutzung betrifft - hochinteressant für ein tieferes Verständnis der Widersprüchlichkeiten bestimmter global-kultureller Entwicklungen sein kann, habe ich mich im Zusammenhang mit verschiedenen anderen Arbeiten intensiver beschäftigt(16) und muß nun der Versuchung widerstehen meine heutige Vortragszeit allzusehr diesem Problem zu widmen. Denn es scheint mir jetzt doch wichtiger, mich wieder den anderen, mehr stofflich-schallrelevanten Instrumentalelementen und der dortigen Konfigurations- Problematik, sowie den damit zusammenhängenden Problemen von Spannung und Verkopplung etc., zu zuwenden.
Dies möchte ich nun mit einer besonderen Erwägung einleiten:
Nimmt man das bisher Dargelegte, so könnte sich bereits folgender bescheidener Vorschlag zur Veränderung der Sachs-Hornbostelschen Systematik bzw. zur allgemein etablierten Vierklassen-Systematisierung, begründen lassen:
Schauen wir auf die Instrumente welche über kein eigenes instrumentalinternes bzw. instrumental-integriertes Schallsubstrat verfügen. Wenn man akzeptieren kann, daß es einige gibt auf die das zutrifft (und ich glaube das kann man - auf der Basis physikalischer Akustik denke ich sogar, daß man es muß ), so kann es auch kein schlechter Vorschlag sein, diese nun auch gesondert zu systematisieren. Schließlich fehlt ihnen ja gerade die wesentliche schallaktive Substanz, auf deren Grundlage die Systematik seit Mahillon eigentlich aufgebaut ist.
Also keineswegs eine Verlegenheits- oder Zusatzlösung sondern eine konsequent abteilende Erweiterung mit klarem Teilungsgrund, nämlich der Frage nach dem Vorhandensein instrumentalintern bzw. (um wiederum auch Nasenflöten und Trompeten usw. gerecht zu werden) ‘instrumentell internierter’ schallschwingender Substanzen.
Laßt uns also ordentlicherweise alle diese Instrumente, auch wenn deren Anzahl nicht allzu überwältigend sein mag, aus dem Bereich der Aerophone, oder wo sie sonst noch untergebracht sein mögen, herausnehmen und einem gesonderten, speziell für sie einzurichtenden Bereich, einer neu aufgestellten Klasse, zuordnen.
Eine solche, über die klassische Vierklassen-Systematik zwar hinausgehende, aber ihre Strukturen ansonsten nicht erschütternde, Erweiterung, wäre wohl keine allzu große Zumutung, und für niemanden ein Unglück. Auch im Denken von Mahillon waren durchaus mehr als nur vier Klassen möglich und ein solcher Schritt wäre wohl auch im Sinne seines Ansatzes folgerichtig, denn es geht auch hier, auf der Basis der Physik, mit dem suchenden Blick nach instrumentalen Schwingungssubstanzen, um ein genaueres systematisches Verständnis konkreter Musikinstrumente.
Mit der nun vorgeschlagenen neuen Klasse (17) ganz bestimmter natürlich- akustischer Musikinstrumente, also den genauer plazierten ’schwingungssubstanzlosen’ Schallerzeugern, würde schließlich auch die bisher vorliegende Klasse der Aerophone spürbar entlastet, diesbezügliche Konflikte könnten vermieden werden und die ganze Systematik würde damit übersichtlicher.
Die neue Abteilung könnte dann auch nach Prinzipien systematisiert und geordnet werden, die sich allein aus der Spezifik und dem Wesen der dort versammelten, eben doch irgendwie andersartigen, Schallerzeuger ergeben.
Also auch eine reizvolle Aufgabe für erneuerungsgesinntes Systematisierungsdenken und eine sicher lohnende Sache zur Förderung eines erweiterten und tieferen Verständnisses musikinstrumenteller Technik.
Es läßt sich durchaus denken, daß ein solcher Vorschlag - gesetzt den Fall, er würde mit genügend etablierter Autorität an der rechten Stelle des Wissenschaftsbetriebes installiert werden können - sogar gute Chancen auf Akzeptanz und Verwirklichung hätte.
Jedenfalls liegt damit kein schwerer Angriff auf konservierendes Systematik-Denken vor; - dieser Vorschlag muß noch keine ernsthafte Gefahr für die etablierte Systematisierungsauffassung darstellen. Niemand würde wirklich ernstlich gestört; und organologischer Wissens- und Verständnisentwicklung könnte damit auf eine durchaus gemütliche, keine Gemüter tiefer erregende Weise, gedient sein.
Sobald ich nun aber - und damit freilich weniger bescheiden - auch die anderen oben dargestellten und meines Erachtens notwendigerweise zu bedenkenden Aspekte ins Spiel bringen möchte, sieht die Sache sofort ganz anders aus.
Da hört jeder Spaß und alle Gemütlichkeit auf.
Mit jedem der dort hervorgehobenen Probleme wird unweigerlich die bisherige Systemauffassung grundsätzlich in Frage gestellt. Spannung als übergreifendes Phänomen ernst zu nehmen, würde bedeuten die Einteilung der "Festklinger" in Frage zu stellen, und jedes eingehendere Erwägen von Kopplungsphänomenen würde notwendigerweise die Zuordnungen zu allen bisherigen vier Klassen bzw. die ganze bisherige etablierte Systematik erschüttern.
Aber auch mit dem schärferen Blick auf die zur schallerzeugenden Schwingungserregung anstehenden Instrumentalsubstanzen wird man in konkreter organologischer Forschung letztlich ebenfalls zu entsprechenden System-umstürzenden Resultaten gelangen.
Denn sobald man diese Substanzen konkreter als schallaktive Elemente hervorhebt, eingehender analysiert und vergleichend innerhalb der Gesamtheit der Musikinstrumente, und darüber hinaus mit Blick auf weitere Möglichkeiten natürlicher Schallerzeugung, untersucht, stößt man auch unweigerlich auf die Tatsache, daß die dort vorliegenden Schallrealisierungsmöglichkeiten wesentlich von der Formbeschaffenheit dieser schallaktiven Elemente bestimmt sind.
Erst von ihrer Form her lassen sich ihre akustischen Eigenschaften, ihre audioorganischen Besonderheiten - so auch die Möglichkeiten manche dieser Elemente zu arretieren, zu spannen, in Spalteinrichtungen zu justieren und auch auf andere Art mit anderen Elementen zu verkoppeln - genauer vergleichend analysieren; und erst von daher (freilich stets unter Berücksichtigung weiterer jeweils instrumentell-spezifischer Faktoren) lassen sie sich dann auch aus ihrem Wirken wirklich erfassen und besser verstehen.
Die zu systematisierende Vielfalt von instrumentaler Schallerzeugung erwächst - so meine These - erst aus Formentfaltungen dieser Elemente.
Aber gerade aus diesen Formentfaltungen erwachsen eben auch systematische Zusammenhänge.
Ich meine also, daß Systematisierung dementsprechend auch von daher bedacht und entwickelt werden kann; - oder muß.
Zumindest aber müssen in Systematisierungskonzepten - mit welcher Zielstellung sie auch antreten mögen und was mit ihnen auch etwa "versucht" werden möge - derartige, in der klanginstrumentalen Wirklichkeit aus naturgesetzlichen Entwicklungen resultierende Zusammenhänglichkeiten näher beachtet und irgendwie doch auch reflektiert und ausgedrückt werden.
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang nun wieder die Betrachtungsweise von Sachs und Hornbostel in ihrer "Systematik der Musikinstrumente" von 1914.
In diesem Text, also ihrem ‘klassischen Versuch’, hatten sie auf die besonderen methodologischen Schwierigkeiten bei der Systematisierung von Musikinstrumenten hingewiesen und diesbezüglich ihre eigene Position umrissen. Dabei findet sich dann auch folgender Passus:
"Eine Crux für den Systematiker sind auch die Kontaminationen. Sie müssen als solche gekennzeichnet werden, indem man sie zwei (oder mehr) Gruppen zurechnet. In Sammlungen und Katalogen wird man sie nach dem Bestandteil einordnen, der das Übergewicht hat; aber Hinweise in den anderen Gruppen dürfen nicht fehlen. So kommen z.B. an Instrumenten aller Klassen Rasselvorrichtungen vor, die zum Inventar der Idiophone gehören, obwohl sie in der Klassifikation nicht berücksichtigt werden können. Wenn aus der Kontamination aber eine dauernde morphologische Einheit geworden ist - wie aus der Pauke die Spießlaute - , muß sie auch im System ihren Platz finden." (18)
Man könnte fast meinen, daß hier das Problem der Verkopplung verschiedener schallaktiver Elemente berührt und bedacht worden sei. Und wenn ausgerechnet die mit Membran und Saite ausgestattete Spießlaute genannt wird, könnte sich diese Vermutung auch verstärken. Man möchte neben der exotischen Spießlaute nun fast noch den gerade hier naheliegenden heimatlichen Waldteufel erwarten.
Doch Instrumente dieser Art werden hier gerade nicht bedacht. Beim Waldteufel liegen die Probleme eben doch tiefer. Auch wenn er und viele seiner Verwandten ethnologisch und kulturgeschichtlich oft als primitiv-folkloristisches Kinderspielzeug und/oder als Krawallinstrument unzivilisierter Verhältnisse abgetan werden mag - audioorganologisch ist er von ganz anderer Bedeutung. Aber auch die von Sachs und Hornbostel als Beispiel gewählte Spießlaute, mit ihrer Kombination von Saite und Membrane, hätte genügend Anlaß und Möglichkeit geboten nun doch näher auf verschiedene Arten der Kombination unterschiedlicher Schallsubstanzen einzugehen, hier genauer zu differenzieren und zu systematisieren, um dann auch weitergehend bis zur Problematik audioorganischer Verkopplungen vorzudringen.
Denn das zusätzliche, "kontaminierende" Anbringen von Rasseln - etwa an Membraninstrumenten - ist etwas durchaus anderes als das schon viel innigere (und nicht nur als "dauernde morphologische Einheit" zu betrachtende) Aufbringen von Saiten auf eine Membrane, wie wir es bei der Spießlaute finden. Und wenn man weiter in dieser Richtung denkt und untersucht, so werden sich solche organisch verkoppelnden Instrumente wie Waldteufel & Co., aber auch Maultrommeln oder auch Klarinetten, Trompeten, Oboen usw. eben wieder jeweils als etwas ganz andersartiges erweisen.
Die Spezifik und das Wesen solcher Instrumente läßt sich dann kaum einfach als Übergang von ‘Kontamination zu dauernder morphologischer Einheit’ erklären oder kommentieren.
Es scheint mir aufschlußreich wie die Überlegungen von Sachs und Hornbostel gerade hier, - nicht etwa haarscharf - sondern eher gedankenweltenweit entfernt, an den Problemen der Verkopplung und der genaueren organologischen Analyse des Wirkens von schallaktiven Elementen vorbeigehen.
Kontaminationen im von ihnen dargestellten Sinne sind vergleichsweise triviale, vor allem Äußerliches betreffende Problemlagen.
Die wirklichen Probleminstrumente und die wirkliche Problematik instrumentaler Verkopplungsphänomene werden von ihnen nicht näher bedacht. Ein Eingehen auf die eher inneren Verhältnisse von Musikinstrumenten, also auch auf das Wesen bestimmter herauszuarbeitender Instrumentalelemente und deren Wirken und möglichem Zusammenwirken in besonderen Instrumentalkonstruktionen, findet sich im hier zitierten Textauszug, ebensowenig wie im ganzen Text ihres ‘Versuches’ von 1914.
Die sich dabei abzeichnende Betrachtungsweise - ein im Sinne ihrer Systematik geradezu konsequent "vorbeidenkendes Herangehen" an bestimmte Instrumente (und damit eben ein Vorbeigehen an ganz bestimmten Instrumental-Problemen) - zeigte sich drei Jahre später in noch deutlicherer Weise bei Sachs, in seiner ansonsten ausgesprochen gründlich angelegten und auf viele Instrumental-Details akribisch eingehenden Arbeit zur Maultrommel.(19)
Bei der dortigen Analyse des Instrumentes, mittels derer dann auch eine genau bezifferte System- Plazierung für die Maultrommel festgeschrieben wurde, entspricht er in konsequent vorbeidenkender Weise den Anforderungen seiner Systematik, so daß schließlich das eigentlich wichtigste Detail, der präzise Doppelspalt des Instrumentes, von ihm gar nicht erwähnt wird; - als ob dieser keine Rolle spielen würde, als ob es diesen überhaupt nicht gäbe. Und auch die für das Instrument so wesentliche Verkopplung mit der schallaktiv schwingenden Luft der Mundhöhle des Spielers, wird von ihm dabei in geradezu frappierender Weise bagatellisiert und letztlich sogar geleugnet.

*
Um nun - wie bereits angekündigt - wieder auf die Form- und Möglichkeitsentfaltungen schallaktiver Elemente zurück zu kommen und diese näher zu verdeutlichen, möchte ich wiederum auf Membranen und Saiten, als auffällige Extremausformungen in Richtung Länge und Breite, eingehen.
Ich denke allerdings, daß die wirkliche Extremspanne im Sinne akustischer Untersuchungen nicht etwa zwischen Länglichkeit der Saite und Flächigkeit der Membrane, sondern doch eher zwischen solchen wohlausgeformten Elementen wie diesen auf der einen Seite, und den mehr unausgeformten Erscheinungen auf der anderen Seite der Formpalette verläuft.
Dort werden sich also kompakte ‘Ungestalten’ bzw. ‘Un-Formen’, oder anders - sicher nicht besser, aber vielleicht doch gezielter - gesagt, ‘akustische Unausgeformtheiten’ finden lassen, die etwa zu Kugeln, unförmigen ‘Würfelformen’ oder auch kurzen Zylindern bzw. kurzen Säulen usw. tendieren.
Daß diese aber unter den schallaktiven Elementen von Musikinstrumenten schwer zu finden sind, weist schon auf ihre akustische Bedeutungsarmut als Schallgeneratoren hin.
Mit derart klobigen Un-Formen läßt sich in der Tat nicht viel anfangen.
Den günstigsten Status haben sie noch bei echten Luftklingern, etwa bei Gefäßflöten. Akustisch interessant wird es erst wenn uns Formen begegnen die eher in Richtung Länge und/oder Breite dimensioniert sind. (20)
Wenn wir zunächst aber weitere Luftklinger bedenken wollen, so ergibt sich schon hier, gerade im Vergleich zu den Feststoffklingern, ein interessantes Phänomen: Attraktive Klangformen finden wir dann bei diesen nur noch in Richtung Länge, denn es gibt wohl kaum echte Aerophone die bevorzugt extrem flachausgebildete luftgefüllte Instrumentalhohlräume zum Klingen bringen wollen.
Flöten, aber auch andere Musikinstrumente die in Verkopplungen nachgeschaltete Luftmengen nutzen, tendieren, was deren Formbeschaffenheit betrifft, vielmehr zu länglichen Formen, also etwa zu entsprechend zylinderförmigen oder kegelförmigen Röhren.
Ganz anders bei den Festklingern: Hier werden Konfigurationen in Richtung Breite - bis hin zur dünnen Membrane - gerade wieder bevorzugt.
Als extremste Ausformung unter den schallaktiven Elementen kann aber wohl doch die Saite gelten.
Wenn wir uns von diesem Extrem aus, gedanklich auf den formverändernden Weg zu anderen Extremen machen, werden uns ganz bestimmte Umformungen begegnen, die sich dann aber auch als wohlbestimmbare audioorganische Grundformen erweisen.
Sobald die Saite insgesamt etwas breiter wird, werden wir es schon mit einem schmalen Band zu tun haben, welches im Vergleich zur Saite (obwohl die Formveränderung hier noch nicht erheblich sein muß) audioorganisch sogleich ganz erhebliche neue Eigenschaften entwickeln kann; also mit seiner Entstehung auch ganz neuartige Schallerzeugungsmöglichkeiten entstehen läßt. Ein kürzer genommenes Segment davon, wird dann zum akustisch wiederum andersartigen und hochinteressanten länglichen Flachkörper, der durch Arretierung an einem Ende, auch zur Zunge werden kann.
Nehmen wir aber das Band als weiter nach der Breite hin ausgebildet, so wird es unweigerlich zur Membrane.
Betrachten wir nun die Saite von ihrer anderen Formveränderungsmöglichkeit und verkürzen sie, so wird sich zunächst eine kleine Säule bzw. eine Stange ergeben - die akustisch schon wieder ein viel ärmeres Element ist.
Und im Weiteren ergibt sich dann ein kleiner, in seiner Grundform aber doch wieder klobiger, kurzer Zylinder, der sich damit auch schon wieder am anderen Ende unserer Formpalette, das heißt also auch wieder auf der Seite akustischer Armseligkeit, befindet.
Gehen wir den formverändernden Weg dann gedanklich weiter, indem wir den (nun freilich größer vorgestellten) Zylinder in gleicher Richtung weiter verformen, so werden wir, zunächst scheibenförmige Gebilde erhalten, die schlagartig wieder mehr akustische Eigenschaften offenbaren und die uns dann - je nach dem in welcher Richtung wir nun gedanklich weiter teilen wollen - entweder zu akustisch attraktiven länglichen Flachkörpern, oder eben wieder zur flächigen Extremform der Membrane gelangen lassen.
Die Membrane wiederum zerteilt, kann dann zu bestimmten Teilmembranen bzw. Membransegmenten führen - welche auch gegenüber der akustisch so nutzvollen Ganzmembrane wiederum neue Schallerzeugungseigenschaften mit sich bringen - und die uns im weitere Verlaufe unseres Verfahrens, wenn wir schließlich immer dünnere Streifen davon nehmen, unweigerlich, über das Band wieder zum saitenförmigen Extrem unserer Formpalette führen werden.
Freilich werden wir es in der Realität jeweils auch mit anderen Formübergängen, wie etwa konischen Saiten bzw. keilförmigen Membranen und vielleicht pyramidenförmigen Zungen, und vielem mehr, zu tun haben können.
Aber in den Grundtendenzen der geschilderten Längs-Flach-Formbewegungen sind doch bestimmte Form-Unterschiedenheiten deutlich zu differenzieren, welche sich als solche eben auch in ganz speziellen musikinstrumentellen Nutzanwendungen zeigen.
Daß dabei die entsprechenden Grundformen auch wieder in sich verformt, also durchaus verbogen, ausgebuchtet oder anderweitig verformt, vorkommen können, - also beispielsweise Saiten und Stangen auch zu Federn und Spiralen, Scheiben wiederum zu Gongs oder kegelförmigen Becken bis zu Glocken oder Röhren usw. umgestaltet werden können, das ist hier freilich stets mit unterstellt und muß letztlich ebenfalls hinsichtlich entsprechender akustisch-instrumentaler Eigenschaften und Besonderheiten systematisch bedacht und erfaßt werden.
Aber die innerhalb der oben aufgezeigten Palette deutlich werdenden Formen wie Membrane, Teilmembrane, Band, Saite, Stange, länglicher Flachkörper, Zunge und Scheibe usw. bis hin zu schwieriger zu fassenden kompakten "Unformen", können durchaus als signifikante akustische Grundformen systematisierend herausgehoben werden. Sie lassen sich eben nicht nur abstrakt durch ihre Form bestimmen, sondern können in ihrer grundlegenden audioorganischen Bedeutung konkret durch die stufenweise Veränderung ihrer akustischen Möglichkeiten bestimmt werden.
Dabei ist außerdem folgendes bemerkenswert:
Die aufgezeigten Linien dieser Formentfaltungen zeigen verschiedene akustische Entwicklungs- bzw. ‘Entfaltungs- Tendenzen’, d.h. ganz bestimmte strukturelle Zusammenhänge. Diese können sowohl unter dem Aspekt der Form, als auch der Spannung und der Verkopplung (und - wenn man noch detaillierter herangeht - vielleicht auch unter dem Aspekt der Arretierung usw.) (21) deutlicher hervorgehoben werden.
So finden wir - wie in der Darstellung der Formentfaltungen schon deutlich geworden sein mag -, daß sich, ausgehend von der Saite, in Richtung Breite, über Band, länglichem Flachkörper, bis hin zur Membrane, eine sehr reichhaltige Entfaltung audioorganischer Möglichkeiten ergibt, wohingegen dies von der Längendimension her, also in Richtung Verkürzung, ohne weitere Umstände zur Verarmung führt.
Auch der weitere Betrachtungsweg, wiederum von der kurzen Säule zur Scheibe und Membrane und dann wieder bis zur Saite, zeigte auf andere Weise Analoges. Formentwicklungen in Richtung Kompaktheit führen zur Verarmung; reichhaltigere audioorganische Möglichkeiten ergeben sich in Richtung Länglichkeit und Flächigkeit.
Fragt man innerhalb dieser Grundtendenzen dann nach den besonderen Möglichkeiten der Effektivierung durch Spannung, so erscheint diese zwar bei Saite und Membrane als nahezu unverzichtbar, erweist sich aber bereits beim Band, wo sie ebenfalls vorzügliche Dienste zu leisten vermag, schon eher als fakultativ, und kann dann (nun wieder in anderen Spannungsformen, etwa Biegespannung oder Torsion etc.) auch bei Flachkörpern, Zungen, Scheiben, aber auch Stangen etc., eine gewisse Rolle spielen.
Aufschlußreich ist eine solche Strukturbetrachtung aber auch, wenn wieder der Aspekt möglicher Verkopplungen gesondert hervorgehoben wird.
Auf der groben und armseligen Seite der Palette, also bei kompakten Formen, finden sich da - wie wohl zu erwarten ist - kaum derartige Möglichkeiten. Bemerkenswert ist dann aber, daß die Chancen auf der anderen Seite, also bei gespannter Saite und Membrane, eigenartig ungleich verteilt sind. Die Saite steht hier plötzlich doch ziemlich hilflos da. Aber bereits ihre erste Formableitung zum Band verfügt schon wieder über raffinierte Möglichkeiten.
Die gespannte Membrane aber erweist sich dann als ganz und gar notorisches Verkopplungselement. Sobald eine geschlossene Membrane umfassend aufgespannt ist, wird sie in der Regel auch mit instrumental integrierten Luftmengen verbunden, von denen viele dann auch effektiv akustisch verkoppelt genutzt werden. Außerhalb derartiger Zwangsehen kann eine gespannte Ganzmembran kaum erfolgreich existieren.
Andererseits bleibt die Saite, ob gespannt oder ungespannt, in dieser Hinsicht eher ein Single, dem beispielsweise eine effektive Verkopplung mit Luft, in der Regel nur über ein Dreiecksverhältnis mit der Membrane (oder eventuell auch mit Membransegmenten) gelingen kann.
Bei den anderen Elementen finden wir dann, abgesehen von Stangen und Scheiben, die auch hier wieder ärmer dran sind, eine Vielzahl von Verkopplungsmöglichkeiten; vor allem aber solche mit Luft.
Instrumental integrierte Luft, - die bei der Frage nach Spannungsmöglichkeiten zunächst kaum der Erwähnung Wert schien, weil sie damit eigentlich nur in Ausnahmefällen, und dann wohl auch nur auf Druckspannungsveränderung hin, akustisch aktiviert werden kann, ist hinsichtlich ihrer Verkopplungsmöglichkeiten mit den verschiedensten festen Elementen (vor allem Membranen, Teilmebranen, Membransegmenten, Bändern, Zungen usw.), aber auch mit sich selbst, kaum zu übertreffen, wobei wieder Spalt- und Doppelspalteinrichtungen eine besondere Rolle spielen.
Schaut man genauer auf die besonderen Luftverkopplungen welche mit Hilfe solcher Einrichtungen realisiert werden können, so erweist sich hier die Saite zwar wieder als besonders schwierig, kann aber vielleicht doch noch beim Doppelspalt bestimmte (in bisheriger Musikinstrumentenentwicklung jedoch nur in Ansätzen absehbare) Chancen haben, wohingegen die Ganz-Membran beim Doppelspalt wohl überhaupt keine Chancen hat und auch in Bezug auf Einzelspalt-Einrichtungen (wo wiederum Saiten kaum Chancen haben werden) schwer zugänglich bleibt.
Aber schon bei Bändern, Membransegmenten / Teilmembranen, und dann vor allem bei Zungen, ergeben sich vielfältige und effektive spalt- und doppelspaltverkoppelte Möglichkeiten, die freilich wieder ganz verschwinden, sobald man sich wieder den grobgestaltigen Formen annähert...

*
Ich kann all dies hier nur in groben Zügen darstellen und vieles nur andeuten; denke aber, daß die detailliertere Untersuchung von derartigen Zusammenhängen, derartigen Tendenzen und Strukturen, eine wichtige Grundlage für neue Konzepte einer exakteren Systematisierung musikinstrumenteller Technik sein kann.
Das Ausgehen von den hier, entsprechend ihrer audioorganisch relevanten Formbeschaffenheit, hervorgehobenen Grundformen schallaktiver Elemente, ist dabei meiner Meinung nach ein gangbarer Weg, der allerdings wohl erst mit weiteren detaillierten Untersuchungs- und Überlegungsanstrengungen zu praktikabel detaillierten Systematisierungskonzepten führen wird.
Von diesen ist dann zu hoffen, daß sie - bei aller für eine praktikable und verständigungsverbindliche Systematik erforderlichen Stringenz - doch möglichst auch so offen und problemverdeutlichend gestaltet und ausgestattet werden, daß damit auch fruchtbares Weiterdenken stets angeregt bleibt.
Dabei denke ich, daß der ‘Systematik-Versuch’ von 1914 - bei aller historischen Bedeutung, die ihm nach seiner Erfolgs-Karriere zweifellos zugemessen werden muß - nicht von dieser Art war.
Inzwischen kann sich das unkritische Beharren auf dieser ‘Verständigungsbasis’ der Musikinstrumentenkunde (22), sowohl hinsichtlich klassisch-bestimmter Verständigungs- Notwendigkeiten, als auch in Bezug auf neuartig-unklassische Erkenntnismöglichkeiten, hinderlich auswirken.
Insofern denke ich, daß die Zeit dieser Systematik und des damit verbundenen Ordnungs- und Einordnungsdenkens, eigentlich vorbei sein müßte, obwohl ich weiß, daß beides fest etabliert ist.
In diesem Sinne denke ich aber noch an etwas anderes:
Was ich hier versucht habe darzustellen, steht unvermeidlich in der Tradition einer besonderen ostdeutschen Linie des audioorganologischen Systematisierungsdenkens.
Diese Linie, die vor allem mit den Namen Dräger und Heyde verbunden ist, weist sowohl im nationalen als auch im internationalen Vergleich eine ganz besondere Spezifik auf, worauf ich schon seit Längerem, so auch wieder in meinem Vortrag vom 14.5.1997, hingewiesen hatte.
In dieser spezifischen Linie des Systematisierungsdenkens hat sich in besonderer Weise der Gedanke der objektiven Existenz eines ‘natürlichen Systems der Musikinstrumente’ herausgebildet.
Dieser Gedanke spielte - ohne daß ich dies jeweils gesondert betont habe - auch in meinen heutigen Darlegungen immer wieder eine wichtige Rolle.
Die Position die ich damit beziehe, bedarf aber auch weiterer Begründungen und grundsätzlicher Auseinandersetzungen.
Insofern meine ich, daß zu den Voraussetzungen einer neuen Wegbeschreitung zur Systematisierung von Musikinstrumenten - von der ich hier gesprochen habe - auch eingehendere kritische Aufarbeitungen und entsprechende philosophisch-methodologische Wertungen und Positionsbestimmungen zu den Systematisierungen von Dräger (1948) und Heyde (1975), (23) sowie weiterer damit im Zusammenhang stehender Auffassungen (so etwa von E.Stockmann und H.Zeraschie), gehören müssen.
Anmerkungen/Quellen:
(1)
Sachs, Curt: Vergleichende Musikwissenschaft / Musik der Fremdkulturen, Heidelberg, 1959, S.18
(2)
Mahillon, Victor: Catalogue descriptiv et analytique de Musee Instrumental du Conservatoire Royal de Musique de Bruxelles, Gent 1888
(3)
Sachs, Curt: Vergleichende Musikwissenschaft / Musik der Fremdkulturen, Heidelberg, 1959, S.19
(4)
ebenda S.18
(5)
ebenda S.18
(6)
Es handelt sich hier keineswegs nur um eine abstrakt-formale, sondern vielmehr um eine durchaus konkretisierbare praktische Hypothese. So könnte es zum Beispiel schon unter dem Aspekt der Form angebracht sein zu akzeptieren, daß zu den nicht-saitenförmigen gespannten Schwingungssubstanzen auch zu spannende Bänder, Teil-Membranen, Membransegmente oder auch in bestimmter Weise durchbrochene Membranformen (alles dies kann bei Musikinstrumenten vorkommen) gehören, die sinnvoll von den gespannten Ganzmembranen abzuteilen wären. In der Systematik von Sachs/Hornbostel geht die Bedeutung solcher spezieller gespannter Formen unter. Allerdings wäre dabei der Teilungsgrund immer noch der der Form; man würde in dieser Weise also der Mahillonschen Verfahrensweise, bei der ja der Teilungsgrund von Fall zu Fall (d. h. von Klasse zu Klasse) deutlich gewechselt wurde, nicht ganz treu bleiben. Geht man nun hinsichtlich des Teilungsmodus wie Mahillon vor, und ändert ihn jeweils, so ergibt sich in Bezug auf gespannte Ganzmembranen eine noch interessantere Abteilungs-Möglichkeit, die wiederum von praktischem Wert sein könnte: Man teilt zwischen freien unbefrachteten Membranen und solchen die fest mit schweifförmigen-, band- oder saitenartigen Gebilden, bzw. Stangen, Zungen und Gewichten - bis hin zu an Membranen flächig angebrachten Platten usw. - befrachtet sind. Damit wäre ein klarer neuer Teilungsgrund eingeführt, der tatsächlich vielen spezifischen Membraninstrumenten einen ordentlichen Systembereich zuweist, ohne daß damit allzuviele Konflikte mit anderen Mahillonschen Klassen (etwa hinsichtlich der Saiteninstrumente, - bei denen Saiten ja in der Regel nicht fest mit Membranen verbunden sein müssen und uns auch ansonsten selten in ‘befrachteter Form’ begegnen`) entstehen müßten. Stellt man sich (was leicht denkbar ist) eine Musikkultur vor, die über noch mehr verschiedenartige Membraninstrumente verfügt als uns bislang geläufig sind, und damit auch über eine größere Anzahl derartiger signifikant ‘befrachteter Membran-Instrumente’, so wäre in der Tradition des bisherigen Systematisierungsverständnisses eine entsprechend klassifizierende Ab-Teilung nicht nur sinnvoll, sondern geradezu naheliegend. Saiten und Luft lassen sich ja so nicht befrachten und hinsichtlich fester Idiophone besteht diese Problematik schon aufgrund ihres Eigencharakters kaum. Daß ich jedoch nicht dazu tendiere eine solche Klasse in dieser Weise für eine künftig besser zu gestaltende Systematisierung vorzuschlagen, geht aus meinem weiteren Ausführungen hervor.
(7)
Hornbostel, Erich M.v. und Sachs, Curt: Systematik der Musikinstrumente / Ein Versuch, in: Stockmann, E. und Kaden, C. (Hrsg.) Erich Moritz von Hornbostel / Tonart und Ethos, Leipzig 1986, S.153
(8)
Sachs, Curt: Vergleichende Musikwissenschaft / Musik der Fremdkulturen, Heidelberg, 1959, S.19
(9)
Hornbostel, Erich M.v. und Sachs, Curt: Systematik der Musikinstrumente / Ein Versuch, in: Stockmann, E. und Kaden, C. (Hrsg.) Erich Moritz von Hornbostel / Tonart und Ethos, Leipzig 1986, S.154
(10)
ebenda S.154
(11)
ebenda S.156
(12)
Sachs, Curt: Vergleichende Musikwissenschaft / Musik der Fremdkulturen, Heidelberg, 1959, S.19
(13)
Dräger, Hans-Heinz: Prinzip einer Systematik der Musikinstrumente, Kassel 1948, S.5
(14)
Eine Übersicht zu dieser Diskussion findet sich in: Plathe, Regina: Kulturgeschichte der Maultrommel, Bonn 1992
(15)
Siehe dazu: Eichler, B.H.J.: Über Wechselseitigkeiten von Instrumentalkonstruktion und Klangmöglichkeit bei Maultrommeln, in: Bröcker, M., (Hrsg.) Berichte aus dem ICTM-Nationalkomitee Deutschland, Instrument und Umwelt - Wechselbeziehungen zwischen der Beschaffenheit von Musikinstrumenten und ihren kulturellen Rahmenbedingungen - Probleme der Pflege und Aufführungspraxis traditioneller Musik, Bamberg 1995
(16)
beispielsweise folgende Arbeiten:
Eichler, B.H.J.: Die Maultrommel als Gegenstand des Musikunterrichts - Systematisches Musikinstrumentenverständnis und fremde Musik und
Eichler, B.H.J.: Das Hümmelchen - ein altdeutscher Dudelsack, Leipzig 1990
(17)
Eine derartige ‘neue Klasse’ bzw. eine entsprechende Zweiteilung der Gesamtheit von Musikinstrumenten habe ich erstmals erläutert in:
Eichler, B.H.J.: Das Schwirrholz - Tongenerator zwischen Geist und Natur (Teil I), in: Bröcker, M. (Hrsg.) Berichte aus dem ICTM - Nationalkomitee Deutschland, Probleme der Pflege und Aufführungspraxis traditioneller Musik, Bamberg 1993
(18)
Hornbostel, Erich M.v. und Sachs, Curt: Systematik der Musikinstrumente / Ein Versuch, in: Stockmann, E. und Kaden, C. (Hrsg.) Erich Moritz von Hornbostel / Tonart und Ethos, Leipzig 1986, S.156/157
(19)
Sachs, Curt: Die Maultrommel./ Eine typologische Vorstudie. in: Zeitschrift für Ethnologie. Jahrg.1917. Heft 4-6. S.185-200
(20)
Siehe dazu auch die Problematik einer "vergleichsanalytisch - audioorganologischen Lamellaristik" in: Eichler, B.H.J.: Über Wechselseitigkeiten von Instrumentalkonstruktion und Klangmöglichkeit bei Maultrommeln, in: Bröcker, M., (Hrsg.) Berichte aus dem ICTM-Nationalkomitee Deutschland, Instrument und Umwelt - Wechselbeziehungen zwischen der Beschaffenheit von Musikinstrumenten und ihren kulturellen Rahmenbedingungen - Probleme der Pflege und Aufführungspraxis traditioneller Musik, Bamberg 1995
(21)
Siehe dazu auch weitere kategoriale Ableitungen aus meinen Experimentaluntersuchungen zur Maultrommel, in: Eichler, B.H.J.: Über Wechselseitigkeiten von Instrumental-konstruktion und Klangmöglichkeit bei Maultrommeln, in: Bröcker, M., (Hrsg.) Berichte aus dem ICTM-Nationalkomitee Deutschland, Instrument und Umwelt - Wechselbeziehungen zwischen der Beschaffenheit von Musikinstrumenten und ihren kulturellen Rahmenbedingungen - Probleme der Pflege und Aufführungspraxis traditioneller Musik, Bamberg 1995
(22)
Die Bedeutung der Systematik von Sachs & Hornbostel als ‘Fundament und Verständigungsbasis der Musikinstrumentenkunde’ hat insbesondere E. Stockmann mit höchst fragwürdigen Darstellungen und Argumentationen, in seinem Vorwort zur Herausgabe der Arbeiten von E. M.v. Hornbostel ( 1986 ) betont.
Damit habe ich mich - auch in Hinsicht auf die besonderen Wissenschaftsbedingungen in der DDR - an verschiedenen Stellen detaillierter auseinandergesetzt (siehe dazu ebenfalls www.bhje.de).
(23)
Heyde, Herbert: Grundlagen des natürlichen Systems der Musikinstrumente, in: Beiträge zur musikwissenschaftlichen Forschung in der DDR, Band 7, Leipzig 1975

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